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Filmkritik
Das Telefon ist tot. Lose hängt das Kabel herunter, das es mit dem Netz verbinden sollte. Der Apparat ist nicht angeschlossen; der Keller, an dessen Wand er befestigt ist, hat keine Verbindung zur Außenwelt. Und doch ist es das Klingeln dieses schwarzen Telefons, das den entführten Finney (Mason Thames) aus seinem Schlaf reißt. Als wolle das Geräusch den 13-jährigen Jungen verspotten und ihm einen Gesprächspartner oder einen Ausweg vorgaukeln, den es nicht gibt. Sein Entführer (Ethan Hawke) sitzt eine Etage über ihm und harrt geduldig auf einem Stuhl neben dem Kellerabgang – den Oberkörper nackt, permanent durch die Maske grinsend, einen Ledergürtel in der Hand.
Die Tür zum Keller steht zu diesem Zeitpunkt einen Spalt offen. Ein scheinbares Versehen des Mörders, eine scheinbare Chance für das Opfer. Doch bevor Finney die Tür ganz aufstößt, klingelt erneut das Telefon. Eine Kinderstimme dringt durch das Rauschen. Sie warnt Finn, die Tür nicht zu öffnen, den Keller nicht zu verlassen, das Spiel des Mörders nicht mitzuspielen. Es ist die Stimme seines vorigen Opfers, eine Stimme aus dem Jenseits, die dem verzweifelten Jungen einen kleinen Hoffnungsschimmer eröffnet.
Ein archetypisches Stephen-King-Setting
Die Kleinstadt, die von dem „Grabber“ genannten Kindermörder in den 1970er-Jahren heimgesucht wird und einen solchen Hoffnungsschimmer bitter nötig hat, ist ein geradezu archetypisches Stephen-King-Setting. Nicht zufällig, denn die Geschichte, auf der „The Black Phone“ basiert, stammt aus der Feder von Kings Sohn Joe Hill, der seinen Horror direkt aus den Kindheitstraumata seiner Protagonisten entfaltet, wobei er erkennbar ans Œuvre seines Vaters anschließt.
„The Black Phone“ blickt ausschließlich durch die Augen der Kinder auf die Vergangenheit, auf das Kleinstadtleben und das Grauen, das hinter dessen Fassade liegt, sowie auf das Übernatürliche, das in diesem Fall den einzigen Ausweg aus der omnipräsenten Gewalt bietet.
So ist der Keller des Grabbers nicht der erste Ort, an dem Finn einem Mann gegenübersteht, der ihn mit dem Gürtel zu bestrafen gedenkt. Sein Vater (Jeremy Davies), ein vom Tod seiner Frau gebrochener Alkoholiker, zieht ihn regelmäßig hervor, um Finn und seine Schwester Gwen (Madeleine McGraw) zu „erziehen“. Die Kinder haben sich in diesem von Gewalt geprägtem Leben eingerichtet. Sie koordinieren ihre außerschulischen Aktivitäten, um den Vater nicht allein dem Alkohol zu überlassen, und stehen einander im nicht minder brutalen Schulalltag bei. „Mobbing“ ist dort nicht einfach Ausgrenzung oder Beleidigung, sondern die Art von Körperverletzung, die der Kleinstadt den von Kameramann Brett Jutkiewicz mit diversen Kulturartefakten unterfütterten nostalgischen Anstrich austreibt. Bis die Geschwister am Ende der Brutalitäten zurück ins solidarische Miteinander finden.
Der Horror wird meist nur angedeutet
Der Horror abseits des Schulhofs wird oft nur angedeutet. Was die Kinder sich antun, aber vor allem, was der Grabber den Kindern antut, liegt meist im Verborgenen. Das Sounddesign erzählt, wie die Stimmung des Vaters von einfachen Alltagsgeräuschen von morgendlicher Mattigkeit in offene Aggression umschlägt. Im Keller übernimmt die Inszenierung Ethan Hawkes Präsenz. Sein ewig auf die Maske eingeschriebenes Grinsen, die dahinter verborgenen, oft zwischen kindlichem Narzissmus und erwachsener Überlegenheitspose changierende Psyche und das so schauerhafte wie gierige Starren: Alles verweist auf die undenkbaren und nie gezeigten Dinge, die der Grabber seinen Opfern antut.
Keller, Schulhof und Einfamilienhaus, sprich: Horrorfilm, Coming-of-Age-Geschichte und Familiendrama kommen im Film nie zu einem kohärenten Gesamtbild zusammen. Die Einzelteile funktionieren aber gerade dort am besten, wo sie als Irritationen das um die Kindheitstraumata herum gebaute Gesamtbild unterlaufen. Etwa wenn der von James Ransone gespielte Bruder des Grabbers die Ermittlungen der Polizei mit seinen auf Kokain und Einfältigkeit gebauten Theorien stört. Oder dort, wo der Entführungsalltag zunehmend in einen nur von geisterhaften Anrufen und den unberechenbaren Auftritten des Grabbers strukturierten Dämmerzustand gleitet, bis das schwarze Telefon erneut klingelt und als gut platzierter „Jump-Scare“ die klassische Horrorfilm-Realität zurückbringt.