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Filmkritik
Wenn die Flasche im kleinen jakutischen Dorf die Runde macht, gibt es Ärger. Petja merkt es erst am nächsten Morgen. Wie er nach Hause gekommen ist, weiß er nicht. Keine große Sache. Auch seine Frau scheint wenig überrascht, dass der Ehemann, einst ein gefeierter Sportler, dessen zahllose Medaillen im Schlafzimmer eine beeindruckende Karriere bezeugen, mal wieder mit einem Kater und dem vom Wodka zerfressenen Gedächtnis vor ihr steht. Was er aber noch erinnert, ist der Anlass des Gelages: Er hat das Haus der verstorbenen Mutter verkaufen können. Nur wo ist das Geld? Es war sicher in der Jackentasche.
Die Geschichte vom verlorenen Geld macht schnell die Runde im Dorf. Noch schneller ist die zweite, dazu passende Entdeckung: Nachbar Kolja hat plötzlich ein neues Auto. Keinen alten sowjetischen Gebrauchtwagen, sondern einen nagelneuen ausländischen SUV. Bald brodelt es im Dorf, bis das nächste Saufgelage Neid und Missgunst überkochen lässt.
Kleine und große Zankereien
Das verlorene Geld des ehemaligen Spitzenathleten ist eine von sieben Episoden, mit denen die Regisseure Dmitrij Dawidow und Stepan Burnaschew das Leben einer sibirischen Dorfgemeinschaft einkreisen. Es knirscht zwischen den kargen, aber schönen Holzhütten, die sich inmitten der ebenso kargen, aber wunderschönen Landschaft aufreihen. Nicht die berüchtigte Kälte bestimmt in den sommerlichen Episoden das Leben der Jakuten, sondern ihre kleinen und großen Zankereien. Mal baut der Nachbar sein Plumpsklo direkt neben den Gemüsegarten, mal wählen Frau und Mann einen anderen Kandidaten, und manchmal kommt der Bruder aus dem Gefängnis heim, um mit der Schrotflinte die eigenen Familienmitglieder am Festtagstisch als Geiseln zu nehmen. Der Alkohol ist in diesem Fall gleichermaßen Auslöser und Lösung des Problems – zumindest des akuten Problems, das gelöst ist, als der bewaffnete Trunkenbold nach zahllosen Runden endlich das Bewusstsein verliert.
Eine ironische Wendung, auf die sich alle der parabelhaften Episoden mit einem bizarren Sinn für Humor zuspitzen. Die jakutischen „Slices of Life“ finden ihre tragikomische Wendung immer dort, wo sich der Grund für Streitigkeiten, Fehden, Prügelei und Mordversuche als etwas entlarvt, das sich beim zweiten oder zumindest mit einem nüchternen Blick als absolute Nichtigkeit oder eben Unfug entpuppt.
Kein Versprechen der Freiheit mehr
Dem Setting und den Motiven von Armut, Selbstjustiz, Rachsucht nach, könnte man hinter dem Film fast eine Western-Anthologie vermuten. Doch der ferne Osten verspricht kein Leben in Freiheit mehr. Er spiegelt vielmehr die Lebensrealität moderner Reservate: Armut, Trunkenheit und in Perspektivlosigkeit festgefahrene Lebensentwürfe. Statt also auf die Weite Sibiriens zu blicken, bleibt die Kamera an den Zäunen, an den Fehden und am Unsinn der jakutischen Dorfbewohner kleben.
Für Dawidow und Burnaschew ist das mehr komisch als tragisch. Ihr Lokalkolorit ist modern genug, um die Social-Media- und Gamingtrends abzugreifen, die die Kinder auch am Ende der Welt erreichen; der Fahrradtrick der Jungen ist von TikTok geklaut und das W-Lan der Eltern wird für die nächste Runde Roblox genutzt. Zugleich ist es fatalistisch genug, zu zeigen, dass nichts interessanter ist, als die von Papa schlecht weggeschlossene Schrotflinte, die nur darauf wartet, dem Kumpel ausgeborgt und an den betrunkenen Vater weitergereicht zu werden.