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Filmkritik
Der Thriller „Nightmare Alley“, 1947 von Edmund Goulding nach dem Roman von William Lindsay Gresham inszeniert und in Deutschland unter dem Titel „Der Scharlatan“ gelaufen, ist so etwas wie ein vergessenes Meisterwerk des Film noir. Nun hat Guillermo del Toro ein Remake inszeniert und es seinem filmischen Universum anverwandelt. Im Prolog sieht man, wie ein Mann eine Leiche über einen Hausflur zieht, in einem Loch im Fußboden verscharrt und dann das Haus anzündet und sich davonmacht. Ein Mann auf der Flucht, nicht vor der Polizei, sondern vor sich selbst, vor seinen Dämonen, seiner Schuld und seiner Gier.
„Geeks“ und die Gier nach Geld
In der darauffolgenden Szene heuert Stanton Carlisle, charismatisch dargestellt von Bradley Cooper, Ende der 1930er-Jahre auf einem Jahrmarkt in der amerikanischen Provinz an. Clem Hoatley (Willem Dafoe), der Chef des Rummels, zeigt ihm zunächst, was ein „Geek“ ist: ein Monster, ein „wilder Mann“, der vor Publikum lebenden Hühnern den Hals durchbeißt. Zumeist sind diese Geeks Alkoholiker, die für einen Schlafplatz und eine Flasche Schnaps alles tun. Interessanter ist es da schon bei der Hellseherin Zeena (Toni Collette) und ihrem Mann, dem Mentalisten Pete (David Strathairn). Zunächst lockt Stanton die Menschen für ihre Show an. Doch ziemlich schnell lernt er mehr und mehr das Handwerk des „Gedankenlesens“ – einen elaborierten Code aus Wörtern, mit dem sich Pete und Zeena verständigen.
Molly (Rooney Mara) hingegen, die als „Electra“ Strom durch ihren Körper fließen lässt, erliegt dem Charme des jungen Mannes. Zwei Jahre später gehen sie gemeinsam nach Buffalo, um in einem Nachtclub als Gedankenleser dem Publikum das Geld aus der Tasche zu ziehen. Hier begegnet Stanton auch der eleganten Psychologin Lilith Ritter (Cate Blanchett). Mit dem Wissen über ihre wohlhabenden Patienten ließe sich bei Seancen noch mehr Geld verdienen. Dabei hat es Stanton vor allem auf den gefährlichen Tycoon Ezra Grindle (Richard Jenkins) abgesehen, der sich ein „Wiedersehen“ mit seiner vor Jahren gestorbenen Geliebten wünscht.
Fasziniert vom Film noir
Guillermo del Toro folgt mehr Gouldings Film als dem Roman; Greshams Ausführungen über Stantons Karriere als religiöser Prediger, der einer Frau sogar einen Kirchenraum abluchst, hat er komplett ausgelassen. Del Toro ist vielmehr von den Themen des Film noir fasziniert. Er schildert die Gier von Stanton und dessen unbändigen Aufstiegswillen, die Rücksichtslosigkeit seiner Methoden und die Gewissenlosigkeit, mit der er die Frauen in seinem Umfeld ausnutzt. Bis er einer begegnet, die ihm überlegen ist.
Die Szenen, in denen sich Lilith und Stanton in ihrem riesengroßen, teuer eingerichteten Büro gegenseitig analysieren, sie mit ihrer Ausbildung, er mit seinem gesunden Menschenverstand, gehören zu den Höhepunkten des Films. Interessant ist dabei auch die Parallele zwischen Psychoanalyse und Gedankenlesen. „Die Menschen wollen unbedingt gesehen werden“, sagt Pete einmal. „Die Menschen wollen dir unbedingt sagen, wer sie sind.“ Oder anders ausgedrückt: Menschen wollen von Gedankenlesern belogen und getröstet werden. Doch die Behauptung, über übernatürliche Fähigkeiten zu verfügen, birgt auch immer die Gefahr des Scheiterns.
Eine epische Tragödie
Neben diesem Themenkreis überzeugt „Nightmare Alley“ vor allem durch das fantasievolle Production Design von Tamara Deverell, die den Jahrmarkt in grünen und goldbraunen Farbtönen erstrahlen lässt, bei Regen aber auch den Schlamm und die Dunkelheit nicht ausspart. Den Gegensatz dazu markieren die langen Flure und großzügigen Büros im Art-deco-Hochhaus in Buffalo, die für Stanton keinen Fluchtpunkt mehr bieten. Die Inszenierung von del Toro frönt besonders zu Beginn der Schaulust auf dem Jahrmarkt: Wahrsager, Muskelmänner, bärtige Frauen, Kleinwüchsige und Monster – die „Freaks“ von Tod Browning sind gar nicht mehr so weit entfernt. Und wenn man in einem Einmachglas einen kleinen Fötus namens Enoch sieht, mit einem dritten Auge auf der Stirn, fühlt man sich unwillkürlich an del Toros Film „Shape of Water“ erinnert.
Im Gegensatz zu Goulding musste Guillermo del Toro keinen Production Code berücksichtigen. Er kann die Geschichte darum so enden lassen, wie William Lindsay Gresham es getan hat – mit einem lakonischen, grausamen Schluss, der „Nightmare Alley“ als epische Tragödie ausweist.