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Filmkritik
Für alle, die schon immer wissen wollten, was aus dem engagierten Englischlehrer John Keating in Peter Weirs „Club der toten Dichter“ (fd 28 082) nach seiner Relegation vom ebenso autoritären wie elitebewußten Welton-Internat geworden ist, hält „Good Will Hunting“ die Antwort bereit: Er heißt jetzt Sean McGuire, ist Psychotherapeut und wird immer noch unnachahmlich von Robin Williams verkörpert. Mit seinem Credo „Folge deinem Herzen“ gibt er weiterhin jungen Männern in der Adoleszenzkrise Orientierung und Halt. Davon profitiert in Gus van Sants Film der Titelheld aus dem Arbeiterviertel Süd-Bostons, der nach erneuter Straffälligkeit als Bewährungsauflage zu einer Therapie verurteilt wird. Mit knapp 21 Jahren kann Will Hunting auf eine leidvolle Biografie zwischen Waisenheimen, Pflegefamilien mit prügelnden Vätern und Jugendkriminalität zurückblicken. Als Überlebensstrategie hat sich das Mathematik-Genie mit dem fotografischen Gedächtnis in die Welt der Bücher und damit in ein Leben aus zweiter Hand zurückgezogen, anstatt eigene Erfahrungen zu sammeln. Eine Ersatzfamilie hat er in seinen Freunden Chuckie, Morgan und Billy gefunden, mit denen er tagsüber auf dem Bau arbeitet und abends in trostlosen Vorstadtkneipen herumhängt.
Van Sant ist nur auf den ersten Blick seinen Außenseiterporträts aus „Drugstore Cowboy“ (fd 28 331) und vor allem „My Private Idaho“ (fd 29 222) treu geblieben, denn an die Stelle von Aussichtslosigkeit und Scheitern tritt mit Will Hunting ein hoffnungsvoller Held, der unter der Protektion des ehrgeizigen Mathematikprofessors Gerry Lambeau den Aufstieg in eine bürgerliche Existenz schafft. Herausgekommen ist ein mitunter packender filmischer Entwicklungsroman, der allerdings stark dialoglastiges Kino bietet und sich über zwei Stunden in langen Sequenzen und Großaufnahmen auf die Gesichter seiner Darsteller konzentriert. Es ist ein Schauspielerfilm im doppelten Sinne: Man merkt ihm einerseits deutlich an, daß das Drehbuch von den Hauptdarstellern Ben Affleck und Matt Damon, zwei ambitionierten Hollywood-Nachwuchsstars, geschrieben wurde. Es bietet den Akteuren fast exzessiv viele Plattformen zur vordergründigen Demonstration ihres schauspielerischen Könnens, was sie natürlich gerne nutzen, denn es strotzt nur so vor langen Monologen und Dialogen. Diese sind nach einem einfachen, aber effektiven Muster gestrickt: erst eine ernste Aussage, dann ein konterkarierender Gag. Das funktioniert meistens, aber bei der bemüht wirkenden Imitation von Wissenschaftsdiskursen verfehlen die Drehbuchautoren den richtigen Ton. Bis auf die eine oder andere ungewöhnliche Kameraperspektive und den kunstvoll gestalteten Vorspann, der in einem Kaleidoskop von Überblendungen und Doppelbelichtungen Wills Rückzug vom Leben illustriert, hat van Sant diesem Übergewicht kaum genuin filmische visuelle Lösungen entgegenzusetzen, wie nicht zuletzt die konventionell aufgelösten Gesprächssituationen demonstrieren.
Auf der anderen Seite bestechen die darstellerischen Leistungen der fast ausschließlich männlichen Mimenriege. Vor allem Williams als bärtiger Psychotherapeut nimmt für sich ein. Aber auch er kann nicht über die simplifizierende Botschaft des Films, daß die Einsicht in das Trauma und die therapeutische Heilung eins sind, hinwegtragen, zumal seine Figur das Klischee vom Seelendoktor, der mindestens genauso therapiebedürftig ist wie sein Klient, bedienen muß. Denn nach dem Verlust seiner vor zwei Jahren verstorbenen Frau hat er sich wie Will von lebendigen Erfahrungen abgeschottet. Wie Williams indes McGuires Liebe zu seiner Frau in der Erinnerung an die kleinen Dinge einer Beziehung durch Mimik und Gestik sinnlich spürbar werden läßt, gehört zu den ergreifendsten Momenten des Films. Sein jugendlicher Gegenpart Matt Damon als Will fällt dahinter weit zurück, was zu Lasten der Kernszenen des Films, der Therapiesitzungen, geht. Zwar füllt er die Rolle des rebellisch-genialen „Mathe-Magiers“ physisch perfekt aus, aber weder die inneren Spannungen und Seelenqualen seines Charakters hinter einer glatten Oberfläche noch die Überwindung von dessen Beziehungsunfähigkeit vermag er glaubhaft zu machen.