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Filmkritik
Wo ist sie da nur hineingeraten? Kathy (Jodie Comer) wollte ihrer Freundin nur etwas vorbeibringen und nun sitzt sie in dieser vor Testosteron überlaufenden Kneipe, dem „Clubhaus“ der Vandals, einem wilden Motorradclub. Leder- und Jeansjacken überall. Mit Motoröl verschmierte Unterhemden werden hier als Abzeichen getragen. Kathy fällt auf und zieht nicht bloß lüsterne Blicke auf sich; auch Hände werden nicht bei sich behalten.
Ein Teil von Kathy möchte weg und nichts mit diesen gegen jede Sittlichkeit stehenden Individuen zu tun haben. Doch irgendwie ist es doch auch aufregend, sich so weit von der bürgerlichen Ordnung zu entfernen. Dann sieht sie Benny (Austin Butler), wie er in sich ruhend, mit einer Aura von verletzlicher Wut, die Billardkugeln bearbeitet. Und schon ist eine besondere Chemie mit im Spiel. Wenig später sind die beiden ein Paar, verheiratet – so viel romantische Ordnung muss sein. Und Kathy mittendrin in der Geschichte der Vandals.
Nach den Bildern von Danny Lyon
Sie ist es auch, die in „The Bikeriders“ die Geschichte erzählt. Genau genommen berichtet sie in langen Gesprächen mit dem Fotojournalisten Danny Lyon (Mike Faist) von den Ereignissen, dem Wachsen und dem Zerfall dieser Kultur. Danny Lyon hat es tatsächlich gegeben und er hat auch die Bikerszene in einem Buch porträtiert, das dem Film von Jeff Nichols den Namen gibt: „The Bikeriders“ (1968). Der Regisseur hat sich von den ikonischen Fotografien inspirieren lassen, den Look des Films danach ausgerichtet und mitunter ganze Einstellungen nachgestellt.
Aus dieser besonderen, lebendigen Atmosphäre in Lyons Bildern zieht Nichols seine fiktive Geschichte, die sich hauptsächlich entlang von drei Figuren entspinnt. Da ist Kathy, die den weiblichen Blick einbringt und eine Figur spielt, die gegen die konservative Frauenrolle der 1960er-Jahre aufbegehrt, ohne ihr wirklich entfliehen zu können. In ihrer Beziehung zum anarchistisch-impulsiven Benny, der in Momenten das Idealbild des Bikers nach dem Modell von James Dean verkörpert, klingt ein Ausdruck des Wandels an. Da arbeiten sich zwei Kräfte aneinander ab, kollidieren Männlichkeitsbilder mit Vorstellungen von Weiblichkeit. Die Liebesgeschichte ist roh und in keinem Moment kitschig. Wenn überhaupt, dann reaktiviert Nichols die Faszination des Rock’n’Rolls, ohne sich in Nostalgie zu flüchten. So muss es sich angefühlt haben, als man das erste Mal „Der Wilde“ mit Marlon Brando gesehen hat.
Ausbruch aus der Mittelmäßigkeit
Die dritte Figur ist der ältere Johnny, den Tom Hardy mit ungeheurer Präsenz spielt. Er ist der Anführer der Vandals. Zuhause hat er eine Familie und verdient als Truckfahrer sein Geld. Er ist es auch, der im Fernsehen „Der Wilde“ mit Brando sieht und plötzlich die Chance ergreift, seinem uniformen Vorstadtleben zu entfliehen. In Benny sieht er so etwas wie einen Sohn, scheitert aber daran, zu einer Vaterfigur zu werden. Vielmehr verkörpert Johnny das Prinzip der Autorität. Notfalls weiß er sich mit Gewalt an der Spitze seines Clubs zu halten, dem sich allerorten neue Ableger anschließen. Im Grunde genommen bleibt Johnny aber ein Spieler, der verzweifelt versucht, seiner Mittelmäßigkeit zu entkommen und in der Motorradgang dazu eine Möglichkeit findet.
Mit unaufgeregt prosaischer Dramaturgie gleitet der Film durch die Episoden, erzählt von den Machtkämpfen zwischen den Bikern, feiert ihre Partys und ihren Lebensdurst mit bis in die Tragödien und den Kollaps, der schließlich in das organisierte Verbrechen mündet.
Das große Drama und damit auch das Spektakel aber bleibt aus. „The Bikeriders“ ist kein Gangsterfilm und auch keine romantische Verklärung einer bestimmten Zeit. Vielmehr taucht der Film mit genauem Blick in die vielschichtige Seele der USA ein. Wenn schließlich die traumatisierten Soldaten aus Vietnam zurückkommen und mit ihnen die Drogen, dann zeigt sich, wie sehr die Biker beinahe uramerikanisch um sich selbst gekreist sind und vor allem ein ästhetisches Unterfangen waren: Biker zu sein bedeutete, eine Haltung im Leben einzunehmen.
Großes Kino der Atmosphäre
Gute Männer waren das nicht, diese Johnnys und Bennys. Nicht nach heutigen Maßstäben. Sie waren aber auch keine Verbrecher. Der kulturelle Wandel, der in den 1960er-Jahren einen Riss durch die Ordnung der Gesellschaft zog, nötigte die Menschen, nach neuen Modellen und Formen der Lebensführung zu suchen. Die Biker waren einer dieser Versuche. Die Hippies ein anderer. Später dann Punk, in England Rocker und Popper. Das aber ist eine andere Geschichte. „The Bikeriders“ ist großes Kino der Atmosphäre, in dessen Lebensgefühl man sich regelrecht hineinlegen kann.