Vorstellungen
Filmkritik
Das Wasser kann sehr gnädig sein. Unter seiner Oberfläche verschwimmen die Proportionen und die Schwere des Körpers fällt ab. Ein Gefühl der Leichtigkeit stellt sich ein, als liege es in der eigenen Hand, auch unsportliche Glieder zu eleganten Bewegungsmustern zu motivieren. Vielleicht ist es dieser Wunsch, die Gesetze des Alterns, des körperlichen Verfalls und der Schwerkraft aufzuheben, der jene Männer verbindet, die zweimal in der Woche abends im Schwimmbad einer französischen Provinzstadt zusammenkommen. Die sieben Männer haben sich für einen „exotischen“ Sport entschieden, der weithin mit Frauen assoziiert wird: Synchronschwimmen.
Für die Gruppe scheint darin das Versprechen zu liegen, auf schillernde Weise den trüben Tagen zu entkommen. Und wer weiß? Vielleicht winkt ihnen ja sogar Beifall für ihre Körperkunst im Becken, auch wenn kein Zuschauer sie je mit dem Wasserballett-Star Esther Williams verwechseln würde.
Ein Haufen ungewöhnlicher Typen
Nicht mehr junge, wenig erfolgreich im Leben stehende Männer, die sich fürs Synchronschwimmen zum Team zusammenschließen, darüber neuen Lebensmut finden und sich am Ende sogar bei Meisterschaften bewähren, sind nicht zum ersten Mal Gegenstand eines Kinofilms. Neben dem Dokumentarfilm „Der Männerschwimmclub“ (2010) von Dylan Williams, der vom realen Erfolg schwedischer Synchronschwimmer im mittleren Alter handelt, griffen schon der schwedische Spielfilm „Männer im Wasser“ (2008) und die britische Komödie „Swimming with Men“ (2018) dieses Thema auf.
Wenn der französische Schauspieler Gilles Lellouche mit „Ein Becken voller Männer“ nun eine weitere Variante dieses Sujets vorlegt, kann man die Vorgänger getrost ausblenden. Ähnlich wie es für den Status von John Hustons Krimiklassiker „Die Spur des Falken“ keine Rolle spielt, dass derselbe Stoff in den zehn Jahren davor schon zweimal verfilmt worden war, stellt auch Lellouche seine Konkurrenz mühelos in den Schatten. Weder lädt er die maskuline Rückeroberung des Synchronschwimmens mit misogynen Untertönen auf, noch setzt er auf simple Typen-in-Badehosen-Gags. Stattdessen nutzt er präzise soziale Zeichnungen für die heterogenen Charaktere, die sich zu einem Ensemble von selten zu sehender Stimmigkeit ergänzen.
Als Schauspieler feierte Gilles Lellouche selbst einige seiner größten Erfolge in Ensemblefilmen wie „So ist Paris“, „Kleine wahre Lügen“ und „Das Leben ist ein Fest“. In seiner ersten Solo-Regiearbeit – Lellouche teilte sich 2004 bei der Komödie „Narco“ die Regie mit einem sowie beim Episodenfilm „Männer und die Frauen“ (2012) mit acht Kollegen – zeigt sich der Wert dieser Erfahrungen darin, dass Lellouche die Hauptfiguren fast gleichwertig in den Blick bekommt. Angestoßen wird die Handlung durch den arbeitslosen Mittvierziger Bertrand, den Mathieu Amalric mit allen Anzeichen des seelisch Niedergeschmetterten spielt, da ihm eine tiefe Depression fast alle Energie raubt.
Eine Art inneres Aufbäumen
Nachdem Bertrand die Synchronschwimm-Gruppe entdeckt und sich ihr angeschlossen hat, weitet der Film sein Blickfeld auf vier weitere Männer aus: Der Einzelgänger Laurent ist ein Karrieretyp, der sich unnahbar gibt, insgeheim aber nach seiner Scheidung unter der eingeschränkten Zeit mit seinem Sohn leidet. Marcus steckt voller Ideen, die aber nie zum erhofften Ergebnis führen, sodass ihm ständig der geschäftliche Bankrott droht. Simon hängt nach über 30 erfolglosen Jahren weiter am Traum von einer Karriere als Rockstar, auch wenn er mit seinen Songs nur in Turnhallen auftritt; daneben jobbt er als Küchenhilfe in der Schule seiner von ihm peinlich berührten Tochter. Und der gutmütige Thierry arbeitet als Bademeister und wirkt selbst unter seinen Mit-Synchronschwimmern wie der Verlierer unter Verlierern.
Aus diesen Vorgaben spinnt der Film in jeweils kurzen Sequenzen ein feines Geflecht aus parallel verfolgten Porträts von Männern, die sich gegen das Gefühl des Gescheitertseins auflehnen und im Synchronschwimmen und der Weltmeisterschaft in Norwegen schließlich ein neues Ziel finden. Auch wenn Lellouche nicht verheimlicht, dass die Figuren nicht alle ganz unschuldig an ihrer eigenen Lebenslage sind, bricht er nie den Stab über ihnen.
Die kongeniale Besetzung verschafft den Charakteren Mitgefühl und trotz einiger negativer Eigenschaften auch Sympathie: Mathieu Amalric, Guillaume Canet und Benoît Poelvoorde spielen souverän ihre Starqualitäten aus, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, Jean-Hugues Anglade lässt als erfahrenster der Darsteller in der Rolle des gealterten Sängers Elemente vieler früherer Auftritte aufblitzen; der vor allem als Liedermacher bekannte Philippe Katerine brilliert mit liebenswerter Tolpatschigkeit. Die restlichen Mitglieder der Schwimmgruppe können ebenfalls Akzente setzen, auch wenn ausgerechnet dem einzigen Nichtfranzosen im Team, dem Singhalesen Avanish, kein detaillierter Hintergrund zugestanden wird. In dem glänzend ausbalancierten Film ist dies eines der wenigen Versäumnisse.
Freundlich bis harsch
Starke weibliche Figuren bietet „Ein Becken voller Männer“ mit zwei gegensätzlichen Schwimmtrainerinnen auf: Die freundliche Delphine versucht die schlaffen Hobbyschwimmer mit leichten Übungen, wenigen kritischen Anmerkungen neben übertriebenem Lob und mit dem Vorlesen von Poesie zu motivieren – ein halbherziges Trainingsprogramm, mit dem die früher gefeierte Synchronschwimmerin vor allem sich selbst einreden will, dass sie als ehemalige Alkoholikerin wieder ein erfolgreiches Projekt betreut.
Nach einem Rückfall übernimmt allerdings die im Rollstuhl sitzende Amanda das Training, vor deren strengem Regiment keine lockere Haltung mehr Gnade findet. Mit resolutem Kasernenton und Beschimpfungen treibt sie die Männer zu einem knallharten Fitnessprogramm an, das allerdings weniger sportlichen Fortschritt als Frust erzeugt. So wie die Synchronschwimmer als Mannschaft zusammenwachsen, die im Becken wie aus einem Guss funktioniert, müssen auch die Trainerinnen einen gemeinsamen Mittelweg ihrer Methoden finden.
Tiefblau als Farbe der Sehnsucht
Der Vielfalt der Charaktere entspricht ein abwechslungsreicher Humor, der von Situationskomik und Ironie bis zum – für französische Verhältnisse dezent eingesetzten – Mittel der Überzeichnung reicht. Eine leichte Melancholie bleibt dem Tonfall dabei erhalten, wodurch die Entwicklung zum Feel-Good-Szenario verzögerter, aber umso herzlicher ausfällt.
Die ungewöhnliche Sorgfalt der Inszenierung zeigt sich bis in die stimmungsvolle Kameraarbeit von Laurent Tangy hinein, die das abendliche Schwimmbad mit seinen tiefblauen Kacheln und dem grellen Deckenlicht in einen magisch erscheinenden Sehnsuchtsort verwandelt. Wieso die angeschlagenen Figuren gerade hier die Verheißung auf einen Ausweg aus ihren Krisen erblicken, braucht man wirklich nicht mehr zu fragen.