Vorstellungen
Filmkritik
Videos von Nahtoderfahrungen in der Wildnis durch unerwartete Begegnungen mit gefährlichen Raubtieren sind ein zyklisch wiederkehrender Trend auf den Videoplattformen des Internets. Oft kommentieren die Filmenden unbedarft das Geschehen, wundern sich über die Neugier von Bär oder Puma, haben keine Vorstellung von der Gefahr, die ihnen nachstellt, glauben bis zuletzt nicht daran, dass die nächsten Momente der Aufnahme ihr eigenes grauenvolles Ableben abbilden könnten. Die Reaktionen von den Touristen, Wanderern und Familien beim Sonntagsausflug, die einen Grizzly oder Berglöwen filmen, wie er ihnen nachstellt, stehen in einem unheimlichen Missverhältnis zur eigentlichen Gefahr der Situation. Sie alle klammern sich an eine Normalität, die mit Auftreten des Raubtiers keine Gültigkeit mehr hat.
Wie wenig alles in Ordnung ist
Auf YouTube und Co. bleibt der Ausflug ins Grüne freilich, abgesehen vom eventuellen Schrecken, folgenlos. Bär und Mensch gehen ihrer Wege, die Natur darf Refugium und ästhetische Erfahrung bleiben. Das Spielfilmdebüt von Chris Nash ist gewissermaßen der grotesk überzeichnete Entwurf eines anderen Ausgangs der gleichen Situation. Wobei hier nicht ein wildes Tier Jagd auf unachtsame Wanderer macht. Es ist ein riesiger, halb verrotteter Untoter, der die heimsucht, die ihm in der Wildnis begegnen. Der seltsame Kontrast aber zwischen lauernder Gefahr und der Erwartung, dass alles in Ordnung sei, bleibt. Wie wenig alles in Ordnung ist, ist das, was „In a Violent Nature“ ausstellt. Der Slasher-Teil des Films ist die grotesk überzeichnete Vision der Gefahr, die da draußen lauert. Wenn der Untote auf seine Opfer trifft, wird ein Kopf mit Hilfe eines rostigen Hakens von dem dazugehörigen Rumpf gezogen und in das vorher in den Magen des Opfers gerissene Loch gestopft.
Bis zu diesen Momenten, in denen der Film in absonderlich-affektierter Manier groteske Brutalität zur Schau stellt, ist die Natur, der er sich verschreibt, eben die Wildnis, die im Backwoods-Horror seit den 1970er-Jahren jungen, naiven Stadtmenschen den Tod bringt. „In a Violent Nature“ reiht sich hinter jene Variationen des Subgenres ein, die die Natur als Gegenpol einer digitalisierten und virtualisierten Welt verstehen. Der moderne Backwoods-Horror findet den Tod noch immer in der Natur, begreift diese aber weniger als Schreckens- denn als Sehnsuchtsort, der, abseits der nostalgisch verklärten Vergangenheit, das letzte, trügerische Refugium einer lauten und bis in den letzten Winkel vernetzten Welt ist. So ist auch die mit Moosen ausgelegte, mit Farnen dekorierte und von Tannen und Kiefern überdachte Wildnis Kanadas ein Paradies – bis der in ihm verborgene Schrecken erwacht.
Ein Paradies, bis der Schrecken erwacht
Das Alleinstellungsmerkmal von „In a Violent Nature“ ist allein seine Perspektive. Wie in einem Videospiel hängt die Kamera an der gewaltigen, von Wunden und Narben gezeichneten Gestalt, die durch den Wald stapft und aus der Distanz die Streits der Einheimischen, die Lagerfeuergeschichten, die Liebeleien, die Yoga-Übungen und Spielchen der Touristinnen beobachtet. Alles, was überall dort, wo Menschen zusammenkommen, selbstverständlich ist, der Rhythmus, die Geschwindigkeit und das unbeschwerte Zusammenleben selbst, ist hier, durch die Augen des Mörders gesehen, fehl am Platz. Was die mörderische Gestalt in der Jahrzehnte alten Gasmaske zu den grauenvollen Morden motiviert, schiebt der Film als örtliche Lagerfeuerlegende dazwischen, ist aber eigentlich nicht weiter von Interesse.
„In a Violent Nature“ ist ein Film, der sich aus den abgegriffensten Horror-Topoi (Teenager im Wald, Boogeyman-Mörder, lokale Schauermärchen und so weiter) eine Prämisse zusammennäht, um sie aus ungewöhnlicher Perspektive unter die Lupe zu nehmen. So wird daraus ein formalistisches und affektiertes Slasherfilm-Experiment, aber auch ein atmosphärisches Werk, das zwar tief in der Genre-Geschichte verwurzelt ist, die dazugehörige Handlung aber lieber ins Off verlagert, um seinen Rhythmus auf den langen Märschen in die kanadischen Wälder zu finden.
Der Wald hat nichts übrig für Yoga und Lagerfeuerromantik
Das gleichförmige Stapfen des Killers ist der Puls des Films, der perfekt harmoniert mit den Geräuschen des Waldes, die sich dort den Raum erobern, wo üblicherweise Filmmusik zu hören ist. Wo die Opfer des Untoten durch das Unterholz straucheln, über Gestrüpp fallen oder sich selbst eines Fluchtwegs berauben, steht die Natur dem Todesmarsch des Killers nie im Weg. Sanft streicheln die Farne an den Oberschenkeln des Mörders, die Bäume sehen gleichmütig zu, wenn er wieder und wieder auf den bereits leblosen Körper eines seiner Opfer einschlägt. Der Wald hat nichts übrig für Yoga und Lagerfeuerromantik, interessiert sich nicht für das Schicksal der Teenager, ist unberührt vom Tod, ganz egal, ob er langsam zu einem im Fangeisen dahinsiechenden Fuchs oder mit Säge, Axt oder Haken zu den Waldtouristen kommt.
Der untote Mörder scheint als einziger wirklich zuhause in dieser Wildnis, die nicht Postkarten-Panorama sein will, stattdessen in der flachen Schärfe des 4:3-Formats verweilt und sich nicht schert, ob sie Hindernis für die Unschuldigen oder Wegweiser für den gnadenlos zielstrebigen Killer ist. Der Tod ist Teil der Ästhetik einer Wildnis, die nicht differenziert zwischen Gut und Böse, die den Fuchskadaver, der langsam verwest, genauso betrachtet wie den Tautropfen, der auf dem moosigen Boden verdunstet. Der Tod ist Normalität im Dickicht der Wälder, grausame, langweilige Normalität.