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Filmkritik
Er läuft und läuft und läuft. Seit über 25 Jahren sind waghalsige Stunts, schnelle Motorräder und der unverkennbare Laufstil die Markenzeichen von Tom Cruise. Mit seiner erfolgreichsten Filmreihe „Mission: Impossible“ rennt er gerade auf die Zielgerade zu. Im vermeintlich vorletzten Teil „Dead Reckoning Teil Eins“ tut der US-Schauspieler einmal mehr alles, um auf den letzten Metern nicht ins Straucheln zu geraten. Dabei machte erst der Kurswechsel im vierten Teil „Mission: Impossible - Phantom Protokoll“ aus einem wackeligen Franchise plötzlich einen Hitgaranten und bescherte Tom Cruise einen zweiten Frühling als Action-Megastar. Das neue Gimmick bestand darin, dass es in jedem Film mindestens eine unglaubliche Stuntsequenz gibt, die Cruise selbst durchführt. „Mission: Impossible“ positioniert sich damit ähnlich wie „John Wick“ gegen den Trend, Blockbuster-Action ausschließlich am Computer oder vor Greenscreen entstehen zu lassen.
Daher scheint es passend, dass Geheimagent Ethan Hunt (Tom Cruise) nun gegen ein Computerprogramm antritt. Wie Cruise kämpft auch sein Alter Ego auf der Leinwand darum, eine Welt zu retten, deren zunehmende Digitalisierung ihr zum Verhängnis zu werden droht. Diese neue Bedrohung bringt eine gehörige Portion Gegenwartsängste mit sich. Doch statt einer zeitgemäßen Auseinandersetzung mit Technologie wirkt der Plot wie aus dem Science-Fiction-Kino der 1980er-Jahre. Eine lernende KI hat sich durch die Datenserver der Welt gewühlt und wahrscheinlich ein Bewusstsein entwickelt. Sie kann mit gefälschten Bildern, Texten und Videos die Welt mit Fehlinformationen fluten und sich untertan machen. Die Chance, damit die Macht an sich zu reißen, will sich niemand entgehen lassen, doch um den Geist in der Maschine zu bändigen, benötigt man einen speziellen zweiteiligen Schlüssel, der ein geheimes Schloss öffnet.
Die Frage, warum gerade dieses Werkzeug eine quasi omnipotente KI unschädlich machen könnte, wird zwar in vielen langen Dialogszenen geklärt, aber die eigentliche Antwort lautet: weil es ein „Mission: Impossible“-Film ist. Der Schlüssel hat zwei Teile, damit man ihn besser verlieren kann; das Schloss ist geheim, um Menschen beschatten zu können, und wenn eine KI keinen „An/Aus“-Schalter hätte, könnte Ethan Hunt eben nicht die Welt retten. Wichtig ist nur, dass alle Parteien ständig auf der Jagd nach etwas sind und daher in verlässlichen 30-Minuten-Abständen die spektakulärsten Actionsequenzen stattfinden.
Züge, Flüge, Explosionen
Sein rasantes Erzähltempo nutzt „Dead Reckoning“ vollends aus. Frei nach dem Motto: „It’s not a bug – it’s a feature!“ Der Film springt unbekümmert von einem Spannungsmoment zum nächsten und bringt meistens erst unmittelbar davor die Figuren in Stellung. Dann dürfen sie, nach kurzer Erklärung, mit Karacho aufeinanderprallen und weiterziehen, ehe jemand Fragen stellt. Ein Leitsatz fürs dramatische Erzählen besagt, dass man ein Gewehr im ersten Akt an die Wand hängt, wenn es im dritten Akt abgefeuert wird. „Mission: Impossible“ macht aus diesem Gewehr eine Maschinenpistole und operiert nach der Logik: Wenn in der zweiten Szene die Wüste erwähnt wird, muss es in der dritten eine Schießerei im Sandsturm geben.
Die handwerklich einwandfreie Blockbuster-Ästhetik hilft dabei, den gewünschten Adrenalinschub zu liefern, doch inhaltlich werden die komplizierten Szenarien nicht immer kreativ gelöst. Wenn die Figuren in eine ausweglose Situation geraten, die einfach damit endet, dass jemand kräftig zuschlägt, ist das doch recht beliebig. Und wenn der Film nur deswegen weiterlaufen kann, weil eine Figur zum zehnten Mal etwas aus einer Jackentasche stiehlt, ist das ein fauler Trick.
Diese Momente muss man ertragen, um zu den großen Szenen zu gelangen, für die offensichtlich sämtlicher Einfallsreichtum aufgewandt wurde. Nächtliche Kämpfe in Venedig und Schusswechsel auf fahrenden Zügen wirken wie eine Entschuldigung für all die kleinen Fehlgriffe der jeweils vorangegangenen Minuten. Bei einer rasanten Verfolgungsjagd durch Rom scheppern Autos derart hemmungslos ineinander, dass es weniger an einen Agententhriller als an „Blues Brothers“ erinnert. Die opulente Freude an der Zerstörung, bei der alle Logik über Bord geworfen wird und die Gesetze der Physik nur noch eine blasse Erinnerung sind, ist „Mission: Impossible“-Eskapismus in Reinform. Das Erfolgsrezept der Serie besteht darin, genau die richtige Mischung zwischen Größenwahn und Selbstironie zu finden.
Das verflixte 7. Mal
Wie viel Eindruck „Dead Reckoning Teil Eins“ hinterlässt, hängt auch davon ab, ob man den Film an seinen Vorgängern misst. Tom Cruise kletterte bereits am Burj Khalifa entlang und hing an einem startenden Flugzeug. Das Highlight, das diesmal schon durch alle PR-Kanäle gejagt wurde, ist eine Kombination aus Motorradtrick und Fallschirmsprung. Es ist zweifellos eine beeindruckende Leistung, aber es fühlt sich nicht spektakulärer an als die vorherigen Abenteuer. Der neue Antagonist wirkt ebenfalls wie ein Aufguss des Gegenspielers der beiden vorangehenden Teile, und seine Handlangerin (Pom Klementieff) ist weniger unterhaltsam als Henry Cavill in „Mission: Impossible – Fallout“.
Mit Grace (Hayley Atwell) kommt ein neues Teammitglied hinzu, das eine ähnliche Nische wie Ilsa (Rebecca Ferguson) besetzt; eine Konkurrenz, die beiden Figuren nicht guttut. Statt auf das bisherige Team zu vertrauen und weiter zu eskalieren, bewegt sich „Dead Reckoning Teil Eins“ auf dem Niveau seiner Vorgänger und droht Muster zu wiederholen. Stagnation aber ist vielleicht der schlimmste Feind einer Reihe, deren große Stärke darin bestand, sich ständig selbst zu übertrumpfen. Daher scheint es eine weise Entscheidung zu sein, einen Abschluss zu suchen, solange es noch Luft nach oben gibt.
Fortsetzung folgt …
Ein gutes Motorrad springt nur so hoch, wie es muss, und ein Tom Cruise auf Erfolgskurs sprintet nur so weit wie nötig. Obwohl man die ersten Ermüdungserscheinungen spürt, schaffen es Cruise und sein Team erneut über die Ziellinie. „Mission: Impossible – Dead Reckoning Teil Eins“ bringt alles auf die Leinwand, was die Reihe ausmacht, allerdings ohne seine Vorgänger zu übertreffen. Die finale Herausforderung der Filmreihe besteht darin, den Sprengstoff von Teil 1 zu nehmen und in Teil 2 explodieren lassen. Sollte das gelingen, wäre es Tom Cruise bisher größter Stunt.