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Filmplakat von Mr. Jones

Mr. Jones

114 min | Drama, Thriller, Biographie | FSK 16
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Ein Interview mit dem mysteriösen Josef Stalin - für den walisischen Journalisten Gareth Jones die Chance seines Lebens. Doch der investigative Journalist hat keine Ahnung, worauf er sich eingelassen hat, als er 1933 nach Moskau reist. Als Jones unautorisiert in die Ukraine reist und dort die Umstände der volksvernichtenden Hungersnot aufdeckt, beginnt ein riskanter Wettlauf - gegen die Regierung, den sowjetischen Geheimdienst und die Zeit. Denn Stalin und seine Agenten setzen alles daran, den Mantel des Schweigens verschlossen zu halten.

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Filmkritik

Nein, einen weiteren Film über staatlich verordneten, millionenfachen Tod hatte die polnische Regisseurin Agnieszka Holland mit diesem Film nicht im Sinn. Sie erinnere sich, so sagt sie im Bonusmaterial der vorliegenden DVD, noch zu genau an jene depressiven Zustände, in die sie nach Drehschluss zum Holocaust-Drama „In Darkness“ (2011) gefallen sei. Auch andere ihrer Filme, wie der in Deutschland produzierte „Hitlerjunge Salomon“ (1990), hatten mit menschlichen Tragödien in Zeiten der Massenvernichtung zu tun. An „Mr. Jones“ (2019), so der Originaltitel von „Red Secrets“, interessierte sie deshalb weniger ein Panoramablick auf die von Stalins Politik verursachte Hungersnot in der Ukraine Anfang der 1930er-Jahre, den sogenannten Holodomor (d.h. Tötung durch Hunger), dem bis zu vierzehn Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren. Vielmehr wollte sie darüber reflektieren, wie damals in der Öffentlichkeit, durch den internationalen Journalismus, mit diesem Völkermord umgegangen wurde.

Starke Bilder fürs Ausmaß der Hungerkatastrophe

Als Hauptfigur wählte sie den britischen Journalisten Gareth Jones (1905-1935, gespielt von James Norton), einen ehrgeizigen jungen Mann, der nach seinem spektakulären Interview mit Hitler im Februar 1933 nun alles daransetzt, auch Stalin zu befragen und dafür in die Sowjetunion reist. Während eines heimlichen Fußmarsches durch die damalige ukrainische Teilrepublik, genauer gesagt: die Gegend um Charkow, erlebt er das Ausmaß der Hungerkatastrophe, von der in Moskau nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde, am eigenen Leibe.

Für diese Reise, die den Mittelteil des Films bildet, hat die Regisseurin starke Motive gefunden: entsättigte Aufnahmen, aus deren Graublau einzelne Details herausleuchten. So etwa eine Orange, die sich Jones, völlig unüberlegt, in einem überfüllten Provinzzug schält: einziger Farbfleck in einem Transport der Verdammten. Mit Staunen und Erschrecken muss er wahrnehmen, wie sich die Mitreisenden auf seine achtlos weggeworfene Apfelsinenschale stürzen. Später trifft er auf verwaiste Kinder, die mitten in einer Schneehölle an Fleischbrocken nagen und ihm, dem inzwischen auch Ausgehungerten, ein Stückchen anbieten. Dass sie sich vom Fleisch ihres verstorbenen Bruders ernähren, wird ihm erst danach bewusst. Eindrucksvoll das Bild von Leichensammlern, die eine tote junge Frau vom Wegrand auflesen und ihr schreiendes Baby gleich mit auf den Leichenwagen legen: Gott, so scheint es, geht hier rückwärts. Szenen, die nicht einem platten Naturalismus huldigen, sondern eher metaphorisch angelegt sind.

Eine Parabel zum Ethos des Journalistenberufs

Diese Bilder stehen kontrapunktisch zu den wenigen dokumentarischen Zitaten aus frühen sowjetischen Dokumentarfilmen, in denen der Aufbau der sozialistischen Industrie hymnisch, in gleichsam stampfendem Rhythmus, beschrieben worden war. Agnieszka Holland schneidet solche Bilder während Jones’ Zugfahrt nach Moskau ein: als Synonym für die kommunistische Erfolgsstory, die Stalin international verkünden ließ. Leider zieht sich dieses Element, mit authentischem, zeitgenössischem Material umzugehen, nicht als dramaturgisches Mittel durch den ganzen Film, es bleibt etwas verloren im Raum.

Gewichtiger aber ist die Tatsache, dass, während Jones’ ukrainische Odyssee vom Frühjahr 1933 verbürgt ist, andere Details seiner Biografie für den Film verändert, man könnte auch sagen: verkürzt und verfälscht wurden. Weil es der Regisseurin um eine Parabel zum Ethos des Journalistenberufs ging, hat sie das historische Geschehen auf einen Zusammenprall zwischen dem von der Wahrheit besessenen Jones und seinem US-amerikanischen Konkurrenten verengt, dem Pulitzer-Preisträger Walter Duranty, der im Film die ukrainische Hungerkatastrophe mit Sätzen herunterspielt wie: „Man kann kein Omelette machen, ohne ein paar Eier zu zerbrechen.“ Peter Sarsgaard zeigt Duranty als verschlagenen Egomanen, der wissentlich „Fake News“ produziert und sich auf Moskauer Opium-Partys tummelt, während der sowjetische Geheimdienst Kollegen um ihn herum verhaftet, foltert und ermordet.

Ein allzu freier Umgang mit den historischen Fakten

James Norton als Gareth Jones erscheint dagegen als ungebrochener Held, der nach langen Hungertagen und -nächten noch immer smart aussieht. Zur damit verbundenen Schwarz-weiß-Dramaturgie gehört, dass Jones’ Bewunderung für die Politik Hitlers 1933/34 im Film gar nicht erst thematisiert wird. Dass er bereits 1931, nach Reisen in die Ukraine und nach Kasachstan, von der beginnenden Hungerkatastrophe für die „New York Times“ berichtet hatte, unterschlägt der Film ebenso wie den Fakt, dass er nach seiner Rückkehr in den Westen bis April 1933 bereits zwanzig Artikel in angesehenen Zeitungen über den ukrainischen Holodomor publizierte – er also im Westen keineswegs zunächst zum Schweigen verurteilt war.

Stattdessen wird eine zwar wirkungsvolle, aber grundfalsche Geschichte vom Zusammentreffen mit dem Medienmogul William Randolph Hearst erfunden, der laut Film erst ermöglicht habe, die Wahrheit über den Holodomor in die Welt zu bringen. Jones musste sich nicht in dessen Landhaus einschmuggeln, wie im Film gezeigt, sondern begegnete dem Verleger schlicht bei einem Neujahrsempfang. Dass ausgerechnet der rechtskonservative, den deutschen Faschisten anfangs sehr zugeneigte Hearst hier zum Verteidiger der Pressefreiheit gekürt wird, hat durchaus einen unangenehmen Beigeschmack – auch wenn man Hearst, dem Vorbild für Orson Welles’ „Citizen Kane“, zugutehalten muss, dass er später einer der ersten war, die in ihren Zeitungen über den Holocaust berichteten.

So hinterlässt der Film insgesamt ein arg zwiespältiges Gefühl: Der eigentliche, differenzierte Blick auf Gareth Jones, der 1935 kurz vor seinem 30. Geburtstag in Mandschukuo ermordet wurde, steht auch nach Agnieszka Hollands Versuch noch aus. Dass der sachliche Filmtitel „Mr. Jones“ für die deutsche DVD-Ausgabe zu „Red Secrets – Im Fadenkreuz Stalins“ mutierte, mag zwar verkaufsstrategischen Gesichtspunkten geschuldet sein, ist aber nicht sehr originell. Zudem hätte dem Bonusmaterial etwas mehr redaktionelle Aufmerksamkeit gutgetan. Dann wäre der Name des Dichters und Stalin-Kritikers Arthur Koestler in den Untertiteln zum Interview mit Agnieszka Holland vermutlich auch nicht mit „Artur Kessler“ übersetzt worden.

Erschienen auf filmdienst.deMr. JonesVon: Ralf Schenk (5.2.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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