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Filmkritik
Über die in Cannes preisgekrönte Fassung dieses Films und über die Person seines Schöpfers sind unsere Leser bereits unterrichtet (Leitartikel 24/1961, 34/1961), desgleichen über die Kontroverse, die "Viridiana" in der Schweiz hervorgerufen hat (Leitartikel heute). Jetzt liegt die deutsche Bearbeitung des Films vor. Es ist festzustellen, daß sie einige der aus Cannes berichteten, offenbar auf reine Schockwirkung berechneten Details nicht enthält. Der Verleih hat ihre Entfernung (16 Meter) für richtig erachtet. Die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit dem Film, so wie Bunuel ihn konzipierte und guthieß, wird dadurch nicht beeinträchtigt. Bunuel hat seiner Rebellion gegen eine dekadente Gesellschaft und ein in gewissen konkreten Ausprägungen lebensfremd und sogar lebensfeindlich gewordenes Christentum die Berechtigung genommen. In der hartnäckigen Weigerung, auch andere Lebensäußerungen und damit andere Dimensionen des Christlichen zu sehen, ist er zu einem blinden Fechter geworden. In "Viridiana" schildert er den Weg einer Novizin, deren Kräfte zum Guten er im Zusammenprall mit aller Verderbtheit der Welt ersticken läßt. An ihrem Geschick sollen sich Gottesglaube, Reinheit und Barmherzigkeit als naturwidrige, weltfremde Irrtümer erweisen. Das "wahre" Leben hingegen vertritt der Sohn ihres Onkels, der, statt die Kräfte in illusionärer Liebestätigkeit zu vergeuden, an die Erneuerung des Hauses und den Ausbau des Landwirtschaftsbetriebes denkt. Er kennt keine lebenshindernden Moralprinzipien mehr, aber er erfüllt das Gebot der Stunde aus seinem Menschentum heraus und erfährt so seine Rechtfertigung durch das Leben selbst. "Ich wußte, daß du einmal mit uns Karten spielen würdest", ist sein Fazit, als Viridiana am Tag nach dem Bacchanale der Bettler, bei dem sie vergewaltigt worden ist, völlig resigniert zu ihm kommt. In der (zum Teil nur für Eingeweihte klar zu entschlüsselnden) symboldurchsetzten Fabel wird die Bankrotterklärung der christlichen Botschaff bis zu einer Leonardo da Vincis Abendmahl nachahmenden Szene geschildert, die das vollkommene Scheitern des Strebens nach dem "himmlischen Mahl" (als dem Symbol der gemeinsamen Schicksalsvollendung in Gott) vorausverkündet. In all dem zeigt sich Bunuel abgründig vom Bösen fasziniert und getrieben von sadistischer Lust. Was an psychologischen Unglaubwürdigkeiten unterläuft, wird allerdings überdeckt durch die aus differenzierter Ausleuchtung gewonnene Bildpoesie und die Kraft eines eigenwilligen Rhythmus, die in Bann ziehen. Bunuel scheint aus einem Menschen, der am Leben litt, ein Lebenshasser geworden zu sein. Er verdient unser Mitleid.