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Filmkritik
Der Untergang des englischen Luxusliners „R.M.S. Titanic“ am 15. April 1912 i den eiskalten Fluten des Nordatlantik löste in der westlichen Welt eine Erschütterung aus, die sich heute ähnlich schwer nachempfinden lässt wie die Reaktionen auf das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755. Beide Katastrophen markierten das Ende eines kollektiven Traums: den Glauben an die Vorsehung Gottes beziehungsweise an die Allmacht der Technik.
Der Schock über das Verglühen der amerikanischen Raumfähre „Discovery“ war dagegen eine vergleichsweise sentimentale Marginalie, vielleicht auch, weil das Unglück Tage später bereits von anderen Schreckensbildern überlagert wurde. Am Beginn des 20. Jahrhunderts aber schlug die Nachricht von der Havarie der Titanic wie eine Bombe ein. Vier Tage nach dem Stapellauf sank der stählerne Riese, der wegen seiner wasserdichten Schotten als unsinkbar galt, nach einer Kollision mit einem Eisberg in den Fluten des Atlantiks. Mehr als 1500 der insgesamt über 2200 Menschen an Bord fanden den Tod.
Die Fülle der Spekulationen, Theorien und Mythen, die sich binnen kurzem um das gekenterte „Schiff der Träume“ rankten oder in Romanen, Filmen und Opern wilde Blüten trieben, bezeugt eindrucksvoll das emotionale und intellektuelle Nachbeben der tragischen Jungfernfahrt. Selbst in der Gegenwart ist das Interesse an den Umständen des Unfalls nie ganz verschwunden. Als 1985 das Wrack von einem Forscherteam nahe Neufundland aufgespürt wurde, zierten die Aufnahmen des Geisterschiffes die Titelseiten der Illustrierten weltweit.
Auf der Suche nach dem „Herz des Ozeans“
Regisseur James Cameron bezieht sich in seinem hochambitionierten Epos indirekt auf die Wiederentdeckung, wenn er seine fiktive Geschichte der Ereignisse mit einer Rahmenhandlung umgibt. Moderne Grabräuber dringen auf der Suche nach einem sagenhaften Diamanten, dem „Herz des Ozeans“, in den Todesdampfer ein, fördern stattdessen aber nur eine Aktzeichnung mit dem Schmuckstück ans Tageslicht. Da aber meldet sich eine schlohweiße Greisin mit der Behauptung, sie sei das Mädchen auf dem Bild: Rose DeWitt Bukater. Inmitten der Fundstücke erinnert sich die alte Frau an jene vier Tage, die ihr Leben grundlegend veränderten: Wie sie als 17-Jährige in Southampton zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Verlobten, dem Milliardär Cal Hockley, die Gangway hochstieg, sich aus Überdruss und Verzweiflung über ihr versnobtes Dasein das Leben nehmen wollte, von einem jungen Maler namens Jack Dawson gerettet wurde und dessen unkonventionellen Avancen erlag.
Mit ihr gleitet der Film 84 Jahre zurück in die euphorische Menschenmasse, die den Auslauf bejubelte, und taucht ein in die vibrierende Atmosphäre an Bord, in die spartanischen Unterkünfte der dritten Klasse, wo bettelarme Emigranten der Zukunft entgegenfiebern, in die Salons und Suiten auf dem Oberdeck, wo das edwardianische Reglement jede Regung ins Korsett der Standesdünkel zwängte. Während in den Tiefen des Schiffes verrußte Heizer Kohle in die Feuerschlünde schaufeln und die ölglänzenden Maschinen immer schneller stampfen, spiegelt sich an Deck ein getreues Gesellschaftsbild der alten wie der neuen Welt: vornehme Langeweile und gediegene Konversation, hungrige Abenteuerlust und überschießende Erwartungen.
Der gebürtige Kanadier James Cameron aber ist nicht nur ein Perfektionist, sondern auch ein durch und durch US-amerikanischer Regisseur, weshalb die schrankenübergreifende Liebesgeschichte zwischen dem Upper-Class-Mädchen und dem jungen Underdog das Kraftfeld des gigantomanischen Opus bildet. Rose, von der robusten Kate Winslet wundervoll als schlummernder Vulkan gespielt, droht an der verbissenen Etikette ihrer Schicht zu ersticken, weiß aber bis auf kleine Fluchten in die Traumwelten der französischen Impressionisten keinen Ausweg. Als sie auf den Freigeist Jack trifft, der mit Leonardo DiCaprio zwar zielpublikumsgerecht, aber dennoch falsch, weil viel zu jung besetzt ist, spürt sie die Verheißung eines selbstbestimmten Lebens. Winslet vermag Roses plötzlicher Entscheidung, dieser Stimme des Herzens zu folgen, sogar den Anstrich von Plausibilität zu geben, obwohl es Cameron weniger darum zu tun ist, diese Wandlung auszuleuchten, als vielmehr die Magie der Anziehung in Szene zu setzen.
Im Himmel der ewigen Liebespaare
Das aber tut er mit einer Intensität und Meisterschaft, die Rose und Jack in den Himmel der ewigen Liebespaare hebt. Vor allem Kate Winslet umspielt er als Botticelli-Venus und leiht dem verliebten Blick des Malers eine stupende Fülle an Anspielungen und Stimmungen, vor deren Hintergrund der irrwitzige, auf historische Hypergenauigkeit fixierte Aufwand des Films verblasst. Erst die Lektüre des Presseheftes offenbart die manische Akribie, mit der bis in kleinste Ausstattungsdetails hinein ein Fetisch um eine möglichst authentische Rekonstruktion des Schiffes und seiner Interieurs betrieben wurde. Den zweiten Riesenanteil des ominösen 300-Millionen-Mark-Budgets verschlang der Bau eines eigenen Studios in Mexiko, wo die Katastrophenszenen gedreht wurden.
Eingangs des Films war man als Zuschauer mittels Computersimulation bereits über die letzten wissenschaftlichen Erkenntnisse informiert worden, warum und wie der Ozeanriese innerhalb von zwei Stunden von der Wasseroberfläche versinken konnte. Dieser Kunstgriff erlaubt Cameron, sich ohne weitere Erklärungen ganz auf die spektakuläre Inszenierung zu stürzen, ähnlich wie er die etwa in Herbert Selpins Titanic-Version (1943) strikt antisemitisch gewendete Schuldfrage nur am Rande streift: Bruce Ismay, der Besitzer der Reederei „White Star Line“, macht dem Kapitän klar, dass er durch eine Rekordfahrt Schlagzeilen machen will.
Trotz dieser geschickt strukturierten Erzählweise berühren der Untergang und die Tragödien, die sich dabei an Bord abspielten, am wenigsten. Das mag zum einen daran liegen, dass Camerons Aufmerksamkeit auch hier mehr dem Dreiecksdrama gilt, resultiert aber auch aus den Erschöpfungserscheinungen des Genres - und aus der an unvorstellbaren Katastrophen überreichen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zwar übergeht der bis in die Liebesszene politisch korrekte Film natürlich nicht die soziale Verteilung beim Sterben, wonach überproportional viele Reiche, aber nur wenige aus der dritten Klasse überlebten, bekommt aber weder die Massenpanik noch das moralische Versagen derer in den Rettungsboten in Griff, die keinerlei Anstalten machten, Menschen aus dem Eiswasser zu fischen.
Eine ergreifende Liebesgeschichte
Camerons „Titanic“ ist unabhängig von manchen Einschränkungen dennoch ein sehenswerter Film, weil er trotz seiner Länge keine Sekunde langweilt und durch seinen angenehm ruhigen Rhythmus eine Vielzahl von Themen anspielt. Mag der überzogene Historismus auch lächerlich und gerade in seiner Fixierung auf Details statt auf Schicksale sogar bedenklich sein, so rückt die ergreifende Liebesgeschichte alle Bedenken zurecht. Shakespeare hat schließlich auch niemand gefragt, ob er die geschichtlichen Aspekte zwischen Verona und Mantua exakt wiedergegeben hat.