- RegiePamela Meyer-Arndt
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2021
- Dauer88 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating7.4/10 (8) Stimmen
Vorstellungen
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Filmkritik
Retrospektiv erscheint manches, was einem als Underground-Künstlerin in der DDR widerfahren konnte, seltsam, komisch mit Tendenzen zur Absurdität. Unwillkürlich denkt man an Knarf Rellöm und seine Abscheu, als er rief: „Das war kein Sozialismus. Das war Spießerkram!“ Das Wort „Spießer“ nimmt auch die Künstlerin Gabriele Stötzer in den Mund, als sie davon berichtet, wie ihr ein IM den Kontakt zu einem Trans-Mann zuspielte, mit dem sie mal versuchsweise arbeiten sollte. Man hoffte, ihr auf diese Weise ein Strafverfahren wegen Pornografie anzuhängen und sie so erneut ins Gefängnis zu bringen, wo sie bereits aufgrund ihres Protestes gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns gewesen war.
Die ersten Fotos des Trans-Mannes, die sie neugierig machen sollten, könnte bei einer dieser Spießerpartys, die in den Datschen der SED-Nomenklatura stattfanden, entstanden sein. Etwa zur Belustigung oder zur Erniedrigung. Instinktiv nutzte Stötzer diese Begegnung nicht etwa, um Pornografisches zu produzieren, sondern um dieses thematische Feld für sich in der Tiefe auszuloten.
Drei Erzählungen aus einem Guss
Die Foto-Porträts, die während der mehrtägigen Sessions entstanden, erzählen von dieser Begegnung zweier Menschen. Es sind solche Erzählungen, die das filmische Dreifach-Porträt „Rebellinnen – Fotografie. Underground. DDR.“ von Pamela Meyer-Arndt („Ostfotografinnen“) so spannend und erfahrungsgesättigt machen. Die drei Protagonistinnen – Gabriele Stötzer, Tina Bara und Cornelia Schleime – haben viel zu erzählen, aber ihr künstlerisches Arbeiten im Underground der DDR führt dazu, dass sich viele Erzählungen auf eine Art und Weise ergänzen, dass sie fast aus einem Guss erscheinen. Was rückblickend als „Rebellion“ erscheinen mag, scheint allerdings weniger ein heroischer Akt von Widerstand gewesen zu sein als vielmehr ein Akt von Selbstausdruck oder vielleicht auch Selbstermächtigung oder Sprachfindung unter den Bedingungen eines Systems, das einerseits die Luft zum Atmen nahm, andererseits enorme kreative Energien freisetzte.
Cornelia Schleime beschreibt den Kampf um Freiräume einmal so: Wenn man damit konfrontiert wird, dass die eigene Kunst von den befassten Institutionen als „Müllkunst“ charakterisiert wird und deshalb mit Ausstellungsverbot belegt wird, man in Reaktion darauf die Punk-Band Zwitschermaschine gründet, die dann wiederum schnell mit Auftrittsverbot belegt wird, wird einem die Luft zum Atmen genommen. Kunst wird so zu einer Art von Notwehr.
Trotzdem oder gerade deshalb steckt Meyer-Arndts Dokumentation randvoll mit beeindruckender Kunst, die auf diese staatlichen Repressionen sensibel und kreativ zu reagieren verstand. Zum Beispiel, indem die eigene Verletzbarkeit zum Thema gemacht wurde. Oder Intimität. Oder traktierte Körper.
Subversives Foto-Projekt statt Auftragsarbeit
Mitunter half auch der Zufall: So erhielt die Fotografin Tina Bara in den 1980er-Jahren den Auftrag, einen Besuch von Arbeiter:innen in den Buna-Werken zu dokumentieren. Ungleich faszinierender als dieser Auftrag ist für sie jedoch das heimliche Dokumentieren des Ausmaßes der Umweltzerstörung vor Ort. So wird aus einer Auftragsarbeit unter der Hand ein subversives Foto-Projekt. Während Schleime 1984 und Bara im Frühjahr 1989 die DDR verlassen, ist Stötzer geblieben. Davon zeugt ihre Arbeit, „und das Bleiben ist auch eine Entscheidung, die Weigerung zu gehen“.
Kunstvoll montiert Meyer-Arndt Material, unterlegt mit sparsam und sorgfältig gesetzten Klängen von Ulrike Haage, aus unterschiedlichen Zeiten: Da ist die Kunst aus den 1970er- und 1980er-Jahren, präsentiert und kommentiert aus der Gegenwart. Von Schleime und Stötzer gibt es zudem Interviews aus dem Fernsehen nach der Übersiedelung nach West-Berlin (Schleime) und nach der Publikation des Prosa-Debüts (Stötzer), ergänzt noch durch Reflexionen auf die Zeit nach dem Mauerfall beziehungsweise der Übersiedelung in den Westen. Was im Falle von Cornelia Schleime dazu führte, dass ihr Frühwerk nur partiell erhalten ist, und bei Tina Bara dazu, dass sie ihre ersten Jahre im Westen von einem „migrantischen Komplex“ geprägt erfährt.
Kurzum: ein Film, der viel mehr ist als drei Künstlerinnen-Porträts, so inspirierend, dass man ihn gleich noch einmal sehen will. Um noch einmal Cornelia Schleime dabei zuzusehen und zuzuhören, wie es sich für sie anfühlte, als sie sich gerade im Westen angekommen wähnte und die DDR, ihr altes Leben, sich in Form der Stasi-Akten zurückmeldete. Und wie sie diese Erfahrung gleich wieder in böse-parodistische Kunst ummünzte. Großartig!