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Filmplakat von Die Unschuld

Die Unschuld

125 min | Drama, Lovestory
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Der letzte Film Viscontis vor seinem Tod 1976. Ende des 19. Jahrhunderts: Ein römischer Adliger tötet das uneheliche Kind seiner Frau. Er verliert Frau und Geliebte und begeht schließlich Selbstmord. Visconti beschreibt die Hauptfigur als Vorbote des Faschismus.

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Filmkritik

Viscontis letzter Film (er starb am 17. März 1976) hatte beim Festival von Cannes 1976 ein zwiespältiges Echo gefunden. Was die einen als "pompöse Salonkolportage" bezeichneten, würdigten andere als "blendendes Vermächtnis" eines großen Regisseurs. Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen. So imponierend die, insbesondere an "Senso" und "Der Leopard" anknüpfende Inszenierung eines 1892 erschienenen Romans von Gabriele D`Annunzio erscheint, so hat doch Visconti, seit dem Sommer 1972 halbseitig gelähmt und an einen Rollstuhl gefesselt, in diesem letzten Werk nicht mehr die formale Geschlossenheit und geistige Kraft seiner besten Werke erreichen können. Und als sein eigentliches Vermächtnis ist nun doch wohl "Gewalt und Leidenschaft" anzusehen, in dem er eine bittere, pessimistische Bilanz nicht nur der linken bürgerlichen Intelligenz Italiens, sondern auch seines eigenen Lebens gezogen hat. Hoffnung in einem metaphysischen oder gar religiösen Sinne ist in Viscontis Werk kaum zu finden. Seine Hoffnung äußert sich in der Vision einer gesellschaftspolitisch veränderten Zukunft, auf die er in seinen Filmen, besonders bis "Rocco und seine Brüder", verschiedene, jedoch spärliche Hinweise gegeben hat. Nie hat er diese Vision einer neuen Zeit filmisch gestaltet, sondern hat sich vielmehr immer wieder der vorausgehenden Epoche der aristokratisch-feudalen, bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zugewandt, um in der Schilderung ihres Untergangs die Entstehung einer neuen Gesellschaft aufzuspüren, zum letzten Mal in "L`innocente", dessen Fertigstellung (Endmontage, Musik usw.) Visconti nicht mehr überwachen konnte. - Während einer modischen Wiederbelebung des Interesses an D`Annunzio, Fürst von Montenevoso (1863-1938), akzeptierte Visconti, ein Werk dieser umstrittenen Figur der europäischen Dekadenz zu verfilmen. Als Grund führte er an, D`Annunzio habe sein Leben auf durchaus moderne Art geführt. "Wir leben in einer brutalen und sehr oberflächlichen Epoche. D`Annunzio wollte von Jugend an Aufsehen erregen, wozu er skrupellos alle Mittel benutzte, die ihm seine Phantasie diktierte. Seine Auffassung von Liebe war brutal, der physische Aspekt kam zuerst. Er war in höchstem Maße erotisch, und was gibt es Erotischeres als unsere Zeit. `L`innocente` ist ein sehr sinnliches und erotisches Buch; mein Film wird es ebenfalls sein." Sinnenfreude, Lebensgier und Schwermut fanden in D`Annunzios Werk einen wohllautenden Ausdruck, wie ihn auch das Italienische nur selten hervorgebracht hat. "Als Individualist bis zum Äußersten" bewunderte er nach seinen eigenen Worten "von allen männlichen Unternehmungen stets die Tat dessen, der ein von anderen aufgezwungenes Gesetz vernichtet, um sein eigenes Gesetz zu errichten". Bei D`Annunzio lebte das ästhetisch begründete Übermenschentum weiter, das Nietzsche aus Burckhardts Renaissancebild abgeleitet hatte. Die Machtergreifung durch den Faschismus hat D`Annunzio begrüßt. Er sah in Mussolini den Vollstrecker seiner patriotischen Ideen, zog sich jedoch später resigniert aus dem öffentlichen Leben zurück. - D`Annunzios "L`innocente" (Der Unschuldige) ist die Lebensbeichte des römischen Aristokraten Tullio Hermil, der rücksichtslos und egoistisch seine Freiheit bewahren will - diese Parallele zu Strömungen der Gegenwart interessierte Visconti wohl am meisten - und dabei alles verliert. Er vernachlässigt seine Frau Giuliana, die ihm nur noch als Vertraute dient, ohne zu merken, daß sie ihn noch liebt und unter seiner selbstherrlichen Kälte leidet. Seine Mätresse ist die ebenfalls freidenkerische Gräfin Teresa Ruffo, an die ihn eine komplexe, zwischen Eifersucht und Unabhängigkeitsverlangen pendelnde Beziehung bindet. Giuliana lernt den Schriftsteller Filippo kennen. Die Liebe zu ihm beginnt sie zu verändern, sie wird selbstbewußter, eigenständiger und ruhiger. Tullio ist unfähig zu verstehen, was mit ihr vorgeht, aber er schöpft Verdacht. Die Eifersucht entfacht erneut seine Leidenschaft für Giuliana, die er erloschen glaubte. Das Paar findet sich wieder und bleibt zusammen, auch als Tullio erfahren muß, daß seine Frau von Filippo ein Kind erwartet. Da sich Giuliana weigert, sich ihres Kindes zu entledigen, tötet Tullio schließlich diesen "unschuldigen Eindringling", dem er kein Lebensrecht zubilligt. Er erträgt es nicht, Giulianas Zuneigung mit einem Bastard teilen zu müssen. Durch diese Tat verliert er jedoch sowohl seine Frau als auch die Geliebte. Er jagt sich eine Kugel in den Kopf, bis zuletzt seine "Übermenschenfreiheit" behauptend. - Mit diesem Selbstmord, der einschneidendsten Veränderung gegenüber der Vorlage, distanziert sich Visconti von der Welt Tullios und dessen Ideologie und Lebensphilosophie des Übermenschen. Er hatte nicht viel Sympathie für diesen Vertreter des italienischen Großbürgertums, das er für die Entstehung des Faschismus verantwortlich machte. Er zeichnet Tullio als einen unmenschlichen, zwischen beiden Frauen hin- und herschwankenden Opportunisten, der sich jenseits der menschlichen Gerechtigkeit und nur sich selbst gegenüber verantwortlich fühlt. Sein grenzenloser Egoismus, seine moralische Skrupellosigkeit und seine hemmungslose Eigenliebe machen ihn unfähig zu echten zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Freiheit, die er für sich beansprucht, billigt er anderen nicht zu. Seine vermeintlich schrankenlose Freiheit täuscht ihn über die Fesseln hinweg, die er sich selbst auferlegt und die sein Leben zerstören. Unvergleichlich positiver zeichnet Visconti Giuliana, das Opfer der männlich-chauvinistischen Arroganz. Sie ist zum Verzicht und daher auch zu echter Liebe fähig, geborgen im religiösen Glauben, den allerdings Visconti auch als Fessel auf dem Weg zur Emanzipation der Frau zu sehen scheint. Der Film lebt nicht zuletzt von starken, ja melodramatischen Gefühlen. Und er ist ästhetisch überwältigend schön. Die eleganten Interieurs der aristokratischen städtischen Paläste und Salons in Rot, Gold und Schwarz und die Weiß-, Ocker- und Grautöne der ländlichen Villen inmitten grüner Parks ergeben eine in subtiles Licht getauchte Farbsymphonie von höchstem Raffinement. Die Bilder lassen eine Atmosphäre plastischer Sinnlichkeit entstehen. Visconti hat einmal mehr eine hochgezüchtete aristokratisch-bürgerliche Kultur zum Leben erweckt, in der bereits der Untergang angelegt ist. Der ideologisch., philosophisch und moralisch bedingte Zerfall Tullios und seiner Familie wird auf diesem Hintergrund zum Modell des Niedergangs einer ganzen Gesellschaftsschicht.

Erschienen auf filmdienst.deDie UnschuldVon: Franz Ulrich (7.10.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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