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Filmkritik
Es gibt zwei Ideen von Geschichte in „To the Moon“. Gemachte Geschichte und behauptete Geschichte. Geteilt sind sie nicht in zwei Narrative, sondern zwei Figuren. Zwei Figuren, die sich auf den ersten Blick ineinander verlieben. Flugdirektor Cole Davis (Channing Tatum) ordert routinemäßig seinen abendlichen Coffee-to-Go und das dazugehörige Sandwich in dem Diner, das seinem Arbeitsplatz, Cape Canaveral, am nächsten ist. Zwischen den üblichen Diner-Gästen ist an diesem Abend ein neues Gesicht: Kelly Jones (Scarlett Johansson). Zwei Augenkontakte später ist die Sache klar: beide sind Feuer und Flamme füreinander; buchstäblich, denn Kellys Blicke sind so sehr auf den NASA-Mann konzentriert, dass die Arbeitsunterlagen, die sie unachtsam unter die Tischkerze hält, Feuer fangen.
Es fehlt nur die Zeit für den nächsten Schritt. Cole ist auf dem Sprung, Kelly hat trotz des Brands noch immer einen Haufen Arbeit vor sich. Es hat Funken geschlagen, die Romanze hat es trotzdem schwer. Denn für diese müssen nicht nur einfach zwei Menschen, sondern, wie der Film bald zeigen wird, zwei Realitäten zusammenfinden.
Karrierefrau und amerikanischer Held
Beide Menschen, beide Realitäten kommen bald wieder zusammen, zum amerikanischen Großprojekt der 1960er-Jahre: der Mondlandung. Ihre Wege dorthin könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie, Kelly Jones, ist ganz „Career Girl“, aufgewachsen in einer Welt, die ihr nichts zu schenken gedenkt, aber eben auch genug Chancen bietet, auf Kosten der anderen Erfolg zu haben. Ihr erster Auftritt zeigt sie in einem Meeting. Sie am Kopf des Konferenztischs, in knallig pinkem Kleid, mit riesigem Babybauch. Ihr gegenüber: ein Trio von Automobilkonzern-Patriarchen, die sie erst für eine Sekretärin halten, dann ihre Ideen lächerlich machen und schließlich einen Werbedeal mit ihr unterzeichnen.
Den Babybauch schnallt Kelly wenig später ab und setzt ihre Karriere, nachdem sie den ominösen Geheimdienstmann Moe Berkus (Woody Harrelson) trifft, bei der NASA fort. Die Raumfahrtbehörde hat ein mittelschweres Marketing-Problem. Das Rennen ins All gilt nach Sputnik und Gagarins erstem Raumflug bereits als „verloren“, und die gewaltigen Ausgaben für das Rennen zum Mond sind, angesichts von Armut, Bürgerbewegungsprotesten und vor allem dem Krieg in Vietnam, nicht allzu populär.
Cole Davis hält den Laden trotz der damit einhergehenden Budget-Krise am Laufen. Er ist, allen Maßstäben nach, außer seinem Alter, ein Relikt der „Greatest Generation“. Ein begnadeter Pilot, Veteran des Koreakriegs, Silver-Star-Träger. Ein echter amerikanischer Held, der als solcher hochallergisch auf das Wort „Held“ reagiert. Cole erfüllt seine Pflicht, nicht für sich, sondern für die Männer und Frauen, die unter ihm arbeiten. Als Flugdirektor der NASA ist er an erster Stelle ein Mann seines Worts und damit in den alternativgeschichtlichen 1960er-Jahren nicht mehr allzu zeitgemäß.
Die NASA braucht Publicity
Die NASA braucht mehr als den aufrichtigen und effektiven Führungsstil, der in Hangar, Technikhalle und Kontrolltower gut funktioniert. Die NASA braucht Publicity, braucht die Spins, Betrügereien und Lügen, die Kelly Jones an die Spitze der Werbeindustrie geführt haben, um drei Astronauten zum Mond führen zu können. Bevor der Flugdirektor verstanden hat, was es mit der aus Washington befohlenen Marketing-Kampagne auf sich hat, hat Kelly bereits einen Schauspieler engagiert, der an seiner Stelle Interviews gibt. Tatsächlich ist die Frau, die Cole bald aus seinem Sichtfeld in ein Abstellkammer-Büro, nicht aber aus seinen Tagträumereien verbannt, enorm erfolgreich. Im gefällig-nostalgischen Ton der romantischen Komödie wird nicht nur der Finanzhaushalt der NASA mit geschickten Werbedeals saniert, sondern auch das angeschlagene Verhältnis zwischen dem Flugdirektor und der Marketing-Direktorin. Gemeinsam ziehen sie los, um die letzten Senatoren zu überzeugen, das neue Budget für Apollo 11 im Kongress durchzuwinken. Er fliegt das Propellerflugzeug, sie umgarnt die Senatoren.
Was die neue Harmonie gefährdet, die der Film von Greg Berlanti dick mit Swing unterlegt, aber nie allzu körperlich werden lässt, ist ein weiteres Mal die alternative Realität. Denn CIA-Apparatschik Berkus glaubt nicht an den Erfolg der Mission. Er ordert eine falsche Mondlandung, die Kelly in einer der ungenutzten NASA-Hallen drehen und an Stelle der eigentlichen Mission live übertragen soll.
Ein Kampf um die Wahrheit
Mit der Fake-Mondlandung beginnt die eigentliche alternative Geschichtsschreibung, die überdeutlich den Finger aus der Vergangenheit in Richtung des Zeitalters der Botfarmen und alternativen Fakten ausstreckt. Der Kampf um den inneramerikanischen Frieden, um die Fähigkeit, gemeinsam Großes zu vollbringen, ist ein Kampf um die Wahrheit. An ihr hängt nicht nur die Beziehung zwischen Cole und Kelly, sondern auch die Idee einer amerikanischen Gemeinschaft.
Das dazugehörige Pathos findet aber letztlich keinen eigenen Weg, sondern wird zusammen mit der angedeuteten Liebelei und der Swing-Nostalgie in die Spannungsmechanik der versuchten Mondlandung kanalisiert, sprich: in eine Variante der Geschichte eingebunden, deren Erfolg bekannt ist. Wirklich auf dem Spiel steht nichts mehr. Man weiß: Armstrong, Aldrin und Collins werden es zum Mond schaffen, man kennt sogar die Worte, die Armstrong zu den rund 600 Millionen Zuschauern sprechen wird.
Alle Wogen geglättet
Greg Berlantis Film möchte all das nicht auf den Kopf stellen, die Historie aber dann doch nicht gänzlich über den Haufen werfen. Mit anderen Worten: „To The Moon“ weiß nicht, wohin mit sich: Für einen Thriller hat die Mondlandung nicht genug Zug, die angedrohte alternative Mondlandung im Studio ist nicht allzu bedrohlich oder gar komisch und die Romanze zwischen Davis und Jones eher unterkühlte Annäherung als Feuerwerk der Leidenschaft.
Die aus beiden Genres zusammengepantschte Vergangenheit fabuliert sich der Film als gesamtamerikanischen Triumph, der alle Komplikationen aus dem Weg räumt und alle Wogen glättet, indem er jede einzelne Lüge mit der Wahrheit überschreibt, bis die Historie selbst nicht mehr zur Geschichte taugt.