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Filmkritik
Manchmal ist die Kindheit eine weltentrückte Warteschleife, manchmal ein Wettlauf mit den narzisstischen Eltern um die wenigen Momente der Aufmerksamkeit. Underground-Ikone Asia Argento, 1975 geboren, ist nicht zu beneiden. Als Tochter des Horrorfilm-Regisseur Dario Argento und der Schauspielerin Daria Nicolodi ist sie selbst in einem auffällig ähnlichen Umfeld aufgewachsen, auch wenn sie nicht müde wird, trotz eingestreuter Fährten autobiografische Bezüge in „Missverstanden“ zu verneinen. Ihr dritter Film fällt ein vernichtendes Urteil über die Protagonisten der atemlosen Familiengeschichte, die an den Plot aus Pia Marais’ „Die Unerzogenen“ (fd 38 510) erinnert. Die 9-jährige Hauptfigur muss schneller erwachsen werden, als ihr fragil-kindlicher Körper es zulässt. Den Schutzraum, ein Kind zu sein, machen ihr ausgerechnet ihre Erzeuger streitig. Das Künstlerpaar lebt im Jahr 1984 in Rom seine chronische Pubertät hemmungslos aus, verzichtet auf keine Pirouette um die eigene Selbstfindung und nimmt den Kollateralschaden einer vereinsamten und vernachlässigten Tochter billigend in Kauf. Der Vater strickt vergeblich an seiner Karriere als Filmstar, während die Mutter, eine Pianistin, von Charlotte Gainsbourg mit grandios abstoßender Zickigkeit verkörpert, ihr Heil in Affären, Drogen und Esoterik sucht. Dass die älteren Halbschwestern von den launischen Eltern bevorzugt werden, deren Egozentrik die Inszenierung bis ins Karikaturhafte übersteigert, stellt sich für die Nachgeborene nicht gerade als konflikthemmend heraus. Auch in der Schule findet sie keinen emotionalen Ausgleich. Sie eckt an und bekommt ihre Andersartigkeit zu spüren. Einen Fluchtpunkt bieten eine Straßenkatze, brüchige Freundschaften und riskante Abenteuer, die in der Selbstgefährdung paradoxerweise einen Moment der Ruhe bieten. Nicht nur ihre Welt zerbricht. Die Eltern trennen sich und hinterlassen einen Scherbenhaufen. Die Tochter wird geschlagen und geküsst, missachtet und umsorgt, pendelt zwischen den sich weiter bekämpfenden Erziehungsberechtigten und kann von Stabilität nur träumen. Tatsächlich ähnelt das Melodram, das im Titel Luigi Comencinis „Incompreso“ (1966) zitiert, selbst einem ohne konventionelle Stringenz inszenierten Trip, dessen Rhythmus von einem mitunter gezielt aus dem Ruder laufenden Schnitt beherrscht wird. Formal gebrochen wird das erschöpfende Gefühlskarussell auch durch eine trotzig-farbenfrohe Neon-Bildfindung, die etwas eitel mit möglichst unerwarteten Kamerawinkeln jongliert, und einem Soundtrack aus Postpunk und Synthie-Pop, der den chaotisch unterkühlten Zeitgeist der 1980er-Jahre perfekt einfängt. Nur dank dieser sorgsam eingestreuten Elemente und einer aus purer Verzweiflung entstehenden Komik lässt sich der Ausnahmezustand, dem die kleine Protagonistin, großartig gespielt von Giulia Salerno, permanent ausgesetzt ist, mit Genuss an der Ambivalenz erdulden. Das Geschehen ist konsequent aus ihrer fragmentierten Perspektive erzählt, mal anarchisch sprunghaft, mal mit Sinn für die unerträgliche Leichtigkeit einer notorisch entgleisenden Bohème, die unter der rotzigen Regie von Asia Argento einer satirischen Abrechnung gleicht.