- RegieOliver Hirschbiegel
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2023
- Dauer94 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
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Filmkritik
In den 1980er-Jahren umgab Albert Oehlen die Aura eines Provokateurs. Er zählte an vorderster Front zu den Neuen Wilden. Nicht nur, dass sich der 1954 geborene Maler in Schlagzeilen wie „Können wir vielleicht mal unsere Mutter wiederhaben?“ in der Kunst sinnfreier Ironie übte. Er kooperierte mit dem brachialen Ironie-König Martin Kippenberger, trat mit NDW-Musiker Andreas Dorau unter dem Label „Evergreens of Psychoterror“ auf und war Mitbegründer der „Liga zur Bekämpfung des widersprüchlichen Verhaltens“. Inmitten der Spätausläufer der 1968er-Bewegung fiel er durch Kurzhaarschnitt und Anzüge auf. Seine Malerei sollte auf nichts anderes als auf sich selbst verweisen und „so hässlich sein, wie die Verhältnisse sind“.
1984 schlug dann der Kunstbetrieb zurück und integrierte den Anti-Künstler ins System. Großkurator Kasper König lud ihn in die Schau „Von hier aus“ ein. Oehlen war plötzlich Teil des Establishments. Kein Wunder, dass sich die dunkle Palette einer wütenden Abstraktion Richtung ausdrucksstarke Grundfarben lichtete. Vierzig Jahre später wird Oehlen vom US-Mogul-Galeristen Larry Gagosian vertreten, die Preise sind in sechsstellige Höhen gestiegen.
Ein exzessives Maler-Genie
Umso peinlicher gerät das Doku-Drama „Der Maler“, in dem der Schauspieler Ben Becker mit Bierbauch à la Kippenberger, der bekanntlich mit nur 44 Jahren an Leberzirrhose starb, Oehlen darstellt, kein Klischee des exzessiven, unangepassten, den Kunstbetrieb hassenden Maler-Genies in der Tradition von Jackson Pollock bis zu Francis Bacon auslässt und dabei gleichzeitig immer wieder so tut, als ginge es ihm genau darum, ein sehr maskulines Narrativ zu dekonstruieren und dabei sein eigenes Ego zu verspotten. Man fragt sich allerdings, warum bei all der zur Schau gestellten Abgeklärtheit die Bestandteile des Mythos so inbrünstig reproduziert werden müssen?
Dass die Inszenierung des hybriden Projekts zwischen Doku und Fiction auf das Konto von Regisseur Oliver Hirschbiegel geht und das Drehbuch von Ben Becker und Albert Oehlen stammt, rettet es nicht vor dem Anachronismus, der im Fokus auf den Schaffensprozess eines Gemäldes steckt. Auch die Stimme von Charlotte Rampling – in der deutschen Version springt Gudrun Gut ein, einst Mitglied der Postpunk-Frauen-Band „Malaria!“ –, die sich aus dem Off in diffus-banalen Deutungen der Malerei ergeht, macht es nicht besser. Denn Beckers lautstark artikulierte Improvisationskünste sind so ernst gemeint, dass man unfreiwillig loslachen muss. Wenn er in dem Atelier zum Publikum spricht, vor Wut weint, sich auf dem Boden wälzt und über die Angst vor der weißen Leinwand jammert, um Atem und die richtige Farbwahl ringt, den Assistenten niedermacht und seine wechselnden Stimmungen auskostet, die angeblich der Preis für eine Kreativität aus dem Bauch heraus sind, dann kommt man nicht umhin, dieses Abziehbild eines ermüdenden Bürgerschrecks in den Orkus der abgestandenen Künstler-Modelle zu schicken.
Mindestens zwanzig Jahre zu spät
Ob dies auch die satirische Absicht von Becker und Oehlen war, spielt dabei keine Rolle. Der Kunstbetrieb hat dieses Kapitel spätestens im Zuge von „MeToo“ längst ad acta gelegt. Eitle Egomanen, aber auch jede Positionierung in der Schwebe lassende Zyniker haben ausgedient. In den aktuellen Debatten geht es immer noch ums Überleben, aber mit einem anderen Vorzeichen: nämlich dem des Planeten, der Menschheit oder der Utopie. „Der Maler“ ist ein „Künstlerporträt“, das keines sein will, und ein Schauspieler-Vehikel, das man sich auf Distanz halten sollte und das als widersprüchliche Doppel-Selbstdemontage mindestens zwanzig Jahre zu spät kommt.