Filmplakat von Holy Island

Holy Island

86 min | Drama
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In einer öden Küstenstadt kreuzen sich die Wege eines älteren Herrn und einer Frau, die beide dem Ort entfliehen wollen, jedoch von ihren Banden nicht ganz loskommen können. Während sie miteinander sprechen, enthüllen sie Stück für Stück ihre Geschichten und Erinnerungen, wobei stets unklar bleibt, ob diese real, erträumt oder ersehnt sind. Ein geheimnisvoller Taxifahrer gesellt sich dazu, der sie durch die Stadt chauffiert und mit weiteren rätselhaften Geschichten fesselt.

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Filmkritik

David und Rosa sitzen in einer kleinen irischen Hafenstadt auf einer entvölkerten Insel fest. Alles wirkt ziemlich kulissenhaft. Die Straßen sind ebenso menschenleer wie die Hafenanlage oder das Fährbüro. Die hochauflösenden, kontrastreichen Schwarz-weiß-Aufnahmen unterstreichen das sterile Setting, in dem jeder Mensch zur Figur wird, eine Rolle übernimmt oder eine Funktion erfüllt. Jeder Auftritt und jede Begegnung erscheint bedeutungsvoll.

Um das Limbus-artige Zwischenreich an der Schwelle von Leben und Tod macht „Holy Island“ von Anfang an kein Geheimnis. Der irische Regisseur Robert Manson verschleiert die Symbolträchtigkeit seiner Geschichte nicht, sondern meißelt sie vielmehr markant heraus: das ersehnte Ticket für eine Fähre, der leere Wartesaal, der stotternde Junge, der seine Krähe sucht, der redselige Taxifahrer, der David, nicht jedoch Rosa als Fahrgast auf seiner Liste stehen hat, der wilde Geiger. Es ist offenkundig, dass dies alles metaphorisch zu verstehen ist. Nur wie oder ob alles zusammenhängt, bleibt unklar.

Wandeln wie ein Liebespaar

David, Mitte vierzig, und Rosa, um die dreißig, sind zwei Fremde, die sich seelisch und vielleicht auch romantisch, aber jedenfalls nicht körperlich zueinander hingezogen fühlen. So durchwandeln sie die von Meer und Strand wunderschön begrenzte Parallelwelt wie ein Liebespaar in einem Mumblecore-Film.

Die emotionale Intensität und die authentische Aura, die Jeanne Nicole Ní Áinle und Conor Madden ihren Charakteren mit auf die Suche geben, kontrastiert die gespenstische Leere der sie umgebenden Stadt. In ihrer streunenden Verlorenheit erinnern die selbstbewusst-undurchsichtige Rosa und der melancholisch schwermütige David an das verhinderte Liebespaar aus Mansons Spielfilmdebüt „Lost in the Living“, nur dass sie diesmal das Leben bereits hinter sich gelassen haben. Dennoch flirrt dieses in kurzen, farbigen Super-8-Impressionen immer wieder unvermittelt als organische Erinnerungssprengsel durch die aus kontrastreichen Großaufnahmen und unscharfen Panoramen klinisch errichtete Bildarchitektur.

Ganz selbstverständlich lässt die Verkäuferin am Ticketschalter David eine Nummer ziehen und schickt ihn in einen Warteraum, obwohl in der maroden Halle sonst niemand ist. Ein unerbittlich bürokratischer Ablauf, der in seiner Absurdität an Kafka erinnert. Im Wartezimmer begegnet David zwei Männern; einer ist auf dem Stuhl eingeschlafen, ein anderer steht mit dem Rücken zur Kamera vor dem Fenster und wischt unablässig in kleinen Kreisen über die Scheibe. Eine Szene wie aus einem frühen Buñuel-Film. Von dessen „Dieses obskure Objekt der Begierde“ ließ sich Manson auch dazu inspirieren, David durch zwei unterschiedlich alte Schauspieler zu besetzen. Mitten im Film blickt der von Conor Madden verkörperte David in einen Spiegel, aus dem ihm eine von Dermot Murphy gespielte, leidenschaftlich naive jüngere Version seiner selbst entgegenblickt, die dann vorübergehend seine Rolle übernimmt, ohne dass sich jemand darüber zu wundern scheint.

Kraftvolles, surreales Kino

Erst ganz am Ende rückt der Film von dieser sich narrativen Zusammenhängen verweigernden Traumlogik ab, indem er den Anfang wieder aufgreift und dadurch einen Abschluss und Sinn suggeriert. Bis dahin durchwandeln Rosa und David scheinbar ziellos ein magisch-fantastisches Panoptikum surrealer Bilderwelten und Assoziationen von Kafka über Buñuel, Dalí und Bergman bis hin zu Beckett und Lynch. Wie in einem Traum, von dem niemand weiß, wer ihn eigentlich träumt.

„Holy Island“ ist ein mitunter fast klaustrophobisch beklemmender Film mit gespenstisch-bizarren Ausflügen in einen spärlich besuchten irischen Pub oder eine somnambule Bingo-Bar. Kein Kino zum Nacherzählen, kein Film, den man nicht mehr sehen müsste, wenn man die Kritik dazu gelesen hat. Ein eigenwilliges, wie aus nachträglich voneinander getrennten Doppelbelichtungen und plakativen Klischeefragmenten collagiertes Werk voller unterkühlter, paralysierender Schönheit.

Erschienen auf filmdienst.deHoly IslandVon: Stefan Volk (18.8.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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