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Filmkritik
In dem malerischen 400-Seelen-Dorf Kerguen in der Bretagne ist die Bürgermeisterin Alice (Julia Piaton) für alles zuständig. Zumindest fühlt sie sich zuständig. Sie kümmert sich um Kranke, hört sich in der Sprechstunde Eheprobleme an und füllt zur Not auch ein Schlagloch in der Dorfstraße eigenhändig auf. Dazu unterrichtet sie mit viel Engagement in der dörflichen Zwergschule.
Als der 65-jährige Rentner Émile (Michel Blanc) einen Autounfall verursacht und sich hartnäckig weigert, den Unfallbericht auszufüllen, gesteht er ihr schließlich, dass er weder schreiben noch lesen kann. Seit sein Bruder Christian vor sechs Monaten gestorben ist, der ihm bis dahin im Alltag zur Seite stand, ist Émile aufgeschmissen. Am nächsten Tag sitzt er im Klassenzimmer und möchte das ABC lernen. Schweren Herzens duldet sie den notorischen Grantler, der mit seinen Schimpfkanonaden immer wieder aneckt. Doch es kommt noch schlimmer: Als die zuständige Behörde merkt, dass nur zehn statt der notwendigen 13 Schüler:innen eingeschrieben sind, droht sie mit der Schließung. Mit ihrem Stellvertreter Saturnin (Lionel Abelanski) und anderen versucht die einfallsreiche Alice, das Ende der Schule zu verhindern.
Ein Faible fürs Landleben
In „Es sind die kleinen Dinge“ beschreibt die französische Regisseurin Mélanie Auffret ein provinzielles Milieu, das sie aus eigener Anschauung kennt. Auffret ist in einer bretonischen Kleinstadt aufgewachsen; Teile ihrer Familie stammen aus kleinen Dörfern. Auffret hat ein Faible für ländliche Lebenswelten; schon in ihrem Debütfilm „Roxane“ (2019) erzählt sie von einem bretonischen Geflügelzüchter, der mit kuriosen Internetvideos um die Rettung seines landwirtschaftlichen Familienbetriebs kämpft.
Auffret und ihr Co-Autor Michaël Souhaité bleiben nicht bei der Schilderung des bukolischen Dorflebens um die beiden eigenwilligen Protagonisten und andere schrullige Figuren stehen, sondern verknüpfen dies mit zwei thematischen Kreisen. Zum einen beleuchtet der Film anhand von Émile das Phänomen des Analphabetismus, das auch in Frankreich größer ist als vielfach angenommen. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind davon betroffen. Die unaufgeregte Inszenierung nimmt sich Zeit, die vielfältigen Tricks und Eselsbrücken aufzuzeigen, die Menschen anwenden, um sich durchzuschlagen.
Zum anderen verweist Alices Kampf gegen die Schulschließung auf ein weit verbreitetes Problem in ländlichen Gegenden: die Landflucht. Viele junge Leute ziehen in Städte, wodurch sich die Dörfer leeren und Geschäfte, Cafés und Kneipen schließen. In Kerguen existiert von vier Bistros inzwischen keines mehr. Besonders prekär wird es, wenn auch die Schule ihre Pforten schließt, denn dann ziehen auch die Familien mit Kindern weg; auf Zuzug neuer Familien braucht man so nicht zu setzen. Mit der schleichenden Verödung der Dörfer geht dann die allmähliche Vereinsamung der restlichen Bevölkerung einher, da es immer weniger soziale Treffpunkte gibt. Wenigstens wird eine von Alice wiederbelebte Ersatzbäckerei von den cleveren Dorfbewohnern im Handumdrehen zu einer Kneipe umfunktioniert.
Das Huhn heißt Mbappé
Auffrets Komödie erfindet das Genre nicht neu. Doch die Szenen in der altmodischen Dorfschule, die an „Sein und Haben“ (2002) von Nicolas Philibert über einen Lehrer an einer Zwergschule in der Auvergne erinnern, sind mit Gags und humoristischen Einfällen gespickt. Als Alice einen Käfig mit einem Huhn in die Schule mitbringt, diskutieren die Kinder, ob sie es Greta Thunberg oder Baby-Einhorn nennen sollen, entscheiden sich dann aber für Mbappé, nach dem französischen Starkicker Kylian Mbappé.
Getragen wird die kurzweilige Dorfchronik von einem spielfreudigen Ensemble, allen voran Michel Blanc und Julia Piaton. Wie zwischen ihren beiden Figuren, dem Griesgram und der Altruistin, trotz großer Unterschiede allmählich eine freundschaftliche Zuneigung und gemeinnützige Kameradschaft entsteht, ist ebenso prägnant wie leidenschaftlich gespielt. Neben den beiden lässt die Inszenierung aber auch für schrullige Nebenfiguren wie den diensteifrigen Vizebürgermeister Saturnin Raum, den Lionel Abelanski mit bemerkenswerter Nonchalance verkörpert.
Sympathisch an „Es sind die kleinen Dinge“ ist, dass Auffret die Dorfbewohner mit ihren Unzulänglichkeiten und Macken nie vorführt, sondern eine respektvolle Atmosphäre erschafft, in der Toleranz, Solidarität und Gemeinschaftssinn als zentrale Tugenden für das Überleben von dörflichen Mikrokosmen aufleuchten.