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Filmkritik
Gegen Ende von „Norwegian Dream“ tritt der 19-jährige Robert (Hubert Milkowski) aus der Fischfabrik auf den Vorplatz, wo seine streikenden Kollegen Fußball spielen. Die spannende Frage ist, ob die anderen ihm, dem Streikbrecher aus Not oder Indifferenz, jetzt, wo er seinen Job gekündigt hat, den Ball zuspielen werden. Das wäre eine recht konventionelle Pointe. Doch Robert begegnet auf dem Vorplatz auch Ivar (Karl Bekele Steinland), dem Adoptivsohn des Fabrikbesitzers. In den hat er sich gegen alle Bedenken verliebt. Jetzt gesteht er ihm seine Liebe. So einfach sei das nicht, reagiert Ivar, setzt sich in seinen alten Volvo und fährt davon. Also geht Robert erst einmal seines Weges.
Ein hartes Leben
Zu Beginn des Films von Leiv Igor Devold hatte sich der aus Polen stammende Robert auf die Reise nach Norwegen gemacht, wo er in der Nähe von Trondheim in einer Fischfabrik am Fließband schuftet. Robert braucht dringend Geld, weil seine Mutter sich hoch verschuldet hat. Doch sein „Norwegian Dream“, ohnehin eher prosaisch, ist nur in Eigenleistung zu realisieren. Hier lockt zwar das schnelle Geld, aber die Arbeitsbedingungen sind knallhart und in ein Geflecht schäbiger Abhängigkeiten eingebunden; Überstunden und Sonderschichten werden nur zeitverzögert bezahlt und mit der überteuerten Bereitstellung von primitivstem Wohnraum verrechnet. Wer sich als Arbeitsmigrant auf diese Bedingungen einlässt, muss mit einer Vielzahl von disziplinierenden Sanktionen rechnen, die so gar nicht zu dem liberalen Image passen, das Norwegen gerne vor sich herträgt.
Im Laufe des Films versuchen Roberts Kollegen, sich gegen diese Verhältnisse gewerkschaftlich zu organisieren und einen Streik beginnen. Robert macht dabei aber nicht mit. Weniger aus politischen Gründen denn aus einer emotionalen Verwirrung heraus; sein Wohlverhalten wird vom Chef positiv sanktioniert. Andererseits ist da aber auch der flamboyante Schwarze Ivar, der von einer Karriere als Schauspieler träumt und sich bei Drag-Shows in der Großstadt in neuen Identitäten ausprobiert. In der Fischfabrik trifft sein ungewöhnliches Auftreten, wenn er Arbeitspausen für Tanzchoreografien nutzt, auf homophobe Ranküne. Doch als Adoptivsohn des Chefs ist Ivar zugleich privilegiert und gewissermaßen geschützt. Im Gegensatz zu Robert, der zwar ebenfalls homosexuell ist, damit aber lieber hinterm Berg hält. Denn Robert wurde in Polen Zeuge brutaler Gewalt gegen einen Homosexuellen, weshalb er in der machohaften Öffentlichkeit der Arbeitsmigranten lieber zurückhaltend agiert.
Robert ist lieber ein Beobachter. Das stößt bei Ivar, der offen schwul lebt und überdies seine schmerzhaften Konflikte mit seinem homophoben Vater kompromisslos austrägt, auf Unverständnis. Erstaunlich unsensibel fordert er Robert auf, sich gefälligst aus dem „closet“ herauszuwagen.
Licht am Ende des Tunnels
„Norwegian Dream“ kreuzt nicht nur die queere Liebesgeschichte mit Ansätzen von Klassenkampf, sondern verkompliziert die Gemengelage, als auch noch Roberts Mutter plötzlich in Norwegen auftaucht, weil auch sie hier einen Job gefunden hat. Jetzt verdoppelt und verdreifacht sich das komplexe Geflecht von Arbeit, Migration, kultureller Differenz und Identität. Hinzukommt die nur oberflächliche Liberalität der norwegischen Gesellschaft, die es zwar zu außerordentlichem Reichtum gebracht hat, dafür aber auch Lebenshaltungskosten akzeptiert, die für Arbeitsmigranten kaum finanzierbar sind. Die Anwesenheit von Roberts Mutter gefährdet zudem den Rückzugsort ihres Sohnes im „Exil“, der sich über seine Gefühle klar werden will. Gegenüber seiner Mutter wagt Robert sein verspätetes „Coming out“; kurz darauf ist sie aber auch schon wieder verschwunden.
Man kann „Norwegian Dream“ mit seiner Vielzahl überlappender Konflikte und Krisen als dramaturgisch überfrachtet erachten. Homophobie, Rassismus, Klassenverhältnisse: alles kein einladender Befund. Andererseits erscheint es halbwegs realistisch, dass diese Vielzahl von Konflikten und Krisen sich nicht an eine Tagesordnung halten, die mittels einer „To do“-Liste abgearbeitet werden könnte. Der Film hält es lieber mit Robert und fungiert als Beobachter, der aufmerksam registriert, dass die Vielzahl von Ungleichzeitigkeiten und Widersprüchen keine schlichten Schwarz-Weiß- oder Gut-Böse-Schemata erlauben, sondern möglichst fluid gehalten werden müssen, um produktiv werden zu können. Hier werden Haltungen registriert und auf ihren sozialen Gehalt hin befragt.
Am Schluss geht Robert alleine über den Fabrikvorplatz, verlassen vom Geliebten, ausgestoßen von der Gemeinschaft der Streikenden, als er plötzlich das Motorengeräusch des Volvos vernimmt. Ivar gehört die finale Geste des Films. Insofern kann der Schluss als märchenhaft-konventionell durchgehen. Das Licht am Ende des Tunnels lässt sich aber auch als jenes Willkommen verstehen, welches das hier präsentierte Norwegen explizit verweigert.