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Filmkritik
Eine Frau erhält einen Anruf, der ihre Welt zusammenbrechen lässt: Auf ihren Mann, mit dem sie seit Kindertagen zusammen ist, wurde ein Anschlag verübt. Er liegt schwerverletzt im Krankenhaus, wo er wenig später stirbt. Der sozialistische Politiker Juan Marí Jáuregui stand schon lange auf den Todeslisten der baskischen Terrororganisation ETA. Das geschah am 29. Juli 2000; zurückblieben Jáureguis Frau Maixabel Lasa (Blanca Portillo) und seine Tochter María (María Cerezuela). Der Mord erschütterte das Baskenland und ganz Spanien.
„Maixabel“ von Iciar Bollaín beginnt wie viele Thriller. In Parallelmontagen wird der Mord erzählt, wie sich das Opfer und der Täter aufeinander zu bewegen und wie anschließend die Mörder jubilieren, während die Hinterbliebenen in Trauer versinken. Das wäre an sich schon eine packende Geschichte, eine von vielen aus dem Baskenland, in denen Menschen umgebracht wurden und emotional verhärtete Attentäter ihre Opfer verhöhnten; und in denen mitunter aber auch Familien im bitteren Streit auseinanderdrifteten, weil das, was für die einen revolutionärer Befreiungskampf, brutaler Terrorismus für die anderen war. Allesamt Geschichten aus einer Region, die für lange Zeit von einem tiefen Schweigen gelähmt wurde.
Ein unmöglicher Dialog
Die Regisseurin Iciar Bollaín hat in ihren Filmen bislang immer eine besondere Begabung für die Balance zwischen Gefühl und Politik bewiesen; politische Gewalt stellte sie noch nie reißerisch oder spektakulär aus. „Maixabel“ beruht auf einer wahren Begebenheit. Das macht vieles einfacher, manches aber auch schwieriger. Denn ein Film über Terrorismus läuft immer Gefahr, durch Kameraführung, Schnitt und Musik stilistisch in Genre-Stereotypen zu verfallen. Doch Bollaíns Inszenierung meidet diese Fallen; selbst der Filmkomponist Alberto Iglesias setzt seine sonst so sinfonisch-effektreiche Musik sehr sparsam ein und schafft gerade zu Beginn große Distanz zur Gewalt. Die Genreelemente werden zwar spannend, aber ebenfalls stark dosiert genützt, was nicht nur darin begründet ist, dass Opfer wie Täter keine fiktiven, sondern reale Personen sind; der Hauptgrund liegt darin, dass der Film von den Folgen der Gewalt erzählt, von einem eigentlich unmöglichen Dialog und einer möglichen Versöhnung.
Denn elf Jahre nach dem Tod ihres Mannes erhält Maixabel Lasa einen unerwarteten Anruf. Ein verurteilter ETA-Mann möchte mit ihr sprechen. Er habe seine Taten bereut und mit der Terrororganisation gebrochen. Maixabel, die für eine Organisation arbeitet, die Opfer von ETA-Anschlägen unterstützt, muss nicht lange überlegen, sondern sagt zu. Sie glaubt, dass jeder, auch ein ETA-Terrorist, eine zweite Chance verdient. Doch das ist dann gar nicht so einfach. Bei Freunden und Angehörigen stößt Maixabel auf Unverständnis und Ablehnung; sie selbst ist sich aber ebenfalls ihrer Fähigkeit zur Vergebung nicht sicher: „Eigentlich hasse ich sie“, sagt sie mit entwaffnender Ehrlichkeit zu einer Freundin. Kann man dem Mörder eines Menschen wirklich vergeben?
„Maixabel“ handelt von Gewalt, Fanatismus und politischer Hörigkeit, aber auch von Widerstand und Wandlungsfähigkeit. Der Film verfolgt die Entwicklung der Figuren über Jahre hinweg, die Loslösung einzelner Terroristen von der ETA und die Bereitschaft der Opfer, sich dem Gespräch mit den Terroristen auszusetzen. Beim Prozess hatte der Attentäter Ibon Etxezarreta (Luis Tosar) Opfer und Staat noch als faschistisch beschimpft; doch im Gefängnis löste er sich allmählich von den Ideen und Zielen der ETA. Durch diesen Schritt erfährt er aber auch die Einsamkeit des Renegaten: „Außerhalb der Gruppe ist es kalt“, hatte ihn ein Mithäftling gewarnt. Bei seinen Freigängen ins Dorf seiner Mutter wird er von den Einwohnern geschnitten; auf dem Gefängnishof ignorieren ihn die ETA-Getreuen.
Eine bittere Wahrheit
Als Maixabel und Ibon sich zum ersten Mal begegnen, ist die Situation angespannt. Vergebung ist weder leicht noch angenehm, und die Reue erst recht nicht; auch das ist eine bittere Wahrheit des Friedens.
Das Baskenland war über Jahrzehnte hinweg von politischer Gewalt bestimmt. Erst am 20. Oktober 2011 schwor die ETA der politischen Gewalt ab. Die spanische Gesellschaft wird noch lange brauchen, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. In diesem Kontext ist „Maixabel“ ein respektvoller Film, der keine politischen Patentlösungen anbietet, aber ein Tabuthema offensiv angeht. Er erzählt von Hass und Gewalt, Trauer und Versöhnung, wobei die Opfer- und Täterperspektive klugerweise nicht gleichgewichtet werden, auch wenn beide Seiten wichtige Entwicklungen durchlaufen. „Maixabel“ ist anrührend, aber nicht sentimental, und er besticht durch Natürlichkeit, Zurückhaltung und das Zusammenspiel der Hauptdarsteller Blanca Portillo, die überzeugend zurückhaltend spielt, eine viel zu früh gealterte Frau, und Luis Tosar, der schweigsam, mit trotzigem Gesicht den mühsamen Weg von der Schuld zur Reue verkörpert. Beide wurden für die Vorbereitung ihrer Rollen von deren realen Vorbildern beraten; diese Verwurzelung in der Wirklichkeit ist die große Stärke des Films.