Vorstellungen
Filmkritik
Ringo (Martin Rohde) muss sein Leben auf die Reihe kriegen. Der Chef hat den Gerüstbauer soeben mit einem „Verpiss dich“ auf die Straße gesetzt, seine Ex (Victoria Schulz) schüttelt nur noch kraftlos den Kopf über seine Verfehlungen, und selbst die Frau hinter dem Tresen, an dem Ringo seine Zeit vertrinkt, hat keine Lust mehr, ihm zum Frühstück Korn auszuschütten. Ringo braucht einen Neuanfang, und zwar vor den Sommerferien, die er zusammen mit seiner Tochter Mia (Tuba Seese) am Meer verbringen will.
Zwischen Boxbude und Riesenrad
Die Kirmes-Saison soll die Rettung sein. Doch der neue Job an der Achterbahn ist öde; dafür lockt die Boxbude gegenüber. Dass die Versprechungen, die beim Rummelboxen gegeben werden, ihr Geld selten wert sind, spielt für Ringo keine Rolle. Er will den Job, den der Besitzer Fränkie (Charly Schultz) zu bieten hat. Eine Trainingsrunde später ist Ringo das neue Schwergewicht im Stall.
Eine weitere Montagesequenz später scheint es sogar so, als habe der maulfaule, aber gutherzige Versager mit fassbreiter Brust tatsächlich einen Weg zur Nüchternheit und einem erfolgreichen Neuanfang gefunden. Denn tatsächlich gibt es hier weder Schaukämpfe, noch erweist sich Fränkie als unehrlicher Abzocker. Ringo findet sich zwischen Boxbude, Autoscooter und Riesenrad zurecht! Eine Zufriedenheit, bei der „Rock ’n’ Roll Ringo“ einige Zeit ausharrt.
Im Milieu blüht der Film auf
Der Filmemacher Dominik Galizia fühlt sich in proletarischen Subkulturen ebenso wohl wie der Hauptdarsteller Martin Rohde. Eine ähnliche Subkultur, die Welt der Berliner Eckkneipen, haben beide bereits in „Heikos Welt“ besucht. Auch „Rock ’n’ Roll Ringo“ ist um das Milieu und die Sonderlinge herum gebaut, die hier ihr Refugium finden. Wenn sie auf der Leinwand zu sehen sind, blüht der Film auf. Ex-Boxer und Rummel-Box-Patriarch Charly Schultz spielt sich selbst als Provinz-Don-King, der mit jeder Showroutine ein weiteres bisschen seiner Reibeisen-Stimme zurücklässt. Larissa Sirah Herden ist gleichermaßen toll als Autoscooter-Queen Jenny, die Ringos Gesellschaft als ausgedehnte Pause vom gewalttätigen Proletentum genießt, das sie sonst in Schach halten muss.
Als spiritueller Begleiter, dessen göttliche Zeichen die Form eines Maulschlüssels annehmen, ist Erwin Leder als Pater Petrus zur Stelle. Allerdings hat der Pater, wenn er nicht den Propheten gibt, noch einen zweiten Job: Er muss zwischen den Kapiteln des Films in Paarreimen über das verpfuschte Leben von Ringo palavern.
Der geistliche Erzähler ist emblematisch für diesen Film, der nicht dort bleibt, wo er bei sich angekommen ist, sondern der sich permanent Richtung neuer Einfälle hangelt, bis er vergisst, was er ursprünglich einmal wollte. „Rock ’n’ Roll Ringo“ arbeitet sich nicht an einem geradlinigen Konflikt entlang, sondern hängt immer etwas Neues an. Für eine Sequenz ist Ringos Boxkarriere das Ein und Alles, bei der nächsten Biegung aber ein krimineller Umweg, der ohne Motivation und Vorwarnung als weiteres Anhängsel im Film steht und ein neues Bildrepertoire mit sich bringt.
Eine schillernd-unwirkliche Welt
So hangelt sich Galizia von kleinen Box-Segmenten und Trainingsmontagen zum Kleinkriminellen-Treffen in der Garage mit anschließender Verfolgungsjagd und dann zurück zu Neonlicht-Spaziergängen und abgründiger Tresen-Lethargie. Auch wenn die filmischen Exkurse dabei völlig quer zueinanderstehen und dort, wo das Milieu nach Schlager schreit, plötzlich 1980er-Synthie-Pastiche ertönt, oder eine bis dato unsichtbare Sinnkrise über Ringo hereinbricht, als er sich selbst und seine Zukunft gerade wieder aufzubauen scheint, sehen die Abschweifungen aufreizend interessant aus.
„Rock ’n’ Roll Ringo“ ist auf 35mm-Filmmaterial in CinemaScope gedreht und vermag sich mit den glitzernden Lichtern der Nacht durchaus von der abgedroschenen Tristesse der entsättigten Alltagsbilder zu befreien. Einen Weg zu sich selbst findet der Film aber weder bei Tag noch bei Nacht, so wenig wie den zwischen Kirmes und Kneipe. Milieu, Genre und Vater-Tochter-Drama stolpern übereinander. Obwohl der Pater und Ringos bester Freund, der Clown Hainz (Peter Trabner), viele Vorschläge für den Versuch einer Familienbeziehung machen, sind weder Ringo noch der Film wirklich bereit dazu. Tochter Mia bleibt bis zum Ende von „Rock ’n’ Roll Ringo“ gänzlich unsichtbar.
Geboxt wird immer
Als sie schließlich doch auftaucht, weiß Galizia nichts mit ihr und Ringos Vatergefühlen anzufangen. „Rock ’n’ Roll Ringo“ ist das falsche Versprechen der Boxbude. Klar: Es wird geboxt. Aber allzu oft sind es eben doch nur Schaukämpfe.