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Filmplakat von Vatersland

Vatersland

118 min | Drama | FSK 12
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Filmemacherin Marie findet im Familiennachlass eine Kiste mit Fotos und Filmaufnahmen. Die Entdeckung wird zum Ausgangspunkt einer Reise in die Geschichte ihrer Familie und die patriarchal geprägte deutsche Nachkriegszeit. Manchmal kämpferisch, manchmal mit Humor werden dabei zeitgeschichtliche und persönliche Traumata verarbeitet. Der erste Spielfilm der Dokumentarfilmerin Petra Seeger ist ein zutiefst persönliches Projekt, voller symbolischer Bilder, geisterhaft schöner Aufnahmen und überlappender Zeitebenen, das das Trauma einer ganzen Generation widerspiegelt.

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Filmkritik

Kann man einen glaubwürdigen Film über die persönlichsten Dinge des eigenen Lebens drehen? Oder muss man sich gerade davon weit entfernt halten, so weit „objektivieren“ wie möglich? Mit dem Claude-Simon-Zitat „Alles ist autobiografisch, selbst das Erfundene“ wischt die Regisseurin Petra Seeger eingangs gleich alle Einwände beiseite. Zuletzt hatte sie 2008 mit dem eindrucksvollen Dokumentarfilm Auf der Suche nach dem Gedächtnisüber den Hirnforscher Eric Kandel auf sich aufmerksam gemacht. Ihr erster Spielfilm „Vatersland“ wirkt nun wie eine Fortsetzung der Arbeit an diesem Filmessay mit anderen Mitteln. Die Hauptfigur Marie (als Erwachsene dargestellt von Margarita Broich) gerät darin auf die Suche nach ihren Erinnerungen an ihre eigene Kindheit, als ihr eine große Kiste mit Fotos und Filmaufnahmen aus ihren ersten Jahren zugeschoben wird. Der Autor dieser Aufnahmen ist Maries Vater, ein professioneller Fotograf, der ihre Kindheit und Jugend als stets gegenwärtiger Bildermacher begleitet und dokumentiert hat.

Wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis

Mit dem Vater und ihrem älteren Bruder ist Marie in einem Männerhaushalt aufgewachsen, wobei sie den frühen Tod der Mutter nie wirklich verarbeitet hat. Erst nach und nach enthüllt sich dieser vor ihr lange verheimlichte Tod wieder, wie ein gut gehütetes Familiengeheimnis, das sich als Trauma in ihre Erinnerungswelten eingegraben hat und diese auch heute noch als überraschender Schock dominiert. Schon das lange Siechtum der Mutter und dessen Bedeutung haben die Männer – besonders der Vater – immer wieder vor ihr zu verbergen versucht.

So steht im Zentrum der Erinnerungen an die 1950er- und 1960er-Jahre der Männerhaushalt, in dem sie gelebt hat, was der Film einmal zu dem prägnanten Bild dreier Feinripp-Unterhosen auf der Wäscheleine verdichtet. Eingerahmt von der großen Unterhose des Vaters und der etwas kleineren des Bruders hängt Maries dezenter Slip etwas verloren dazwischen. Das Bild macht die Machtverhältnisse überdeutlich.

Das brave Mädchen soll in die Kamera lächeln

In der Jetztzeit befindet sich die Filmemacherin Marie in einer Schaffenskrise, die ihr krisenhaftes Leben spiegelt, in dem sie gegen die Dominanz ihres Vaters mühsam eine eigene Identität als Mädchen und Frau entwickeln musste. Was nur als Rebellion gegen die sie umgebende Männerwelt möglich war und gegen die davon abgeleitete Frauenherrschaft im katholischen Mädcheninternat, wo sie mit Weihnachtsmännern die Unterwerfung unter die Männerherrschaft einüben musste. Erst spät dämmert es der Hauptfigur, dass die filmischen und fotografischen Exzesse des Vaters, in dessen Kamera sie immer standardisiert als „braves Mädchen“ lächeln durfte, vor allem eine Form der Distanzierung gewesen sind, die ihn davor bewahrte, sich Maries kritischem Blick stellen zu müssen. Für die Filmemacherin spiegelt sich darin auch ihre eigene Deformation wider.

Das alles zum Thema zu machen, gelingt Petra Seeger nur, weil sie das umfangreiche dokumentarische Material aus ihrem eigenen Privatarchiv mit Spielfilmelementen ergänzt, in denen auf drei weiteren Zeitebenen jeweils eine andere Darstellerin das Heranwachsen Maries verkörpert. Nur so lässt sich dem gar nicht so unschuldigen Originalmaterial mit den 16mm-Filmaufnahmen doch noch ein gesamtes Lebensbild abtrotzen.

Erinnerung lässt sich eben nicht allein aus Filmdokumenten gewinnen. Für die Stimmungen und Gefühle der Protagonisten braucht es das engagierte Spiel lebendiger Darsteller. Die besondere Leistung dieses feministisch geprägten Selbstbildnisses ist es, aus den stark divergierenden Elementen einen harmonischen Fluss der Erinnerungen zu kreieren, der immer wieder von selbstreferenziellen Überlegungen der Filmemacherin unter- und durchbrochen wird. Längst hat Petra Seeger ihr „Vatersland“ verlassen und in ein höchst eigenständiges künstlerisches „Eigenland“ anverwandelt.

Große Themen in kleinen Details

An der kleinen Welt ihrer Kölner Familie demonstriert Petra Seeger mit viel Situationswitz und lebendigem Zeitkolorit, wie die ganz großen Themen – hier insbesondere Verlust und Trauer – sich in kleinen Details widerspiegeln. Da stört es auch nicht, dass die Hauptfigur von mehreren Darstellerinnen verkörpert wird, die sich in der Schlusseinstellung sogar die Hand geben.

Und so mag man am Ende im Kino sitzend über seine eigenen Erinnerungen mit all ihren Finten und Widersprüchen nachdenken: Alles ist autobiografisch, vor allem das Erfundene. Ein eindrucksvoller, emotional oft bewegender und gedanklich vielschichtiger Film, der das Persönliche mit leichter Hand zum Allgemeinen zu verdichten versteht.

Erschienen auf filmdienst.deVaterslandVon: Josef Schnelle (26.7.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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