- RegieLaurent Tirard
- ProduktionsländerFrankreich
- Produktionsjahr2019
- Dauer87 Minuten
- GenreKomödie
- TMDb Rating6/10 (240) Stimmen
Cast
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Filmkritik
Adrien möchte reden. Dem Mittdreißiger geht einiges im Kopf herum, über das er sich Klarheit oder Gewissheit verschaffen möchte und das er endlich einmal aussprechen will. Eine leichte Schüchternheit, Gedankensprünge und Probleme, einen Einstieg zu finden, bremsen ihn zwar im Allgemeinen im Redefluss aus, wenn er in Gesellschaft ist, doch zumindest mit seiner Freundin Sonia hat er diese Schwierigkeiten in den Griff bekommen können. Nun aber hat sich Sonia mit der Erklärung „Ich brauche eine Pause“ auf unbestimmte Zeit von ihm getrennt, und so stünde Adrien ohne ein offenes Gegenüber zum Zuhören dar, wäre er nicht ein Filmprotagonist und könnte auf ein erprobtes künstlerisches Mittel zurückgreifen: Den Durchbruch der sogenannten Vierten Wand durch die direkte Ansprache des Publikums, das sich damit auf besondere Art ins Vertrauen gezogen fühlen darf.
So schildert nun Adrien seine Sicht auf die bereits 38 Tage Trennung mit ihren emotionalen Tiefen und Höhen, bis zu seiner aktuellsten Quelle der Unsicherheit. Was soll er davon halten, dass seine Textnachricht an Sonia am späten Nachmittag zwar rasch gelesen, bis zum Abend aber noch nicht beantwortet wurde? Nun, um kurz nach 20 Uhr, hat er Muße für Grübeleien, auch wenn er sich beim Familienessen mit seinen Eltern, seiner Schwester Sophie und deren Verlobtem Ludo befindet. Die Gespräche dümpeln belanglos dahin wie stets bei diesen Treffen, doch dann unterbricht Ludo die Gedanken von Adrien mit einer unerwarteten Attacke: Sophie würde sich doch sicher freuen, wenn ihr Bruder bei der Hochzeit eine kleine Rede halten könnte. Was wie ein Vorschlag klingt, aber offensichtlich ein Angebot ist, das Adrien keineswegs ablehnen soll.
Eine ausgemachte Ein-Mann-Show
Der deutsche Titel von Laurent Tirards Komödie „Meine Schwester, ihre Hochzeit & Ich“ führt etwas in die Irre, denn tatsächlich streift „Le discours“, wie der Film im Original heißt, Sophie, Ludo und ihre Beziehung nur am Rande. Genau wie die Eltern verhalten sich die beiden Verlobten im Wesentlichen gemäß der Rolle, die ihnen Adrien in seiner Vorstellung für das Publikum eingeräumt hat, nämlich Stichwortgeber zu sein mit einem Hang, auch wichtige gesellschaftliche Themen rasch in Belanglosigkeit aufzulösen oder aber triviale Dinge wie die Vor- und Nachteile von Fußbodenheizungen endlos wiederzukäuen. Der Protagonist dagegen besitzt eine blühende Fantasie und gestaltet den weiteren Abend, den der restliche Film umfasst, mit ausgeschmückten Varianten, wie die bewusste Ansprache auf das Brautpaar ausfallen könnte. Zwischendurch rekapituliert er den Verlauf der Beziehung zu Sonia, blickt auf (peinliche) Erinnerungen zurück und schweift auf weitere Nebenschauplätze ab. Langer Rede kurzer Sinn: „Meine Schwester, ihre Hochzeit & Ich“ ist eine ausgemachte Ein-Mann-Show.
Die ist bei dem Darsteller Benjamin Lavernhe freilich in guten Händen. Der schlaksige Schauspieler von der Comédie-Française stürzt sich mit offensichtlicher Begeisterung auf die Gelegenheit, seine Bandbreite zu zeigen und sein Talent sprühen zu lassen. Der etwas sprunghafte Verlauf des Films, der dem assoziativen Charakter der Hauptfigur entspricht, erlaubt rasche Wechsel der Tonart, wie von der pointierten Demonstration der Trennungsgefühle (Trauer, Wut, Hoffnung, Hoffnungslosigkeit, Selbstmitleid) zu herben Schilderungen der Erfahrungen mit Frauen. Oder auch vom ausweichenden tatsächlichen Verhalten in der Tischrunde zu den unverblümten Antworten, die Adrien in seinen Gedankenspielen für die anderen parat hat.
Komische Entgleisungen bei der Hochzeitsrede in diversen Variationen
Die größten Ausdrucksmöglichkeiten bieten jedoch die verschiedenen Versionen der Hochzeitsrede, zumal Lavernhe hier unmittelbar an seinen köstlichen Auftritt als selbstverliebter, überheblicher Bräutigam in „Das Leben ist ein Fest“ (2017) anknüpfen kann. Seine elendig lange Ansprache setzte in der Komödie von Olivier Nakache und Eric Tolédano einen der Höhepunkte, und auch in Tirards Film fallen mehrere der imaginierten Reden im Bereich der komischen Entgleisung sehr witzig aus: Mal quält Adrien die Gesellschaft mit schlechten Scherzen, mal plaudert er Familiengeheimnisse aus, sodass er nahe daran ist, von der Bühne geprügelt zu werden, mal ist er so melancholisch gestimmt, dass er die ganze Hochzeitsstimmung vertreibt. In einem anderen Szenario geht er einfach nicht hin und erfindet wie oft in seinem Dasein irgendeine Ausrede. Natürlich gibt es auch eine Version, in der Adrien sich als glänzender Alleinunterhalter rauschenden Beifall verdient, doch holt er sich selbst schnell aus diesem Traum zurück: So reibungslos würde es nie im Leben laufen!
Die große Selbstbespiegelung
Nachdem Laurent Tirard als Regisseur bislang vor allem mit seinen Ausflügen ins Historische wie „Molière“ sowie mit den gelungenen Adaptionen vielgeliebter Vorlagen („Der kleine Nick“, „Asterix & Obelix – Im Auftrag Ihrer Majestät“) aufgefallen ist, hat er „Meine Schwester, ihre Hochzeit & Ich“ bewusst weniger aufwändig angelegt. Tirard verlässt sich auf den Charme seines Hauptdarstellers und auf einfallsreiche Bildideen, die den Sprachfluss von Adrien untermalen. Aber auch wenn die Ausmalung der Redesituation abwechslungsreich ist, trägt sie den Film letztlich nicht über seine ganze Länge. So gelangt Adrien schließlich zur Überzeugung, die ganze Hochzeit verhindern zu müssen, und beginnt, die schwesterliche Bindung zu sabotieren, reizt damit aber auch seinen Sympathiebonus aus. Zudem grätscht immer wieder seine eigene Beziehung mit Sonia in seine Reflexionen hinein, was an sich von der konzentrierten Grundsituation ablenkt, in Person von Sara Giraudeau aber immerhin die zweite facettenreiche darstellerische Leistung des Films bietet. Die übrigen Schauspieler agieren ihren unterentwickelten Charakteren entsprechend etwas blass, sodass auch die Ansätze von Kritik an den oberflächlichen, teils auch reaktionären Ansichten in Adriens Familie nicht recht durchstoßen. Sie bleiben Hintergrundgemurmel neben der großen Selbstbespiegelung des Protagonisten, der über die Spielfilmlänge hinweg seine behauptete Scheu vor dem Sprechen in der Öffentlichkeit gründlich widerlegt.