- RegieGus van Sant
- ProduktionsländerVereinigte Staaten
- Produktionsjahr2018
- Dauer114 Minuten
- GenreDramaKomödieBiographie
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating6.9/10 (14550) Stimmen
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Filmkritik
Auf dem Papierkorb klebt ein Zettel, auf den das Wort „Gott“ geschrieben ist. In ihm entsorgt John Callahan (Joaquin Phoenix) sozusagen seinen seelischen Müll: Die Dinge, die ihm keine Ruhe lassen und die er früher regelmäßig mit Alkohol zu betäuben versuchte, werden auf Papier gekritzelt und an eine „höhere Macht“ weitergereicht. Das hat Callahan von seinem Mentor Donnie (Jonah Hill) empfohlen bekommen, der eine Gruppe der Anonymen Alkoholiker betreut und den Teilnehmern durch ein „Zwölf-Schritte-Programm“ Wege aus der Sucht weist, zu denen auch der Glaube gehört. Donnie, eine verstrahlte Mischung aus Guru und neobarockem Versace-Glamour, meint den Gott-Papierkorb keineswegs blasphemisch. Sein Verständnis von Glaube ist nur unorthodox, vage Zen-buddhistisch und vor allem ziemlich praktisch: Er hält es für stabilisierend, wenn seine Schützlinge darauf vertrauen, dass außerhalb von ihnen selbst etwas existiert, das größer ist als sie und an das sie sich in ihrer eigenen Haltlosigkeit wenden können. Der Papierkorb als Gebetsmedium mag, wie Donnie selbst, ziemlich schräg sein. Aber John scheint er tatsächlich zu helfen. Der neue Film von Gus Van Sant spielt in den sogenannten „Wilden Siebzigern“ und geht durchaus als Feel-Good-Movie mit Hippie-Flair durch. Sein Humor ist allerdings schwarz grundiert und balanciert sozusagen am Abgrund: Die Hauptfigur John Callahan leidet seit einer traumatischen Kindheit wie ein Hund, hat stets verzweifelt nach etwas gesucht, was dieses Leiden lindern könnte – und den Alkohol gefunden, der alles noch schlimmer machte. Doch am Tiefpunkt angekommen, sucht er weiter, und entwickelt schließlich Strategien, mit sich und seinem Schmerz umzugehen. Zum Beispiel durch den Glauben. Oder durch die Kunst: Callahan nutzt Stifte nicht nur, um die Zettel für den Gott-Papierkorb zu beschreiben, sondern vor allem zum Zeichnen von makabren, oft provozierenden Karikaturen. Es ist ein reales Schicksal, das Van Sant in „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ aufgreift – und ein Stoff, wie ihn das US-Kino liebt: von einem, der ganz tief fällt, dann aber seinem Schicksal eine bessere Wendung gibt. Der Cartoonist John Callahan, 1951 in Portland, Oregon, geboren (das auch die Wahlheimat des Regisseurs ist) und 2010 verstorben, war schon als Jugendlicher schwer alkoholabhängig und saß seit einem Unfall 1972, in den er im Rausch verwickelt war, querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Ab 1983 zeichnete er regelmäßig Cartoons für die „Willamette Week“, eine in Portland erscheinende Wochenzeitung, und bald auch für andere Zeitungen, was ihn landesweit und schließlich sogar international bekannt machte – in den 1990er-Jahren erschienen zwei Bände mit Callahans Arbeiten auch in Deutschland. Die Einschränkungen, die ein Leben mit Behinderung mit sich bringt, spielen in den mit groben, simplen Strichen gezeichneten Bildern des Cartoonisten (von denen man mehrere im Film zu sehen bekommt) wie auch im Film immer wieder eine Rolle. Der etwas rätselhaft anmutende Filmtitel „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ („Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot“) ist ein Zitat aus einem Callahan-Cartoon: Auf dem Bild sieht man drei Gesetzeshüter im Wilden Westen, die offensichtlich hinter einem Flüchtigen her sind, vom dem indes nur der leere Rollstuhl zu sehen ist. Auch Callahans 1989 erschienene Autobiografie erschien unter diesem Titel; sie diente Gus Van Sant als Vorlage. Dabei gelingt es dem Regisseur, der in Filmen wie „My Own Private Idaho“ (fd 29 222), „Paranoid Park“ (fd 38 716) und „Elephant“ (fd 36 420) immer wieder von Außenseitern und verkorksten Existenzen berichtet hat, nur stellenweise, Callahans selbstmitleidiges Trudeln in der Sucht-Spirale und später seinen Kampf dagegen mit jenem Sarkasmus zu schildern, den Callahan seinerseits in seinen Cartoons an den Tag legt. „Don’t worry, weglaufen geht nicht“ will nicht wirklich wehtun, sondern ist eine der anschmiegsameren, mainstreamigeren Arbeiten der einstigen Independent-Ikone Van Sant. Wobei der Regisseur in Hauptdarsteller Joaquin Phoenix einen Verbündeten hat, der seine Fähigkeit, extreme, kaputte Charaktere zu spielen, hier mit einer guten Portion Slapstick aufhellt. Die Milde, die die beiden mit Callahan walten lassen, indem sie jenseits der Bitterkeit der Figur durchaus anrührend von der Sehnsucht nach Liebe und Erlösung erzählen, mag manchen zu sentimental sein. Sie hat aber auch etwas sehr Menschenfreundliches.