Filmplakat von Persona

Persona

90 min | Drama
Eine Krankenschwester übernimmt die Pflege einer offenbar psychisch gestörten, in Isolation und Schweigen versunkenen Schauspielerin. Die beiden Frauen geraten in eine symbiotische Abhängigkeit und werden zu spiegelbildlichen Varianten eines verstörten Bewußtseins, das an existentieller Sinnlosigkeit verzweifelt. Formal streng und asketisch, inhaltlich reich an metaphysischen und psychologischen Spekulationen, variiert der Film auf faszinierende Weise Grundmotive Bergmans - die Abwesenheit Gottes und die Einsamkeit des auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen. (Quelle: Lexikon des Internationalen Films)

Vorstellungen

Leider gibt es keine Vorstellungen.

Filmkritik

Opus 27 von Ingmar Bergman läßt verschiedene Deutungen zu. Bergman selbst hat ihn als "intellektuell nicht erklärbar" bezeichnet. Nachdrücklich überantwortet er sein Werk der Fantasie des Zuschauers als "Material", über das "frei" zu verfügen sei. Das Konzept zu "Persona" stammt aus einer "lichtlosen", stimmungsschweren Zeit des sensiblen Filmkünstlers. Bergman war 1965 von schwerer Krankheit ergriffen; die übernommene Leitung des Dramatischen Theaters in Stockholm, die er inzwischen niedergelegt hat, begann mit ihrem desillusionierenden Wust von außerkünstlerischen Verpflichtungen nach Bergmans Eingeständnis an seinem künstlerischen Kapital zu zehren: "Ich fühle mich wie ein Fisch auf dem Trockenen." Es fiel ihm, dem "leidenschaftlichen Sucher nach dem Sinn des Lebens", schwer und schwerer, die eigenen künstlerischen Arbeiten zu "regissieren". Das Gegeneinander von schöpferisch-drängender Kraft und zwangsjackenhaftem Verwaltungstun blieb für Bergman nicht ohne Folgen. Er fühlte sich "geteilt", zerrissen, seiner selbst "nicht habhaft": "Ich mußte schon in den Saal hineingehen, um zu merken, daß ich überhaupt in einem Theater war!" In dieser Zeit mit der persönlichen Erfahrung der Ich-Aufsplitterung, des drohenden Identitätsverlustes, keimte in Bergman die Idee zu einer Identitätstragödie, die thematisch an "Das Schweigen" ( (fd 12486)/12 643) anknüpft und in verbissener Aufrichtigkeit wieder die Frage, die Bergmansche Spezialfrage nach der Liebe als Gottes Existenz und nach der Not der "sich selbst überlassenen Welt" stellt.

Verstummen und Schweigen leiten das von formalem Puritanismus geprägte Spiel ein. Eine Ärztin kämpft um die "Sprache" einer Schauspielerin namens Elisabeth, die während eines Auftrittes als "Elektra" plötzlich keinen Ton mehr hervorbrachte und seitdem auf Schweigen beharrt. Ein Ausfall der Sprache aus Hysterie scheidet aus; die Ärztin wittert Verkapselung, Flucht aus einer Welt, deren Schrecknisse per Fernsehen selbst bis ins abgeschiedene Klinikzimmer gelangen. Bergman verdeutlicht sie dreimal in äußerster Knappheit: Vor dem Vorspann in einer furiosen, alptraumhaften Montage, die die Ängste und Bedrückungen des kleinen Sohnes der Schauspielerin verdeutlicht, und die in der naturalistischen Nagelung einer (Christus-?) Hand gipfelt. Als zweites Schrecknis blendet Bergman die auf den Bildschirm transponierte Dokumentaraufnahme von der Selbstverbrennung eines buddhistischen Mönches aus Protest gegen den Vietnam-Krieg ein; und als dritten Beleg für Grausamkeit und entartetes Menschentum in der Welt verwendet er in fotografischer blow-up-Methode das berühmte Foto von einer Razzia im Warschauer Ghetto, mit einem hilflos die Ärmchen reckenden kleinen Jungen im Vordergrund.

Verschlägt es der Elisabeth angesichts einer unverändert heillos-leiderfüllten Welt die "Sprache"? Ist sie stumm auch aus Scham über ihr eigenes Versagen als Frau und Mutter in dieser Welt? Jedenfalls stellt sie sich als Person selbst in Frage, indem sie schweigt. Denn "Persona"-sein heißt ja nicht nur ein denkendes, sondern auch ein handelndes, wertendes, stellungnehmendes Wesen sein. Die Person, der einzelne mit menschlicher Eigenart, wird "als am Erkenntnisprozeß teilnehmend vorausgesetzt und verstanden" (Klages). Elisabeth aber wendet sich von weiterer Erkenntnisteilnahme ab, indem sie sich mit einem Schweigen außerhalb der Welt stellt und sich selbst vor der Welt zugleich mit dem Schweigen maskiert.

Gegen diese "Maske" redet eine junge Krankenschwester namens Alma an, die von der behandelnden Ärztin mit der kranken, aber nicht im physisch-psychischen Sinne erkrankten Elisabeth in ein einsam an herb-schöner Meeresküste gelegenes Sommerhaus geschickt wird. In folgerichtiger Beschränkung auf ein Duell zwischen Schweigen und Sprach- und Persönlichkeitserweckung ist der Film von nun an, abgesehen von dem schemenhaften Auftritt von Elisabeths Gatten, nicht nur ein Zwei-Personen-Stück, sondern auch ein ausgemachtes Monolog-Solo. Während die an die junge Flickenschildt gemahnende Elisabeth-Darstellerin (Liv Ullmann) ihre Schweigerolle mit fein-mimischem Reichtum lebendig macht, bändigt die Alma-Darstellerin (Bibi Andersson) die Wort-Katarakte ihres Parts mit einer Nuancierungskunst exemplarischen Werts. - In einer Regennacht, leicht alkoholisiert, hebt Alma an, von sich zu sprechen. Sie vertraut Elisabeth, zu der sich eine harmonische Bindung ergeben hat, eine intime Erfahrung an; sie erzählt drastisch von der "betörend schönen Sündhaftigkeit" eines sexuellen Erlebnisses. Wenn Bergman hier das sex-geladene Wort in einer Rückhaltlosigkeit zum Zuge kommen läßt, als habe Henry Miller diese Passage geschrieben, so will er es als nackte Signalsprache, die nach liebevoller Brudersprache sucht, verstanden wissen. Alma verkörpert den Ansturm des sündigen Menschen auf das Verständnis und die Liebe; mit ihrer Erzählung präsentiert sie sich in höchster, verletzlichster Nacktheit. Denn das Eingeständnis sittlichen Fehlverhaltens außerhalb der sanktionierten Normen war und ist immer der Prüfstein für die sittlich-menschliche Haltung des anderen. Die Person Alma fordert damit die Person Elisabeth in die Schranken; sie will in all ihrer "Verworfenheit" in Liebe angenommen werden. Gelingt es ihr, das Zentrum des elisabethanischen Du zu erreichen; bewirkt der in ihrer "Selbstentblößung" steckende Anruf Schutz, Achtung, Geduld und Zärtlichkeit? Sprengt sie mit ihrem Vertrauen Elisabeths Verkapselung auf? Scheinbar; Elisabeth verschwendet zärtlich-liebevolle Gesten an Alma. Aber das ist wieder nur "persona", die Maske. Alma wird getäuscht; Elisabeth begeht einen Verrat, indem sie in einem Brief an die Ärztin genüßlich von Almas Erzählungen berichtet und "Studien-Interesse" bekundet. Alma kommt der Brief zufällig unter die Augen. Sie ist verletzt; sie erkennt, daß ihr Vertrauensanruf nur ein Scheinecho gefunden hat, daß Liebe nur kurz noch als Rudiment einer "besseren Menschenzeit" aufzuflammen vermag.

In Alma erwacht der potentielle Kain; haß- und rachsüchtig umkreist sie Elisabeth. Aber doch ist sie schon zu sehr in den Bann der Persona Elisabeth geraten. Sie gewinnt im Leben mit der leidenden Elisabeth selbst Leiderfahrung. Sie nimmt im Mit-Leiden, Mit-Fühlen so sehr elisabethanische Züge an, daß sie in einer Nacht, als Elisabeths Gatte kommt, stellvertretend für Elisabeth die "Liebe" übernimmt. Doch Alma wehrt sich nach und nach gegen die Verschiebung ihrer Identität, gegen ihre "Elisabeth-Züge". Sie erkennt nämlich, daß alles Sich-Hingeben an den anderen keine bergende Liebe bewirkt. Die Liebe ist nicht mehr durch die alten gängigen Münzen wie Vertrauen, Reue, Bußbereitschaft zu erreichen. Liebe ist, nach Almas Erfahrung, überhaupt nicht mehr möglich. In wildem Ausbruch wirft sie Elisabeth Versagen, Liebesunfähigkeit und "Flucht aus der Welt" vor. Und was sie im Umgang mit der von der Welt sich abwendenden Elisabeth erfahren und erkannt hat, daß die Liebe nicht ist und damit die Welt ein "Nichts" ist - das zwingt Alma der Elisabeth zur Vollendung deren "Erkenntnis" nun auf: "Sprich nach, was ich sage! Nichts, nichts..." Und Elisabeth antwortet, nur für dieses eine fürchterliche Wort ihr Schweigen aufgebend: "Nichts!" Sie bestätigt Almas Erkenntnis.

Bergman, der dieses Duell zwischen Schweigen und Anruf hauptsächlich mit den Mitteln der nuancierten Großaufnahme ins strenge Bild setzt, läßt in der Schlußphase die Gesichter der beiden Frauen ineinander verschmelzen und beide zu einer "persona" werden. Sie sind "eins" nicht geworden in der gesuchten und nicht gegebenen Liebe; sie sind zur "Einheit" nur noch fähig in der heillosen Erkenntnis des "Nichts". Um wieviel fürchterlicher ist dieser trostlose pessimistische Schluß, wenn man - wie etwa der schwedische Theologe Nystedt - Elisabeth für "Gott" und Alma für den "Menschen" nimmt? - Bergmans Filme bilden eine Kette; jeder seiner Filme nimmt den "Vorgänger" auf, führt das "Thema" weiter. So ist es nur konsequent, wenn das "Schweigen", das Gottes Flucht aus der Welt signalisierte, in "Persona" zu einem "Endstadium" gedeiht, wo Gott und Mensch, beide voneinander enttäuscht, nur noch in der Feststellung von "Nichts" Gemeinsamkeit haben. Doch ist dieses Resultat von "Persona" zweifellos das Zeichen für die Ankunft Bergmans an einem Punkt, wo der "Erkenntnisprozesse" bewirkende Geist zum "Widersacher der Seele" wird.

Erschienen auf filmdienst.dePersonaVon: Bas. (10.5.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
Über Filmdienst.de Filmdienst.de, seit 1947 aktiv, bietet Filmkritiken, Hintergrundartikel und ein Filmlexikon zu neuen Kinofilmen aber auch Heimkino und Filmkultur. Ursprünglich eine Zeitschrift, ist es seit 2018 digital und wird von der Katholischen Filmkommission für Deutschland betrieben. filmdienst.de