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Filmkritik
Weihnachten ist das Fest der Familie, aber auch der (Nächsten-)Liebe. Wenn die Angehörigen zum Fest nicht erscheinen können, besinnt man sich eben auf andere. Die Eheleute Vincent (Franck Dubosc) und Béatrice (Emmanuelle Devos), beide Ende fünfzig, müssen zu Heiligabend auf ihre Kinder verzichten. Der eine Sohn arbeitet im Krankenhaus, der zweite hat sich mit dem Vater überworfen, und die Tochter fliegt mit ihrer Familie kurzentschlossen nach Mauritius. Als der Pfarrer im Gottesdienst vorschlägt, an Heiligabend einsame Menschen bei sich zu empfangen, nimmt ihn Vincent beim Wort. Er klappert die Altersheime der Gegend ab, bis er fündig wird.
Die betagte Monique (Danièle Lebrun) hat keine Familie. Entgegen den Befürchtungen von Béatrice ist sie weder dement noch gebrechlich und riecht auch nicht streng. Dafür konsumiert sie gerne Alkohol. Und bemängelt, dass es bei den Barands keinen Weihnachtsbaum gibt. Um der alten Dame eine Freude zu machen, besorgt Vincent kurzerhand einen Mini-Plastikbaum. Doch da Béatrice auf Moniques Geschichten, die alle von Tod und Verfall handeln, allergisch reagiert, muss ihr Gatte sie wieder im Heim abliefern.
Mit Wut und Verzweiflung
Doch das geht nach hinten los. Denn beide kehren bald unverrichteter Dinge wieder ins schmucke Einfamilienhaus zurück – mit Moniques bester Freundin Jeannette (Danielle Fichaud) im Schlepptau. Die kräftige Frau mit dem losen Mundwerk fängt auch sofort an, Ansprüche zu stellen und an allem herumzumäkeln. Das Gästezimmer ist zu klein, dass Fisch serviert wird, empfindet sie als seltsam, und die Geschenke der Gastgeber sind nicht groß genug. Außerdem kommentiert die ehemalige Gefängniswärterin die Beziehungsprobleme der Eheleute und erstickt dann fast an einer Gräte, während Monique sich hemmungslos besäuft. Nach und nach geraten die beiden Seniorinnen völlig außer Rand und Band und randalieren in Haus und Garten herum, worauf das verzweifelte Paar mit Wut und Hilflosigkeit reagiert.
Auf diese Weise artet die Komödie „Fast perfekte Weihnachten“ von Clément Michel zwischenzeitlich komplett zur Klamotte aus und schlägt ebenso über die Stränge wie die beiden Rentnerinnen. Die Eskalation wurde narrativ allerdings von langer Hand vorbereitet. Denn die alten Frauen, die sich wie die Brandstifter bei „Biedermann“ gerieren, dienen eigentlich nur als Katalysator für einen Ausbruch, der ohnehin in der Luft lag. Dass die Fremden überhaupt erst ins Haus gelassen wurden, liegt auch daran, dass Vincent das Fest nicht allein mit seiner Frau verbringen will. In die Ehe der Barands hat sich eine Routine geschlichen, die vor allem der Zeichenlehrerin Béatrice missfällt. Ihr Mann, der einen mittelständischen Betrieb führt, hört kaum zu, geht nicht auf ihre Wünsche ein und straft auch die Kunstwerke seiner Frau mit Nichtbeachtung. Dass nun Fremde die Brüche in der Beziehung lautstark kommentieren, öffnet den Eheleuten die Augen.
Die anfangs so dreisten Gäste erweisen sich schließlich als durchaus heilsam und entlarven die Bigotterie des Paars. Denn Haus, Wohlstand und guter Ruf bedeuten vor allem dem konfliktscheuen Vincent fast alles. Er traut sich nicht einmal, seinen hinterhältigen Nachbarn zu konfrontieren, über den er sich ständig aufregt. Auch schiebt Vincent ständig die Familie vor, um seinen konservativen Lebenswandel vor sich und anderen zu rechtfertigen. Damit übt der Film im Gewand einer mal turbulenten, mal nachdenklicheren Komödie durchaus Kritik an der bürgerlichen Ordnung und Fassade.
Panische Angst vor dem Verfall
„Fast perfekte Weihnachten“ reiht sich in jene Tradition von Weihnachtsfilmen ein, die das Fest zum Anlass nehmen, über zu hohe Erwartungshaltungen zu räsonieren. Ein jährliches Kalenderdatum sorgt ja nicht automatisch für Eintracht. Zwar hat Hausherr Vincent die vorangegangenen Weihnachtsfeiern akribisch fotografiert und die Abzüge an die Wand seines Vorzimmers gehängt, doch hinter manchem Lächeln verbergen sich Wunden und die Sehnsucht nach einer lebendigeren Kommunikation. Auch die Furcht der Barands vor dem Altern wird durch die schiere Präsenz der alten Damen getriggert. Nur mühsam überspielen sie ihre panische Angst vor physischem oder geistigem Verfall.
Doch im letzten Drittel des Films entpuppt sich vor allem Jeannette als hellsichtige Kommentatorin von Missständen. Ihr Wandel vom dreisten Raubein zur lebensweisen Psychologin ist zwar etwas abrupt, doch ihre Menschenkenntnis wird durch ihre langjährige Arbeit im Gefängnis beglaubigt. Außerdem verfügt Danielle Fichaud über eine große Bandbreite an schauspielerischen Mitteln. Die Souveränität aller vier Schauspieler bügelt manche Übertreibung des Drehbuchs aus und hält den Film in der Balance. Die 86-jährige Danièle Lebrun gibt eine verhuschte Seniorin, die es faustdick hinter den Ohren hat. Emmanuelle Devos beweist einmal mehr, dass sie in allen filmischen Genres zu Hause ist, während sich der komödienerprobte Franck Dubosc in angenehmer Zurückhaltung übt. „Fast perfekte Weihnachten“ erweist sich dadurch als unterhaltsames Kammerspiel, das gleichermaßen für Lacher und Besinnung sorgt.