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Filmkritik
Pathologische Rastlosigkeit hat irgendwie auch etwas von grenzenloser Freiheit. Zumindest bei Til Schweiger. Wenn sich Paul (Emilio Sakraya) wie ein Akrobat durch die nächtlichen Straßen bewegt, sich voller Lebenslust über fahrende Autos schwingt und ein wenig wie Spider-Man nahezu unverwundbar mit Halbsalto in eine alte Schuppentür kracht, dann ist er ganz bei sich. Folgen hat das hier weiter nicht, außer der Erkenntnis, dass sich ein athletischer 18-Jähriger vermeintlich in seinem Lieblingssport verwirklicht. „Die Rettung der uns bekannten Welt“ ist noch mit dem Vorspann beschäftigt, da streift Paul befriedigt die Kapuze des Pullovers über. Wie es scheint, nur deshalb, weil es im Licht der Autoscheinwerfer einfach cool aussieht.
Paul merkt es selbst in diesen rastlosen Momenten nicht, aber spätestens, wenn er seinem Lehrer ein Kaugummi ins Gesicht spuckt oder beim Parcouring der Moment zwischen Kontrolle und Lebensgefahr völlig verwischt, ahnen zumindest die Zuschauer: hier geht es einem Menschen bei allem Übermut nicht gut.
Dabei besitzt Paul eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Sie ist so gewinnend, dass sein mit penetranter Unbeschwertheit einhergehendes Lächeln andere Menschen an den Rand des Wahnsinns treibt. Sein Vater Hardy (Til Schweiger) ist beispielsweise nicht selten kurz davor. Es mag für den gutverdienenden Mittvierziger noch zu verschmerzen sein, wenn Paul am Grab seiner viel zu jung verstorbenen Mutter eine Geburtstagsfete mit Konfetti und drei Mariachi-Musikern organisiert und dafür eine vierstellige Strafe für Störung der Totenruhe auf dem Friedhof kassiert. Aber die permanenten Ausfälle in der Schule und das fast schon an Tätlichkeit grenzende Ärgern der Lehrerschaft machen selbst den liberalen Alleinerziehenden nachdenklich. Doch erst als das halbe mondäne Eigenheim in die Luft fliegt, während Paul der Aufsichtspflicht gegenüber seinen kleinen Geschwistern Charlie (Greta Kasalo) und Luca (Otto Emil Koch) wieder einmal nicht nachkommt, platzt Hardy endgültig der Kragen und Paul landet in einem Therapiezentrum für psychisch kranke Jugendliche.
Von einem Abenteuerland ins nächste
Zumindest aus dramaturgischen Gründen wäre es nun höchste Zeit, eine andere, vielleicht nachdenklichere und ernsthaftere Gangart einzulegen. Man muss nicht gleich mit James Mangolds Klinikdrama „Durchgeknallt“ oder Theresa von Eltz’ „4 Könige“ liebäugeln, wenn man einen Film über Jugendliche in der Obhut von mehr oder minder psychologisch geschultem Personal macht. Aber einfach weiter so mit der Leichtigkeit? Es scheint so, denn für Til Schweiger und Co-Autor Lo Malinke ist dieser Punkt der Geschichte nur der Sprung von einem Abenteuerland ins nächste.
Schon gleich der Start von Paul ins Therapieleben ist einer, wie man ihn sich als Patient nur erträumen kann: Weil die leitende Ärztin (Emily Cox) des fast schon verwildert schön gelegenen Anwesens gerade abwesend ist, übernimmt kurzerhand und unbemerkt Patientin Toni (Tijan Marei) die Einweisungsakten und macht mit „dem Neuen“ eine kleine Führung durch die Räumlichkeiten. Bevölkert sind diese mit einem geistig häufig abwesenden Pfleger sowie mit einer illustren Handvoll Eigenbrötlern aus der Klischeeschublade, die nur als ernsthaft krank gelten, weil man es so ins Drehbuch geschrieben hat. Selbst die Kostümauswahl, das Produktionsdesign und die honigfarbige Tönung der Bilder verfestigen nur den ersten Eindruck, dass man hier mit allen durchs Bild wuselnden Akteuren mindestens bester Freund, noch besser Familie sein möchte. Kranksein kann so unbeschwert sein, zumindest wenn Til Schweiger es zum Thema einer Dramödie macht.
Die Folgen des Tuns bleiben ausgeblendet
Natürlich finden sich Paul und Toni, natürlich kämpfen sie gemeinsam am besten gegen ihre Dämonen und natürlich wird die kleine Klinik auf dem Lande bald zu eng für ihre Vorstellung von grenzenloser Freiheit. Der Roadtrip, der das letzte Drittel des Films dominiert, ist für die beiden Ausflügler ein wunderschöner Traum. Für alle anderen entlang ihres Weges ist es indes ein Pfad krimineller, potentiell lebensbedrohlicher Zerstörung. Weil es aber gerade so schön ist, blendet die Dramaturgie die Folgen ihres Tuns geflissentlich aus und bleibt ganz bei der Eigentherapie der beiden. Ridley Scott hat so einen Ausbruch aus gesellschaftlicher Kleingeistigkeit und Ungerechtigkeit auch einmal inszeniert. Allerdings endete die Odyssee von „Thelma & Louise“ in allen Belangen radikaler als „Die Rettung der uns bekannten Welt“.
Man wünscht sich in diesem Film permanent, es möge der eine oder die andere doch endlich aufwachen, wenn es schon Paul und Toni nicht können. Allein – auf die wunderbar geerdete, einzig vernünftig agierende und großartig lakonische kleine Schwester Charlie – von Greta Kasalo hervorragend verkörpert – hört keiner! Sonst hätten sich Hardy und Anni nicht so lange mit albernem Kumpelgehabe gequält und wären gleich zu Beginn des Films als Liebespaar gefestigt. Und Paul hätte keine (verschämt und feige inszenierten) Selbstmordversuche gebraucht, bis er endlich mit seiner Toni zusammenkommt. In „Die Rettung der uns bekannten Welt“ muss alles erst einmal (natürlich komplett konsequenzlos) in Scherben liegen, bevor sich alle in die Arme nehmen.
Bizarr und nicht komisch
Es ist eine bizarre Botschaft, die zudem kaschiert wird durch unsägliche komödiantische Einsprengsel. Wenn alles droht, ein wenig ernsthafter zu werden, gibt es „lustige“ Intermezzi auf Toiletten oder eine Kissenschlacht mit echten Federdaunen und natürlich in Zeitlupe. Das macht nun wirklich niemand mehr, selbst in Weltfluchtfilmen. Um nicht missverstanden zu werden: es gibt großartige Weltfluchtfilme. Doch im Gegensatz zu „Edward mit den Scherenhänden“ ist „Die Rettung der uns bekannten Welt“ kein Märchen.
Neben Greta Kasalo findet sich nur noch ein weiterer Grund, warum „Die Rettung der uns bekannten Welt“ nicht vollends im Aneinanderreihen von Belanglosigkeiten vergeht. Emilio Sakraya mag aus unterschiedlichsten Gründen besetzt worden sein, doch ihm ist es zu verdanken, dass Paul nicht zum Abziehbild und der Film nicht vollends zur Wohlfühlromanze verkommt. Sein Paul ist verletzt und wahrhaftig, missverstanden und tragisch, mitreißend und unerträglich nervig; eben ein Mensch, dessen Rastlosigkeit in den Wahnsinn treibt (sich selbst inklusive). Er hat nur zwei ganz entscheidende Probleme: er ist nicht nur in sich gefangen, sondern auch im falschen Film.