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Filmkritik
Der Regen hört nicht mehr auf. Das Wasser fällt unaufhörlich vom Himmel, bis eine große Flut das Land überzieht. Doch eine Arche ist nicht in Sicht. Alle tiefergelegenen Ebenen in England gehen unter. Die Straßen der Metropolen werden zu Flüssen, die Plätze zu Seen. London muss evakuiert werden.
Mit dem Beginn der Katastrophe bringt eine junge Frau (Jodie Comer) ein Kind zur Welt. Gemeinsam mit ihrem Partner R (Joel Fry) flieht sie zu dessen Eltern aufs Land. Die Dörfer sind abgeriegelt und nur für Bewohner zugänglich. Weil sie ein Neugeborenes bei sich haben, werden die beiden zwar aufgenommen. Doch die Hoffnung auf eine baldige Entspannung wird jäh enttäuscht. Hunger und Verzweiflung grassieren. Als Rs Mutter bei der Lebensmittelausgabe totgetrampelt wird, beginnt für die junge Frau eine Odyssee, bei der sie sich von ihrem Partner trennen muss. Denn im Auffanglager werden keine Männer mehr aufgenommen.
Gegenwurf zur männlichen Katastrophe
Es erscheint naheliegend, sich für eine pragmatische Lösung zu entscheiden. Schließlich ernährt die Mutter das Kind; sie ist das Ökosystem des heranwachsenden Lebens. Eine Trennung auf Zeit, bis alles überstanden ist. So lautet der Plan, der dann aber von gewalttätigen Plünderern hinweggefegt wird. Gemeinsam mit einer anderen Mutter bleibt der namenlosen Protagonistin nichts anders übrig, als sich mit ihrem Baby auf eine gefährliche Wanderschaft zu begeben. Zu viert wollen sie eine Kommune im Norden erreichen, eine Insel, auf der sich wohlhabende Menschen in Sicherheit gebracht haben.
„The End We Start From“ ist allerdings nicht der nächste apokalyptische Katastrophenfilm. Weder huldigt der Film dem Weltuntergangs-Gigantismus eines Roland Emmerich, noch bietet sich die düstere Cormac-McCarthy-Verfilmung „The Road“ als passende Referenz an. Der Film von Mahalia Belo und der Drehbuchautorin Alice Birch ist vielmehr ein Gegenentwurf zu dem von Männern dominierten Überlebenskampf, deren Rolle als Ernährer der Familie durch die Welt infrage gestellt wird.
Nur auf der allerersten Ebene kann man „The End We Start From“ als Katastrophenfilm missverstehen, wenngleich er von einer Naturkatastrophe ganz anderer Art handelt. Nach dem Roman „Vom Ende an“ von Megan Hunter entwirft der Film eine eindringliche Studie über Mutterschaft: von der Einsamkeit bis zu den bisweilen tektonischen Verschiebungen im Leben von Frauen. Ein Kind zu bekommen hat mit pastellfarbenen Mutti-Accounts auf Instagram wenig zu tun. Es ist vielmehr eine existenzielle Krise, die immer auch gesellschaftliche und soziale Dimensionen umfasst. Der Körper verändert sich, fremde Menschen glauben sich ungefragt einmischen zu dürfen. Die Rollen von Frau, Mensch und Mutter fallen auseinander. „This is the End“, das Ende des bisherigen Lebens.
Erwartungen werden nicht eingelöst
„The End We Start From“ ist dabei aber keineswegs ein Thesenfilm. Nichts von diesen Themen wird direkt angesprochen, wenngleich in den Dialogen klarsichtig über Verantwortung, Partnerschaft, Geschlecht und Gemeinschaft gesprochen wird. Die Regisseurin benutzt das Genre des Katastrophenfilms als Rahmen, der eine Orientierung verspricht. Nicht selten glaubt man zu wissen, was als Nächstes passiert. Auf den Hunger folgen Plünderungen, folgt Kannibalismus. Doch nichts dergleichen passiert. Die vertrauten Narrative werden atmosphärisch mitgeführt, nur um sie spektakulär nicht einzulösen. Dadurch entfaltet der Film einen starken Sog, da die Geschichte in keinem Moment vorhersehbar ist.
Durch seine Form kommt der Film zu sich. Die Montage der ersten Bilder gibt die Lesart vor. Man sieht die hochschwangere Frau, wie sie ein Bad vorbereitet. Mit dem einlaufenden Wasser wird das Bild zunehmend unscharf. Etwas staut sich auf. Später brechen Dämme; zeitgleich mit den Regenschauern setzen die Wehen ein. Die Fruchtblase platzt, und die Fluten drängen durch die Türen, bis die Fenster zerbersten und nach einem Schnitt die Geburt erfolgt.
Was dann kommt, ist eine wahrhaftige Entfremdung oder sogar eine „Ent-Ortung“. Das Zuhause ist unbewohnbar geworden, die so sicher geglaubten Koordinaten der Beziehung verschieben sich. Wenig überraschend erscheinen dabei vor allem die Männer, die sogenannten Ernährer und Erzeuger, in einem dubiosen Licht; sie verlassen ihre Partnerinnen kurz nach der Flut oder tragen ihre Aggressionen in die Auffanglager.
Neues Leben & das gesellschaftliche Band
Dennoch findet kein undifferenziertes Männer-Bashing statt. In einer der schönsten Szenen taucht Benedict Cumberbatch als traumatisierter Vater auf, der seine Familie nicht retten konnte. Die Familie wird zum Konstrukt, das Menschen eine Bürde auferlegt, aber gleichzeitig Glück und Geborgenheit sowie unendliche Verantwortung und Selbstverlust mit sich bringt. Darauf verweist auch das „Wir“ im Titel. Es geht nicht um eine schlichte feministische Kritik oder einfache Zuweisungen von Geschlechterstereotypen, sondern um Gemeinschaft, deren Herz nur durch neues Leben weiterschlagen kann.
Die Katastrophe wird damit zur grandiosen Metapher, da mit ihr die gesellschaftlichen Auffangnetze zerreißen. Der Klimawandel spielt natürlich auch mit herein. Die erhabenen Aufnahmen der Natur, die auf poetische Weise aus dem narrativen Strang herausgelöst sind, konfrontieren mit der eigenen Naturhaftigkeit. Der Mensch ist eben auch ein Tier, das sich wie der Wurm im feuchten Erdreich in seine Umwelt einfügen muss.
Nichts wird gut
„The End We Start From“ fordert heraus und irritiert. Das ist auch der Grund für seine Zärtlichkeit. Wer sich darauf einlassen und seine Erwartungen aufgeben kann, wird regelrecht umarmt. Ein kluger und sensibler Film, fast wie ein Werk von Alex Garland, nur ohne dessen kraftmeierische Gewalt. Denn als sich die Frau mit ihrer Mutterrolle zu arrangieren beginnt, hört auch der Regen auf. Doch nichts wird gut. Es ist lediglich das Ende, von dem aus man neu beginnen muss. Jetzt erst wird der Titel eingeblendet. Schwarz. Ein Ereignis.