- RegieThomas von Steinaecker
- ProduktionsländerDeutschland
- Dauer102 Minuten
- GenreDokumentarfilm
Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Auch wenn Wim Wenders in diesem Film von Thomas von Steinaecker explizit das Gegenteil behauptet und nachdrücklich die Unberechenbarkeit von Werner Herzog profiliert, so ist nach der Ansicht von „Werner Herzog – Radical Dreamer“ klar: Werner Herzog ist als Objekt und Subjekt schon lange eine sichere Bank. Wenn man es denn schafft, an ihn heranzukommen.
„Werner Herzog – Radical Dreamer“ ist ein launiges Porträt-Mobile, zusammengesetzt aus einem aktuellen Gespräch mit Herzog, allerlei älteren Statements, Filmausschnitten, Beobachtungen am Rande eines Herzog-Workshops auf Lanzarote plus einem Kommentar-Reigen von Zeitgenossen, die irgendwann mal was mit Werner Herzog zu tun hatten. Es ist fantastisch anzusehen, wie es Herzog in den ersten drei Minuten des Filmst, der ihn als „Radical Dreamer“ zu porträtieren versucht, gelingt, unterwegs auf den Highways von Los Angeles seinen ganz eigenen Werner-Herzog-Sound zu etablieren. Er träume nie, sagt Herzog, er empfinde das als Mangel, habe allerdings ein Äquivalent, nämlich das Gehen oder auch das Fahren sehr langer Strecken. 20 Stunden im Auto, bis „Insekten und Schmetterlinge“ um den Kopf schwirren.
Ein guter Soldat des Kinos
Sein Leben habe einen Sinn, weil er Geschichten erzähle, von denen er wisse, dass sie tief in uns allen schlummern: „Es gibt Dinge, die wir in uns tragen, aber die bislang noch nicht artikuliert wurden.“ Dies dann zu tun, sei wie Träumen. Er versuche eben, ein guter Soldat des Kinos zu bleiben.
Werner Herzog träumt also nicht nie oder sehr selten, sondern nur anders, mit den Mitteln der Kinematografie, dafür aber (für) uns alle. Wie das aussieht? Zum Beispiel wie Klaus Kinski, der in „Nosferatu – Phantom der Nacht“ den Kamerablick erwidert. Oder wie eine Einstellung aus „Lektionen in Finsternis“ mit den brennenden Ölfeldern in Kuwait. Oder der Taucheinstieg unter das ewige Eis in „Encounters at the End of the World“. Oder der Schwalbenschwarm, der in „The White Diamond“ in einer Höhle hinter einem mächtigen Wasserfall verschwindet. Alles Bilder, die, wie es hier heißt, in unseren kollektiven kosmischen Traum eingegangen sind. Herzog, ein wahrer Künstler, hat gezeigt, dass das Unmachbare machbar ist, dass unmögliche Geschichten, unmögliche Träume realisierbar sind.
Dieser hohe Ton des Films ist auf Dauer aber nicht zu halten, weshalb man Carl Weathers dankt, wenn er die Sachlage im Zusammenhang mit Bildern aus „Fitzcarraldo“ herunterbricht: „Ein Schiff über einen Berg ziehen? What? That’s fresh, that’s new, that’s badass! That’s Werner Herzog!“ Und so kommt dann der andere Werner Herzog ins Spiel, der spätestens seit seinem Umzug in die USA eine Persona entwickelt hat, die glaubwürdige beziehungsweise seltsame Auftritte in den „Simpsons“, der „Henry Rollins Show“ oder „Jack Reacher“ hinlegen kann, welche vom Publikum überdies goutiert werden. Werner Herzog ist zu einer Marke der Popkultur geworden.
Werner Herzog? Ist das nicht der Typ, der von München nach Paris wanderte, um seine Mentorin Lotte Eisner zu retten? Der Typ, der seinen Schuh gekocht und gegessen hat? Der Typ, der sogar wiederholt mit Klaus Kinski arbeitete und ihn mit Morddrohungen am Set zu disziplinieren wusste? Der beim Außendreh eines Interviews beschossen wurde und weiterdrehte, weil es sich ja lediglich um eine Schusswunde handelte? Der es für seine Pflicht hält, dem Filmnachwuchs in Workshops seine vielfältigen Erfahrungen zu vermitteln, um den Studenten dann zuzurufen: „Emanzipiert euch von mir!“
„Erinnerungen sind unzuverlässig“
Nach etwa gut 10 Minuten von „Werner Herzog – Radical Dreamer“ sorgt dann das Stichwort „Erinnerungen“ („Erinnerungen sind unzuverlässig!“) für einen Shift von der essayistisch-assoziativen Bilderhäufung zu einer strukturierten biografisch-chronologischen Erzählung. Jetzt kommt Herzogs Kindheit in bitterer Armut zur Sprache, die frühe Begeisterung für das Kino, die ersten Kurzfilme im Umfeld des Jungen deutschen Films, für den Herzog eigentlich zu jung war. Hier springen Wim Wenders und Volker Schlöndorff dem Film als Zeitzeugen zur Seite und erzählen ein weiteres Mal vom Elend des bundesdeutschen Films in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren, in denen keine Bilder deutscher Straßen und deutschen Alltags ins Kino fanden. Das mag mit Ausnahmen so gewesen sein, trifft aber für Herzogs Filme bis „Stroszek“ ebenso zu. Gerne hätte man etwas zum bildungs-biografischen Hintergrund des Filmemachers erfahren, der seine frühen Filme in Griechenland, auf Lanzarote, in Nordafrika oder Peru drehte, doch hier bleibt eine Leerstelle.
Stattdessen gibt es immer wieder die Gelegenheit, dass der Porträtierte, den Wenders einmal als mythische Figur, als „lonesome rider“ charakterisiert, seine prägnanten „Oneliner“ raushauen darf. Im Zusammenhang mit dem Skifliegen heißt es einmal: „Es ist eine Ungerechtigkeit der Natur, dass wir keine Flügel haben.“ Auch ist es höchst unterhaltsam zu beobachten, wenn Herzog seine Taschenspielertricks einsetzt, um Pathos zu produzieren. Man erinnere sich an „Grizzly Man“, als Herzog sich die Audiofiles von Tod des „Bärenverstehers“ Timothy Treadwell in Gegenwart von dessen Mutter anhört und diese anschließend beschwört, diese Bänder niemals anzurühren.
In „Werner Herzog – Radical Dreamer“ wiederholt sich diese Strategie, wenn Herzog sein Elternhaus besucht, sich aber weigert, es zu betreten. Oder wenn er sein Tagebuch von den Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“ hervorholt, sich über die Schriftgröße wundert – und dann aber die Leseerfahrung verweigert.
Sprücheklopfen & ekstatische Wahrheit
Je nachdem, wann man als Zuschauer die erste Gelegenheit hatte, in den fluiden Kosmos der Herzog-Filme einzutreten, kann man über noch nie im Film gesehene Bilder staunen wie in „Aguirre, der Zorn Gottes“, der seinerzeit in der Bundesrepublik kein Erfolg war und bei der Filmbewertung (FBW) kein Prädikat erhielt. Man erfährt und sieht Ausschnitte von der ersten Drehphase von „Fitzcarraldo“ mit Jason Robards und Mick Jagger, die dann abgebrochen wurde und schließlich zur Einwechslung von Klaus Kinski führte. Mit den bestens bekannten Verwerfungen.
Etwas unterbelichtet bleibt die Werkphase nach „Fitzcarraldo“ mit Spielfilmen wie „Schrei aus Stein“ oder „Invincible“, die vom Publikum kaum noch wahrgenommen wurden. Schließlich dann die Kontroversen rund um „Lektionen in Finsternis“ und die Reise in die USA, „mit nichts als einer Zahnbürste“ (Herzog). Hier begann Herzogs Liebesaffäre mit der US-amerikanischen Kultur, die auf Gegenliebe stieß. Als deutlichster Hinweis, dass sich Herzog in den USA neu erfunden hatte, mag sein Auftritt als „Wörner Herzogg“, das Superzeichen in Zak Penns „Zwischenfall am Loch Ness“, gelten. Der Rest ist Geschichte. Aus dem existentialistischen Bildersucher („Meine Kunst kommt aus dem Schmerz, nicht aus dem Vergnügen!“), dem „Ghostwriter of our imaginations“ wurde die „Werner-Welt“ (Nicole Kidman) mit ihren Einschüssen zwischen Spiritualität und Absurdität, zwischen Sprücheklopfen und ekstatischer Wahrheit – befeuert von einer eigentümlichen Mischung aus Enthusiasmus, Neugier und einer Spur von Selbstironie, die auch Einsätze in „The Mandalorian“ zulässt.
Sich einen schlüssigen Reim auf all das in 102 Minuten zu machen, ist nicht der Anspruch von „Werner Herzog – Radical Dreamer“, aber eine unterhaltsame und inspirierte Hommage zum 80. Geburtstag eines Mannes ohne Träume ist es allemal.