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Filmplakat von Die Bestie

Die Bestie

146 min | Drama, Science Fiction, Lovestory
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Im Jahr 2044 haben Emotionen in einer von der KI-kontrollierten Gesellschaft keinen Platz mehr. Gefühle sind zu überflüssigen Hindernissen geworden, die die Produktivität beeinträchtigen. Gabrielle kann sich von ihren Ängsten nicht befreien und ist gezwungen, sich ihre DNA von der KI „reinigen“ zu lassen. Dieser Prozess schickt sie auf eine Reise durch ihre vergangenen Leben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Gabrielle Konzertpianistin in Paris, in den 2010er Jahren lebt sie als Fotomodel in Los Angeles, immer trifft sie auf Louis, der mit ihr verbunden zu sein scheint. In den unterschiedlichen Inkarnationen und Epochen erzählt die Begegnung von Gabrielle und Louis von großen Gefühlen und der Schwierigkeit, diese auch leben zu können.

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Filmkritik

Gabrielle (Léa Seydoux) steht in einem kahlen grünen Raum. Für Filmdrehs werden solche Sets eingesetzt, um in der Postproduktion nachträglich einen beliebigen Hintergrund oder Requisiten einzufügen. Die Schauspielerin muss deshalb mit einer Umgebung interagieren, die nicht existiert. Gabrielle steht vor einem Tisch, greift nach einem Messer und schreckt vor einem Monster zurück, doch all diese Dinge bleiben für die Zuschauer unsichtbar.

Virtuelle Welten spielen in „The Beast“ von Bertrand Bonello eine entscheidende Rolle. Echter als das, was man sieht, wirkt hier das, was die Figuren fühlen. Die Protagonistin begegnet in unterschiedlichen Zeitebenen: als Schauspielerin im Los Angeles des Jahres 2014, als musisch begabte Gattin eines Pariser Puppenfabrikanten im Jahr 1910 sowie im Jahr 2044, wo künstliche Intelligenz vorherrscht und die menschliche Gefühlswelt lediglich als Fehlerquelle gesehen wird.

Eine Revue früherer Leben

Die Zukunft besteht aus sterilen Räumen und menschenleeren Plätzen. Die verbleibenden Menschen können hier ihre DNS reinigen lassen und zu einer Art Cyborg werden, um bessere Chancen auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt zu haben. Während Gabrielle in einer schwarzen, breiigen Masse liegt, unterzieht sie sich diesem Prozess und lässt ihre früheren Leben Revue passieren. In diesen Reinkarnationen bleibt ihr Wesen stets das Gleiche: Zugleich getrieben von ihrer Sehnsucht nach Liebe und gelähmt von einer überwältigenden Angst vor einer unbestimmten Katastrophe.

In den distinguierten Kreisen des Pariser Großbürgertums trifft sie auf den Engländer Louis (George MacKay), den sie scheinbar schon kennt, auch wenn sie sich nicht richtig erinnern kann. Die beiden reflektieren über das Leben, die Kunst und die Furcht vor dem, was noch kommen könnte. Obwohl sie eine erotische und emotionale Spannung verbindet, geht Gabrielle kurz vor der endgültigen Annäherung auf Distanz.

Fast zeitgleich zu „Das Tier im Dschungel“ von Patric Chica hat Bonello die gleichnamige Erzählung von Henry James adaptiert. Die Geschichte um einen hoffnungslosen Fatalisten, der über die Jahre hinweg scheitert, sich der Frau hinzugeben, die er liebt, wird vor allem in den Paris-Episoden aufgegriffen; allerdings mit vertauschten Geschlechtern. Die unmögliche Liebe zwischen Gabrielle und Louis bleibt zwar auch der Kern von „The Beast“, doch Bonello reichert sie mit klassischen Science-Fiction-Motiven vom Verlust des Menschlichen und der Wirklichkeit an.

Ein assoziativer Rhythmus

In Paris erklärt Gabrielle, wie schwierig es für sie sei, in Arnold Schönbergs Zwölftonmusik das Gefühl zu entdecken. Häufig geht es im Film darum, etwas zu finden, das es vielleicht gar nicht gibt, sondern nur von uns hineininterpretiert wird. In einem verstörenden Moment lässt Gabrielle für mehrere Sekunden ihre Mimik einfrieren, um ein typisches Puppen-Gesicht darzustellen: fast ausdruckslos und gerade deshalb perfektes Rohmaterial für unsere Sehnsüchte.

Die Puppe ist eines der Hauptmotive in „The Beast“. Der Film folgt weniger einer herkömmlichen Handlung, als dass er assoziativ Gedanken verknüpft. Auch die Cyborgs in der Zukunft werden Puppen genannt. Dass sie von Liebe sprechen, ohne fühlen zu können, führt zu einer zentralen Frage des Films: Ist die Liebe nicht immer nur eine Simulation, und der vermeintlich perfekte Partner einfach jemand, der sich unseren Projektionen am wenigsten widersetzt?

Je weiter sich der Film Richtung Zukunft begibt, desto stärker schreitet auch die Selbstentfremdung voran. In Los Angeles muss Gabrielle bei einem Casting mit anderen identisch gekleideten Frauen im Kreis laufen. Sie ist austauschbar geworden. Ihr Drang zu einer durch Schönheitsoperationen vollzogenen Selbstoptimierung droht sie schon hier zur Puppe werden zu lassen. Sie hat nicht einmal eine eigene Wohnung, sondern hütet gegen Bezahlung die verglaste Villa eines Fremden.

In Los Angeles ist es Louis, an dem die Beziehung scheitert. Inspiriert vom Massenmörder Elliot Rodger, zeichnet Bonello ihn als Incel, der die ständige Zurückweisung durch Frauen mit einem Blutbad vergelten will. Er ist einer, der nur in Träumen Sex hat, wird Gabrielle von einer Hellseherin gewarnt. Doch nicht nur die Erotik findet ausschließlich in Louis’ Kopf statt, sondern auch die Zurückweisung. Das wahre Hindernis ist seine Angst. Im Angesicht vermeintlich unerreichbarer weiblicher Schönheit gärt die giftige Unsicherheit der Männer vor sich hin.

Der Glaube ans Gefühl

Bonellos diskursiver Ansatz führt manchmal dazu, dass sich die Thesen nicht in der Handlung oder im Spiel der Darsteller auflösen, sondern etwas klobig im Raum stehen bleiben. Besonders in den kalifornischen Episoden geraten sie mitunter auch etwas klischeehaft und drohen, den Bildern das Leben auszusaugen. Die USA wird dabei mit etwas grobschlächtiger Kapitalismuskritik als reale Dystopie gezeichnet; inklusive eines abgegriffenen Trump-Witzes.

Was den Film jedoch rettet, ist nicht nur sein Sinn für Schauwerte in Form von Mode, Architektur und Musik, sondern auch sein Glaube ans Gefühl. Wie Roy Orbisons mehrmals anklingender Song „Evergreen“ erzählt auch „The Beast“ von einer alle Zeiten überdauernden Zuneigung. Diese Liebe ist hier nicht nur ein abstrakter Begriff, sondern materialisiert sich im Schauspiel; in der Dringlichkeit des unter Dauerspannung stehenden George MacKay ebenso wie in der schlaftrunkenen Unsicherheit von Léa Seydoux.

Die Inszenierung mag manchmal zwar ein wenig trocken und analytisch sein, aber es schimmert doch stets die Tragik eines unerfüllten Verlangens und der Horror vor dem Selbstverlust durch. „The Beast“ wirkt deshalb wie ein Plädoyer für die menschliche Gefühlswelt in all ihrer Ambivalenz und Abgründigkeit. Zwar ist der Tod im Film allgegenwärtig; am furchterregendsten aber ist es, zu leben, ohne zu lieben.

Erschienen auf filmdienst.deDie BestieVon: Michael Kienzl (4.10.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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