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Filmkritik
Der Raum ist in ein blasses Rot getaucht, als hätte ein Blutstropfen das Filmbild durchtränkt. Ein Knäuel aus Tod, Trauma und Schuld wird hier Atmosphäre. Gleichzeitig denkt man an einen Körper, an Fleisch und Schleimhäute. Die Bilder der Rückblenden in diesem Film haben etwas Organisches, was sie mit einem monströsen Gebärexzess am Ende verbinden wird. Doch noch ist die Erzählung einen ganzen Film davon entfernt, dass sich dieser formale Kreis schließen wird.
Noch steht da Harper (Jessie Buckley) am Anfang von Alex Garlands „Men“ in der Küche ihres Appartements, blutet aus der Nase und schreit. Vor dem Fenster fällt in schönster Zeitlupe ihr Ehemann James (Paapa Essiedu) vorbei, der ihr kurz vorher noch mit Selbstmord gedroht hat, falls sie ihn wirklich verlassen sollte. Während der eine Körper seinem tödlichen Aufschlag entgegenfällt, wird etwas anderes geboren: ein geisterhafter Komplex von Schuld. Die weibliche Hauptfigur ist verstrickt in ein Netz, das nicht nur aus physischem Missbrauch und Gewalt durch ihren Mann besteht, sondern auch aus dem Vorwurf, sie sei letztlich selbst schuld an allem. Die Rückblenden erzählen, wie Harper von einer misogynen Lawine der Täter-Opfer-Umkehrung erfasst wird, wie sie überall auf der Welt erschreckender Alltag ist.
Dämonenkonfrontation im Landhaus
Um sich daraus zu befreien, beschließt Harper, aufs Land zu fahren und sich in ein ehrwürdiges Landhaus einzumieten. Dort hofft sie, mit diesen Dämonen irgendwie fertig zu werden. Trägt sie Schuld am Tod ihres Mannes? War es ein Unfall? Ist er ausgerutscht oder gesprungen? Ein ganzer Rucksack an peinigenden Fragen ist im Gepäck.
Bereits der Hausverwalter Geoffrey (Rory Kinnear), der sie durch das ansehnliche Gemäuer führt, scheint einem britischen Folkhorrorfilm entsprungen zu sein. Sofort denkt man an den tänzelnden Christopher Lee im Genreklassiker „The Wicker Man“ (1973), der sich hier mit der clownesken Männlichkeit eines Boris Johnson verbindet.
Es ist eine unangenehm passiv-aggressive Freundlichkeit, die diesen Geoffrey so bedrohlich erscheinen lässt. Da wird mit einer als Witz getarnten, beiläufigen Spitze der „Diebstahl“ eines Apfels getadelt: Harper hat sich erlaubt, die Frucht vom Baum im Vorgarten zu nehmen. Die sexuelle Konnotation, durch die biblische Paradies-Erzählung zusätzlich aufgeladen, ist unüberhörbar: Es ist die Frau, die den Mann hier bloß nicht reizen soll. Diese latente Gefahr wird bei einem Waldspaziergang beängstigende Formen annehmen, wenn Harper plötzlich von einem nackten Obdachlosen verfolgt wird. Und bei diesem einen Verfolger wird es nicht bleiben, da die Männer des Dorfes beschlossen haben, Jagd auf die Frau zu machen.
Vielgestaltige Variationen einer Männerfigur
Alle Männer, das heißt in „Men“ etwas Besonderes. Denn sämtliche Männerfiguren bis auf Harpers Ehemann werden in diesem Film von einem einzigen Schauspieler gespielt: Rory Kinnear verwandelt sich, leiht seinen Körper und ganz buchstäblich sein Gesicht, um letztlich eine Art Gestaltwandler darzustellen. Das Böse ist nicht ein einziger Mann und auch nicht alle Männer. Es ist die Struktur der von Männern ausgehenden Gewalt, die in diesem Film unterschiedliche Ableitungen gebiert. So ist „Men“ nicht der Kampf eines „Final Girls“ gegen einen einzelnen Psychopathen, sondern der Versuch einer Frau, sich eines Diskurses zu erwehren, der sich multipel verkörpert und in vielgestaltiger Form attackiert. In der Ungreifbarkeit des Antagonisten erinnert dieses Mann-Monster an das Ding aus John Carpenters „The Thing“.
Doch bleibt es nicht bei diesem filmhistorischen Verweis. So vielgestaltig Garland hier männliche Übergriffigkeit verkörpern lässt, so geht er auch mit seinen Bezugspunkten um. Er sucht nach den Spurenelementen dieser toxischen Männlichkeit, reichert seinen Film mit unterschiedlichen Elementen an. Er lässt Folkhorror-Elemente in Body Horror münden, während gleichzeitig die häusliche Gewalt gegen die Schönheit der Natur gestellt wird, nur um diese eindeutige Aufteilung im weiteren Verlauf eindrucksvoll über den Haufen zu werfen.
Den Zirkel der Gewalt durchbrechen
Christliche Symbolik verbindet sich schamlos mit mythischem Paganismus, bis sich ein komplexes Geflecht der Gender-Zuschreibungen ergibt, unter dem die Männer ebenso leiden wie die Frauen, ihren eigenen Schmerz aber als potenzierte Gewalt weitergeben. Das wird im höllischen Finale mehr als deutlich. Es erinnert daran, wie dringend eine andere Kultur der Männlichkeit benötigt wird. Denn es liegt an den Männern, den Zirkel gewalttätiger Männlichkeit zu durchbrechen. „Men“ gibt mit seiner mitunter brachialen Bilderwelt einen filmischen Anstoß dazu.