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Filmplakat von Égalité

Égalité

84 min | Drama | FSK 12
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Die 14-jährige Leila soll eigentlich nur an den Mandeln operiert werden, ein Routineeingriff. Doch als sie aus der Narkose wieder aufwacht, ist sie auf einmal blind. Während die Ärzte völlig ratlos sind und sich nicht erklären können, wie das passieren konnte, ist Leilas Vater Attila außer sich. Seiner Meinung nach handelt es sich um einen Pfusch der Ärzte. Von Tag zu Tag steigert er sich immer mehr in diesen Gedanken hinein und gerät dabei in eine Abwärtsspirale, die kein Ende zu nehmen scheint. Währenddessen driften die Familienmitglieder immer weiter voneinander ab und entfremden sich zusehends. Eines Tages fällt Attila schließlich eine Entscheidung, die Folgen haben wird...

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Filmkritik

Vor dem Gesetz seien alle Bürger gleich, heißt es. Doch wie steht es um die Gleichbehandlung von Menschen im Alltag, wenn man Kriterien wie Herkunft (der Eltern), Geschlecht oder soziale Stellung berücksichtigt? Ist Diskriminierung echt, empfunden oder beides? Derlei Themen wirft Kida Khodr Ramadan in seiner zweiten Regiearbeit „Égalité“ auf, die in Form eines Dramas über einen der drei Grundpfeiler der Französischen Revolution, die Gleichheit, reflektiert. Alles fängt recht banal an. Die Berliner Familie Aydin – Mutter Aya, Vater Attila, Tochter Leila und Sohn Nuri – geht ihrem Alltag nach. Es wird gefrühstückt, bemerkt, dass die Deckenlampe in der Küche flackert und der Tagesablauf durchgegangen. Vormittags steht bei der 14-jährigen Leila eine Mandel-OP an, und der etwa 10-jährige Bruder Nuri ist neidisch, weil er zur Schule muss und die Schwester nicht.

In der Klinik wird der Papierkram erledigt, es kommt zu kleineren Wartezeiten. Doch dann zieht sich die Operation hin. Die Eltern werden vertröstet, erst um eine halbe Stunde, dann um eine ganze, und Leila liegt immer noch nicht im Aufwachraum. Der Ton wird ruppiger, weil Attila (Burak Yiğit) sich schlecht behandelt fühlt und das Klinikpersonal diesen Verdacht durch wenig einfühlsame Verweise auf das Protokoll bestätigt. Als die Eltern schließlich ihr Kind sehen können, erfolgt die Hiobsbotschaft. Die Operation an den Mandeln ist zwar gut verlaufen, aber Leila kann nichts mehr sehen. Der behandelnde Arzt räumt kleinere Komplikationen beim Eingriff ein, aber die Blutung sei sehr schnell gestillt worden. Die postoperative Blindheit der jungen Patientin kann er sich nicht erklären.

Der Vater ist nicht mehr derselbe

Im Anschluss an diesen folgenschweren Tag wird Attila nicht mehr derselbe sein wie zuvor. Er ist voller Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit, verlangt Erklärungen von den Ärzten, die er nicht erhält. Auch am Telefon werden er und seine Frau Aya (Susana Abdulmajid) stets ignoriert oder mit Ausreden konfrontiert. Attila lässt seine Aggressivität schließlich auch an Frau und Sohn aus, was das Familienklima zunehmend vergiftet. Die hochschwangere Aya erkennt ihren Mann nicht wieder. Schließlich lässt Attila sich zu einer folgenschweren Tat hinreißen…

Das Erzählprinzip von „Égalité“ ist nicht neu, man kennt es etwa aus den Filmen eines Asghar Farhadi: Das Leben eines Paars wird durch ein folgenschweres Ereignis auf den Kopf gestellt, das die Risse hinter der scheinbar intakten Familienfassade offenbart. Ähnlich genau observierend nähert sich Ramadan anfangs seiner Kernfamilie. Doch wo der iranische Meister eine distanzierte Sichtweise beibehält und dadurch so konkret wie reflektiert Missstände im Familiären als auch in der übergeordneten Gesellschaft sowie deren Wechselwirkungen aufdeckt, greift Ramadan bald zu weitaus gröberen Regiemitteln. Um die Verzweiflung Attilas zu illustrieren, werden in der Tonspur die Antworten der Ärzte mit Klangeffekten wiederholt oder ein Auge in Großaufnahme eingeblendet.

Vor allem aber meint Ramadan, der auch am Drehbuch mitschrieb, die Verzweiflung seiner Protagonisten durch den gefühlt permanenten Einsatz von dröhnender Musik veranschaulichen zu müssen: Mal ist es ein orientalisches Klagelied, mal sind es penetrant eingesetzte Streicher oder Klampfen. Da diese Stilmittel so häufig eingesetzt werden, stumpfen sie ab; Spannung oder besonders emotionale Momente lassen sich nicht effektiv dosieren. Anstatt auf das Können seiner Schauspieler zu setzen, packt Ramadan stets noch eine visuelle oder akustische Schicht drauf.

Die Fragen des Films sind aktuell und wichtig

Dabei sind die Fragen, die der Film stellt, durchaus aktuell und wichtig. Arroganz und Bevormundung, die Attila in der Klinik und am Telefon erfährt, sind real und er muss sie – als Berliner mit Migrationshintergrund – als Angriff auf seine Person werten. Doch andererseits teilen einige der Mitarbeiter der medizinischen Einrichtung seine nicht-biodeutsche Herkunft (etwa Ramadan in einem Cameo-Auftritt als Sprechstundenhilfe). Auch kann die lieblose Behandlung der Familie Aydin und der Mangel an (Nach-)Betreuung ebenso als Kritik an dem immer profitorientierteren Gesundheitssystem gelesen werden, unter dem alle Patienten leiden. Verstärkt Attilas Verzweiflung seine empfundene Diskriminierung oder nimmt er sie in der Ausnahmesituation stärker wahr und hatte sie davor verdrängt?

So begibt sich der Held des Films immer mehr in eine Abwärtsspirale. Auch gegenüber seiner Frau tritt er immer machohafter und unsolidarischer auf und scheint die Katastrophe als persönliches Versagen zu empfinden. Überhaupt stellt der Film das traditionelle Männerbild in Frage, mit dem Attila sich nicht identifiziert, das er aber unbewusst bedient. Schließlich entwickelt sich „Égalité“ zu einer Reflexion über Selbstjustiz. Doch wo bei einem Film wie Denis Villeneuves Prisoners echte Beklemmung entstand, verschenkt Ramadan durch seine wenig subtile Regie viel Potenzial, wirkt vieles behauptet statt erschütternd. Dazu trägt auch die am Ende nicht mehr ganz überraschende Auflösung des Films bei.

Dennoch lohnt das Werk als Beobachtung über die Zerbrechlichkeit von Familie und Glück und über eine Gesellschaft, die nicht nur in Ausnahmesituationen, sondern auch im täglichen Miteinander offenbart, dass Gleichheit eher eine hehre Behauptung als eine soziale Realität ist.

Erschienen auf filmdienst.deÉgalitéVon: Kira Taszman (14.10.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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