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Filmkritik
„Rebel“ beginnt mit schockierenden Bildern, dem Video einer Hinrichtung durch die ISIS, der berüchtigten islamistischen Terrorgruppe in Syrien und dem Irak. Zwei Brüder schauen sich das Video in den sozialen Netzwerken an. Das grausame Geschehen stößt sie ab, scheint sie aber auch zu faszinieren. Denn sie sind muslimische Einwandererkinder, die in Europa unter prekären Verhältnissen leben. Sie leben überdies in einem Viertel, das seit einiger Zeit traurige Berühmtheit erlangt hat: nämlich in Molenbeek in Brüssel, aus dem die Bataclan-Attentäter stammten.
Der Film der belgischen Regisseure Adil El Arbi und Bilall Fallah, die beide selbst muslimische Einwanderer der „zweiten Generation“ sind, ist eine merkwürdige Genremischung. Ein ernstgemeinter Film über Terror und den Heiligen Krieg aus belgisch-muslimischer Perspektive, in französischer Sprache gedreht, mit flämischen, arabischen und englischen Dialogen. Das Regie-Duo nutzt seine Hollywood-Erfahrung, um einen Pop-Film zu schaffen, indem sie die Schrecken des Dschihadismus und des Islamischen Staates zeigen.
Treibende Beats und wilde Schnitte
Die Haltung von „Rebel“ ist voller Abscheu gegenüber den Terrorakten des Islamismus und seiner Verharmloser inner- und außerhalb Europas. Zugleich aber hegt der Film eine große Empathie für die Einwanderer, deren Nöte und Erfahrungen, die sich im Westen oft nur als Menschen zweiter Klasse fühlen. Insbesondere zeigt „Rebel“ große Empathie für das Brüderpaar und dessen alleinerziehende Mutter.
Zugleich ist der Film durchsetzt mit der Musik dieses Milieus; streckenweise wird „Rebel“ von Rap, HipHop und orientalisch eingefärbten Songs sogar dominiert. Diese Musik ist nicht von ihren Texten zu trennen, rohe, plakative, aber eben auch ausdrucksstarke Strophen: „Verdammt ich fühle mich schlecht/ ich will losfahren und alles niederbrennen/ überall Rauch/ Feuer verbrennt meine Haut/ ich bin mitten im Krieg/ doch bin ich 3000 Kilometer weit weg/ die Regierung tut nichts/ drangsaliert die Leute ohne Job/ nimmt die kleinen Leute aus/ aber Hilfe geht nicht raus/ alle wissen von den Schreckenstaten/ noch unsere Polizei hilft ihnen ganz brav/ Sorry Mama ich bin schon längst dort drüben/ das Kinderlied in meinem Kopf/ wird durch die Worte Allahs ersetzt.“ Zusammen mit kurzen Videos und Botschaften aus den sozialen Netzwerken sind die Musik und die Texte der Lieder integraler Bestandteil der Erzählweise.
Man kann „Rebel“ deshalb nicht anders beschreiben denn als ein „Jihad“-Musical. Das ist eine sehr schräge und gewöhnungsbedürftige Mischung, aber auch sehr interessant und auf seine ganz eigene Art äußerst authentisch.
In den Fängen des IS
Zunächst lernt man die beiden Brüder kennen. Obwohl der Rapper Kamal Wasaki (Aboubakr Bensaihi) seinen 12-jährigen Bruder Nassim (Amir El Arbi) noch mit einem Klaps auf den Kopf vor allerlei Verlockungen warnt, lebt er selbst am Rande des Gesetzes. Eines Tages erwischt ihn die Polizei beim Drogenhandel. Da er sich das selbst nicht verzeihen kann, haut er einfach ab und lässt den Bruder und die alleinerziehende Mutter Leila (Lubna Azabal) zurück. Seine Entscheidung ist radikal: Kamal will den vermeintlichen „muslimischen Brüdern“ im Nahen Osten helfen. Er geht nach Syrien und hofft, dort auch innere Vergebung zu finden. Doch der Terror zwischen den kämpfenden Parteien raubt ihm bald jede Illusion. Zugleich wird seine Lage immer schwieriger, weil sich seine Miliz dem Islamischen Staat (ISIS) anschließt.
In Brüssel läuft derweil auch für seinen kleinen Bruder einiges schief. Aufgrund eines Online-Videos, in dem Kamal als ISIS-Soldat zu sehen ist, wird der junge Nassim gemobbt und zugleich von falschen Freunden hofiert. Das bringt den Jungen so sehr aus der Fassung, dass er gegen seine Umgebung rebelliert. Nassim will vor allem seinen großen Bruder wiedersehen.
Sehr deutlich wird bei dieser Art der Rekrutierung durch die Islamisten, mit welch perfiden Manipulationstechniken dabei gearbeitet wird, wie Einschüchterung und Verführung einander in die Hände spielen. Der Film macht auch deutlich, dass dies für die Führungsfiguren der Terrornetze auch ein gutes Geschäft ist, denn jeder nach Syrien überstellte Jugendliche ist bares Geld wert.
Der Film zeigt, wie vieles von dem, was man im Westen gerne als antikolonialen Widerstand interpretiert und von Fürsprechern des „Globalen Südens“ als Aufstand vermeintlich unterdrückter Muslime verteidigt wird, eine Chimäre ist und in der Realität primär ökonomischen Interessen mafiaähnlicher Banden gehorcht. Unterdrückungserfahrungen und Ideologien werden dabei sehr geschickt benutzt, um ungebildete, leicht beeinflussbare Jugendliche und junge Erwachsene zu manipulieren oder akute Notlagen auszunutzen.
Ein furioses Kino-Spektakel
Zugleich ist dieser Film immer erkennbar Unterhaltungskino, das den entsprechenden Gesetzen folgt. Ein Kino-Spektakel, das auf starke Bilder setzt, mit bewegter Kamera, flott geschnittenen, flüssigen Überblendungen und Sequenzen, die Fantasien und Tagträume der Figuren ausmalen. Ohne den Film zu sehr zu ästhetisieren, ist jede Einstellung ein wahres Fest für die Augen.
Aboubakr Bensaihi spielt den älteren Kamal. Besonders beeindruckt jedoch Amir El Arbi als manipuliertes Kind Nassim, das in allen Facetten zwischen Leiden und Unsicherheit, kindlicher Entschlossenheit und Wagemut verkörpert wird. Als Mutter ist die erfahrene Lubna Azabal zu sehen.
Die Geschichte wird sehr direkt und äußerst kurzweilig erzählt. Die Sittenwächter einschlägiger Kreise werden gewiss schon deshalb auf den Plan treten, weil dies ohne Frage Spektakelkino ist, mit Exploitation-Elementen und einer moralischen Botschaft, wie sie das Spektakelkino öfter transportiert, als man es wahrhaben möchte.
Das Beste an „Rebel“ aber ist die Leichtigkeit, mit der er dem Zuschauer die Orientierung schwer macht. Der Film berührt auf differenzierte, aber eben auch unterhaltsame Weise wichtige gesellschaftliche Themen, etwa Fragen der Integration von Einwanderern muslimischer Herkunft, die sich angesichts ihrer Not und der Ablehnung, die sie in der westlichen Gesellschaft häufig erfahren, extremistischen Ideen zuwenden. Im erzählerischen Kern aber handelt „Rebel“ von Jungs, die schlechte und falsche Entscheidungen treffen und durch ihre Verstrickungen in den Abgrund gezogen werden. Sie geraten in einen geopolitischen Sturm und ziehen ihre Familie mit ins Verderben. Nassim wird Kamal erlösen, aber nicht so, wie es das Publikum gerne sehen würde.