Vorstellungen
Filmkritik
Eigentlich müsste man eine Filmgeschichte entlang von Filmszenen schreiben, in denen sich die Hauptfiguren bei einem Karaoke-Abend auf die Bühne wagen; Momente dramatischer Zuspitzung, lächerlicher Verletzlichkeit oder peinlicher Sentimentalität lassen sich zuhauf zusammentragen. Aus jüngerer Zeit würde man etwa an die romantisch-peinliche Müdigkeit des von Chloë Sevigny vorgetragenen Songs „The Bluest Eyes in Texas“ in „Boys Don’t Cry“ denken. An Scarlett Johansson und Bill Murray in „Lost in Translation“ oder das doppelbödige Spiel von Ralph Fiennes und Dakota Johnson in „A Bigger Splash“. Die französische Regisseurin Léa Mysius fügt dieser Liste in „The Five Devils“ jetzt eine besonders ergreifende Szene hinzu, deren erotisch-verzweifeltes Begehren einem die Kehle zuschnürt.
Für immer: Du
Als würden ohnehin nicht bereits alle darüber sprechen, muss es auch noch die Bühne sein. Jedenfalls zieht Joanne (Adèle Exarchopoulos) die zögerliche Julia (Swala Emati) eben dorthin. Gemeinsam intonieren sie den Klassiker von Bonnie Tyler, „Total Eclipse of the Heart“. Doch die beiden Frauen singen nicht fürs Publikum. Es ist vielmehr eine Liebeserklärung füreinander, ein Statement: „And I need you now tonight / And I need you more than ever /And if you only hold me tight / We'll be holding on forever.“
Für immer, eine Liebe gegen alle Widerstände! Joannes Mann Jimmy (Moustapha Mbengue) ist entsetzt, was seine Frau dort oben mit seiner Schwester vor aller Augen offenlegt. Und auch Joannas Tochter Vicky (Sally Dramé) weiß nun um das geheime Begehren, was schon so lang unter der Oberfläche der Familie brodelt.
Diese Szene ist das Herzstück von „The Five Devils“. Nach ihrem sinnlich-behutsamen Debütfilm „Ava“, in dem Mysius das sexuelle Erwachen eines 13-jährigen Mädchens porträtierte, die ihr Augenlicht verliert, spinnt die Filmemacherin nun die feinen Fäden einer eigenwillig-subversiven, vor allen Dingen sehr weiblichen Mythologie.
Im Grunde lebt Joanne mit Jimmy ein langweiliges Leben in einer französischen Kleinstadt. Sie arbeitet im örtlichen Hallenbad als Bademeisterin, gibt Kurse für Rentner. Erfüllung findet sie darin so wenig wie in ihrem restlichen Leben. Die Ehe mit Jimmy ist erkaltet, wie es lang überhaupt keine Wärme gibt in diesem Film. Immerzu steigt die tieftraurige Frau in einen kalten See, um dort ihre Bahnen zu ziehen - eine Art Selbstkasteiung.
Eine Welt mit magischen Elementen
Dann kündigt sich die Schwester von Jimmy an, die aus dem Gefängnis entlassen wurde. Mit ihr hatte Joanne vor einiger Zeit eine stürmische Liebesbeziehung. Doch die Zukunft ging mit der psychisch labilen Julia buchstäblich in Flammen auf, was viele bis heute nicht vergessen haben. Mit der Ankunft der ehemaligen Geliebten bricht das alte Begehren wieder auf. Tochter Vicky muss sich der Vergangenheit und dem Zusammenbruch ihrer Familie auf ganz eigene Weise stellen.
„The Five Devils“ ist kein Film, den man verstehen kann. Vielmehr muss man der Regisseurin in eine Welt folgen, in der magische Dinge passieren. Unaufgeregt und ohne je den strengen Realismus der Bildgestaltung zu verlassen, brechen Genremuster in die Geschichte ein, die von gesellschaftlicher Normierung, Homophobie und Rassismus handelt; Mysius findet dafür aber ganz neue Bilder, die oftmals kühl und aus der Distanz von hitziger Rastlosigkeit und kalter Liebe erzählen.
Feuer und Wasser sind auch jene Elemente, die von Anfang an gesetzt sind, als Symbole für gefährliche Rebellion und kontrolliert-schmerzhafte Unterdrückung. Während Joanne als disziplinarisches Ritual ihre streng getimten Runde im eiskalten See schwimmt – nie länger als zwanzig Minuten, da sonst die Muskeln verkrampfen –, gilt Julia als wahnsinnige Pyromanin, die alles in Brand steckt.
Die symbolische Ebene ist insofern von größter Bedeutung, als beide Frauen schon vor zehn Jahren eine Beziehung eingegangen sind und kurz davor waren, nach Marseille durchzubrennen. Doch eine lesbische Beziehung, zumal auch noch mit einer Schwarzen Frau, hätte den gesellschaftlichen Druck hochkochen lassen.
Erinnerungsspuren durch die Zeit
Erzählt wird dies alles in Rückblenden, durch die Augen der kleinen Tochter Vicky. Diese besitzt die Gabe eines ungewöhnlichen Geruchssinns, der es ihr erlaubt, den Duft von Gegenständen und Menschen zu reproduzieren, der buchstäblich der Duft der Zeit ist: Sie kann sich an vergangene, ihr eigentlich fremde Momente erinnern und das Geheimnis ihrer Familie lüften. Die grausame Frage, die dabei aufsteigt: Wäre ich eigentlich geboren worden, wenn die Beziehung zwischen meiner Mutter und dieser Frau geklappt hätte?
Was die ganze Sache noch verkompliziert, ist eine seltsame Verwicklung der Zeit, in der Vicky der fragilen Julia von jeher erschienen ist. Anscheinend sind jene Frauen, die zu dieser hochsensiblen Sinnlichkeit fähig sind, über alle Zeiten hinweg miteinander auf kindliche Weise verbunden.
Léa Mysius webt in „The Five Devils“ ein solidarisch-feministisches Band, das in seiner Grundstruktur nicht weit von der fantastischen Welt entfernt ist, die Nicolas Windung Refn und seine Co-Autorinnen in der Serie „Copenhagen Cowboy“ entworfen haben. Übernatürliche Fähigkeiten werden mit einem Gender verknüpft und dadurch der patriarchalen Ordnung entzogen. Auf den ersten Blick ist das sperrig, kühl und ungewohnt; was aufdeckt, wie sehr unser Sehen und unsere narrativen Erwartungen auf vorgefertigten Mustern basieren. Das Geheimnis von „The Five Devils“ bleibt jedenfalls ungelüftet. Es ist weiblich, selbstbestimmt und unendlich gut.