Filmplakat von Geranien

Geranien

83 min | Drama
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Zur Beerdigung der geliebten Oma kehrt Nina zurück in ihr Elternhaus im Ruhrgebiet. Sie lebt als Schauspielerin in Amsterdam ein betont unabhängiges und freies Leben

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Filmkritik

Die Liebe von Eltern zu ihren Kindern sei unverbrüchlich, sagt man. Was aber, wenn man trotz der Liebe so unterschiedlich ist, dass man sich nichts zu sagen hat? Muss dieser Mangel an Kommunikation unbedingt etwas Dramatisches sein? Mit solchen Fragen beschäftigt sich das Spielfilmdebüt der Regisseurin Tanja Egen.

Von den Ursprüngen entfremdet

Die Schauspielerin Nina (Friederike Becht) bekommt die Entfremdung von ihren Ursprüngen schnell zu spüren. Sie ist gerade aus dem Zug gestiegen und zieht sich am Bahnhof eine schwarze Bluse an, um für die Beerdigung ihrer Großmutter bereit zu sein, als sie erfährt, dass die Bestattung verschoben wurde. Niemand hatte es anscheinend für nötig befunden, ihr Bescheid zu geben, weder der Vater noch die Mutter.

Was sagt das über die Gesprächskultur innerhalb der Familie aus? Ist Nina das Familienmitglied, das man vernachlässigen kann? Die jüngere Schwester weiß jedenfalls Bescheid. Oder muss man Eltern in solch einer Ausnahmesituation einfach verzeihen?

Mutter Konnie (Marion Ottschick) ist ein Stein auf dem Grab ihrer Mutter wichtig, daher die Verschiebung des Termins. Doch die Habseligkeiten der Verstorbenen hat sie alle schon weggeworfen, bis auf das, was in einen Karton passt. Da sei die Kuckucksuhr drin, die einzige Sache von Wert, teilt der Vater der Tochter mit. Nina ist geschockt und fühlt sich hintergangen. Ganz offensichtlich war ihr die Oma, mit der sie aufwuchs, näher als die eigene Mutter. Diese wiederum war mit ihrer eigenen Mutter nie sonderlich warm geworden und fühlte sich von deren forscher Art überfordert.

So erzählt „Geranien“, dass Liebe, gepaart mit Verständnis und Geborgenheit, manchmal eine Generation überspringen kann. Mütter geben Versäumnisse, an denen sie gelitten haben, aber durchaus an ihre Töchter weiter.

Zu einem Eklat kommt es in „Geranien“ allerdings nie, jedenfalls nicht in der Familie. Kränkungen machen sich durch schnippische Bemerkungen oder Schweigen Luft. Auch die Regie bleibt ähnlich verhalten wie die Figuren; sie denunziert niemanden, lässt die Story sich langsam entfalten und füllt die eine oder andere narrative Lücke, aber nicht zu viele.

Joggen, Klettern, Verstecken

Auch Trauer kann verschiedene Gesichter annehmen. Die eine trauert offensichtlicher, die andere mehr in sich gekehrt. Dass beides in Ordnung ist, verdeutlicht dieser unaufgeregte Film, wobei er nie eindeutig Partei für eine der Figuren ergreift. Konflikten gehen die Protagonisten weitgehend aus dem Weg, sei es durch Joggen, durch Klettern oder Sichverstecken. Ein wenig getratscht wird natürlich auch. Dann sagt die Nachbarin zur Mutter, dass die Tochter ja schon immer ein wenig theatralisch gewesen sei – Schauspielerin eben. So treffen die emotionale Tochter und eine alles internalisierende Mutter selten denselben Ton. Zwischendurch wird die Leinwand in Schwarz getaucht. Es sind Intervalle, die Zeit zur Reflektion bieten und den nächsten Akt in der Beziehung zwischen den ungleichen Frauen einläuten.

Andererseits ist „Geranien“ auch ein Film über das Heimkommen in die Fremde, zu dem das Elternhaus geworden ist. Es ist ein recht geräumiges Haus in der kleinbürgerlichen Provinz, wo jeder jeden kennt und sich in Jahrzehnten nicht viel verändert hat. Der Garten entpuppt sich sogar als Hort persönlicher Schätze, die dort geheimnisvoll vergraben wurden. Alles in dem Örtchen hat seine (rechte) Ordnung und Reihenfolge, auch bei der Beisetzung. Rituale sind wichtig, der Pfarrer ist eine Respektsperson, und Blöße sollte man sich nach außen hin nicht geben.

Nina ist jedoch eine Persönlichkeit, die wegwollte und deren Sehnsucht nach Neuem sie sogar in ein anderes Land verschlagen hat, wenn auch kein sehr fernes: nach Holland. Dennoch hat sie sich dadurch doppelt von den Eltern distanziert. Ganz bestimmt sind es auch das Nichtverstehen und das Sich-nicht-verstanden-fühlen auf beiden Seiten, die kleine Racheaktionen zeitigen. Nina kommt ohne ihren Sohn zur Beerdigung. Und Konnie sagt eben einfach gar nichts, und das hat auch Folgen. Der Weggang der einen wirft bei den Dagebliebenen zwangsläufig Fragen auf oder lässt Komplexe entstehen. So muss sich Nina von einer ehemaligen Schulfreundin den Vorwurf der Arroganz gefallen lassen.

Der Segen kleiner Regelverstöße

Dennoch kommt ein wenig Bewegung in die festgefahrene Situation. Eine zarte Annäherung wird durch kleine Regelverstöße erreicht, die Spaß machen. Andererseits kann die Bodenständigkeit in der Heimat auch heilsam sein. Und so mag eine Schauspielerin, die in der Kneipe, bei den Eltern oder den Nachbarn ihrem potenziellen Publikum begegnet, durchaus Arbeitsangebote überdenken – Qualität ist schließlich relativ. Da kann man auch mal eine Rolle beim „Traumschiff“ annehmen. Denn, so weiß der Volksmund: Wichtig ist dabei ja immer, in welche idyllischen Landschaften es diesmal geht.

Erschienen auf filmdienst.deGeranienVon: Kira Taszman (22.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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