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Filmkritik
England ist das klassische Land der Versuche zur Rettung des Theaters für den Film. Noch stehen Oliviers Shakespeare-Verfilmungen im heftigen Widerstreit der Meinungen, da erscheint auf dem deutschen Filmmarkt ein noch gewagterer Versuch, die Verfilmung von Jaques Offenbachs "Hoffmanns. Erzählungen", einer Oper mit einem Prolog, einem Epilog und drei Akten. Ohne jede Rahmenhandlung und mit nur geringen Abweichungen, so wie sie seit ihrer Uraufführung in Paris (1881) auf den Bühnen der Welt Triumphe feierte. -- In Lutters Kneipe in Nürnberg zecht der immer verliebte und immer betrunkene Dichter Hoffmann im Kreise von lustigen Studenten und wartet auf den Schlüssel zum Zimmer seiner Geliebten, die noch im Theater tanzt. Unterdessen erzählt er die Geschichte seiner Liebe: Zunächst zu Olympia, einer von den Mechanikern Spalanzani und Coppelius konstruierten singenden und `tanzenden, Puppe, die er durch eine Zauberbrille für ein Wesen aus Fleisch und Blut hält. Aus Rache an seinem betrügerischen Kumpanen zerschlägt Spalanzani aber sein Werk und Hoffmanns Illusion. -- Dann zu Giulietta, der Buhlerin von Venedig, die ihren Liebhabern die Seele für den teuflischen Dapertutto entreißen will. Auch Hoffmann ist ihr verfallen, kann sich aber durch einen Zweikampf und das Zerschlagen des Zauberspiegels aus ihrem Bann befreien. - Und schließlich Antonia, die kranke Tochter Crespels, die nicht singen darf, es aber Hoffmann zu liebe doch tut und tot zusammenbricht. - Im Epilog erkennt Hoffmann seinen Abstand zu Stella. Er überläßt sie seinem Rivalen Lindorf und ist stolz auf seine einzige Berufung: Dichter zu sein. - Die Uraufführung dieses Films in der Metropolitanoper in New York, ein gesellschaftliches und künstlerisches Ereignis, zeigt die Bedeutung, die man diesem Werke beimißt. Und wirklich hat man in England alles darangesetzt, dem Film das Format zu geben, das der. Weltgeltung der Oper entspricht.. Die Musik Offenbachs wird durch Thomas Beecham (der "Hoffmanns Erzählungen" 1910 zum ersten Male in England aufführte) und das Königliche Philharmonische Orchester interpretiert. An der Ausstattung, die ihresgleichen sucht, arbeitete Hein Heckroth (ein Deutscher, der sich durch die expressionistische Ausstattung des "Cabinett des Dr. Caligari" seine Sporen verdiente) zwei Jahre. Die beispielhaft gründliche Vorbereitung kommt der feinpointierenden Regie M. Powells und E. Pressburgers zugute, die sichtlich ihre Erfahrungen mit ihrem erfolgreichen Film "Die roten Schuhe" verwerten. Erste Darsteller und Sänger (nur Hoffmann und Antonia singen ihre Rollen selbst) aus fünf Nationen erzielten bewundernswerte Leistungen. (Glänzend gelungene Synchronisation.) Und alle Details klingen zusammen zu einer Symphonie von Melodien, Bewegungen, Rhythmen und Farben. Und doch bleibt der Film - eine Oper. Sicher versucht die Kamera akustische Längen durch optische Äquivalente (z.B. Ballettszenen) aufzulösen. Sicher entsprechen gerade die Ballettszenen den Anforderungen filmischer Choreographie. Ebenso bindet die Regie die drei eigenständigen Kunstformen Oper, Ballett und Film recht eng aneinander. Auch wird die Musik bildlich gedeutet. Und schließlich tun sich filmisch einzigartige Möglichkeiten auf (Perspektive, Übergang, Vorhang nach dem 3. Akt zum Epilog). Das ist viel, sehr viel. Letztlich bleibt aber der Eindruck der Oper und nicht des Films. Dazu noch einer Oper, der die Unmittelbarkeit der Bühne fehlt. Hier zeigt sich die ganze Fragwürdigkeit (bitte wörtlich zu nehmen) einer Theaterverfilmung. Trotz vollendetster Darbietung wird man neugierig sein dürfen, wie das Publikum diese neue "Volksoper" aufnehmen wird, vor allem, weil der Film im großen und ganzen in Originalfassung gezeigt wird (was natürlich der künstlerischen Seite entgegenkommt). Wer einen Film erwartet mit allem Realismus oder auch aller Romantik - kurz mit der Illusion der Wirklichkeit - kommt nicht auf seine Kosten. Anhänger des Theaters, Liebhaber schöner Tänze und Freunde interessanter Filme sollten sich aber dieses lobenswerte Experiment nicht entgehen lassen.