Erpressung - Stummfilm von Alfred Hitchcock mit live Klavierbegleitung KoKi
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Filmkritik
"Blackmail" ist ein Kuriosum: Es ist Alfred Hitchcocks letzter Stummfilm und zugleich sein erster Tonfilm. Während er ihn drehte, setzte sich der Ton durch. Deshalb wurde die stumme Version nachträglich mit Musik und Dialog versehen. Nicht ohne Schaden für den Film: Stummfilmpose und gesprochenes Wort bilden an einigen Stellen einen merkwürdigen Kontrast (besonders in der neuen deutschen Synchronfassung), die Einleitungs-Sequenz, in der mit dokumentarischer Genauigkeit die Verhaftung eines Verbrechers gezeigt wird, ist noch konsequent Stummfilm. Sie ist übrigens zugleich ein Indiz für die Meisterschaft des damals 30jährigen Regisseurs im bildhaften Darstellen von Vorgängen mit den Mitteln der Kamerabewegung und der Montage.
Das Hauptmotiv von "Blackmail" ist das vieler späterer Hitchcock-Filme: Ein harmloser und unbescholtener Mensch sieht sich plötzlich mit dem Verbrechen konfrontiert. Hier ist es das Mädchen Alice, das sich aus Trotz gegenüber dem vielbeschäftigten Verlobten Frank, einem Scotland-Yard-Inspektor, mit einem jungen Maler einläßt. Fasziniert folgt Alice ihm in sein Atelier. Als er zudringlich wird, wehrt sie sich, ein Messer kommt ihr in die Hand, sie tötet ihn im Selbstverteidigungs-Affekt. Entsetzt flieht sie. Ihr Verlobter wird mit der Klärung des Falls beauftragt. Am Tatort findet er einen ihrer Handschuhe; beunruhigt sucht er sie auf. Ihre arglosen Eltern verhindern durch ihr liebevolles Interesse an dem zukünftigen Schwiegersohn eine Aussprache. Ein Mann taucht auf, der Alices zweiten Handschuh besitzt; er versucht die beiden zu erpressen. Sie geraten, inmitten der heilen bürgerlichen Welt, unter seinen bösen Druck. Als sie ihm schon nachgeben wollen, wird Frank ans Telefon gerufen. Er erfährt von Scotland Yard, daß der Erpresser Tracy ebenfalls in der Mordwohnung war und daß man ihn, einen alten Bekannten, als Zeugen suche. Diese Nachricht bringt die Wendung. Als die Polizei den Erpresser verhaften will, kann er entkommen. Verfolgt, flieht er ins Britische Museum und - eingekreist - auf die Kuppel, von der er abstürzt. Die Polizei glaubt, er sei der Mörder gewesen. Als Alice, von ihrem Gewissen gepeinigt, sich selbst anzeigt, kann ihr Verlobter sie beruhigen. Beim Verlassen des Polizei-Präsidiums sieht sie, wie ein Bild aus dem Atelier des Malers, den sie tötete, vorbeigetragen wird. Sie schaudert.
Der Film hat drei große Momente. Da ist zunächst die schon beschriebene quasi-dokumentarische Eingangssequenz, die sieben Minuten lang ist. Bedeutender erscheint mir aber das Treffen der beiden Verlobten in der kleinbürgerlichen Wohnung und die anschließenden Szenen mit dem Erpresser. Der Wunsch Franks, mit Alice zu sprechen, ihre nervöse Furcht und die arglose Fürsorglichkeit ihrer Eltern bilden eine spannungsvolle Situation, die noch um einige Grade dichter wird, als der Erpresser hinzu kommt. Erst behandeln ihn die Alten als Kunden, dann muß ihn Frank als seinen Freund ausgeben, schließlich beargwöhnen sie ihn aus gesundem Mißtrauen. Frank muß sich dagegen und gegen Tracy wehren. Dessen Position ist sehr stark, Franks Lage wird immer kritischer. Bis das Telefon-Gespräch die Lage in ihr Gegenteil verkehrt. Da winselt der eben noch Starke plötzlich um Gnade und der eben noch Schwache bedrückt ihn massiv. Das alles spielt sich in einer scheinbar heilen Welt ab. Der Umschlag der Situation, die Doppeldeutigkeit der Charaktere und die Spannungen der Personen untereinander sowie zum Milieu machen diese Sequenz zum Angelpunkt des Films. Der dritte große Moment, Tracys Flucht und Verfolgung, ergibt sich daraus. Der Absturz von der Kuppel nimmt ähnliche Lösungen in späteren Hitchcock-Filmen vorweg.