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Filmkritik
Bertoluccis neue Arbeit gehört zu den Filmen, die bei ihrer Premiere in der Bundesrepublik Deutschland bereits einen "Ruf" haben. Es ist nicht nur im voraus viel darüber geschrieben worden; vor allem werden Schlagworte im Kreise herumgereicht, die leicht, allzu leicht Gehör finden. Eine Erwartungshaltung ist in der breiten Öffentlichkeit vorbereitet worden, die einer Art "gehobenen Sexualknüllers" gilt. Ob unter diesen Umständen noch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Film stattfinden wird, die sich nicht an einem vorgefaßten Geschmacks- und Moralurteil orientiert, ist nach den Erfahrungen mit ähnlichen Fällen zu bezweifeln. Bernardo Bertolucci galt bisher als prominenter Vertreter des politischen Kinos in Italien, das sich bei ihm mit besonderer stilistischer und geschmacklicher Verfeinerung verband. Geblieben ist in "Der letzte Tango in Paris" dieses Besondere, während Politik nicht mehr - jedenfalls nicht mehr offen - in der Thematik aufscheint. Eine Einschränkung dieser Feststellung mag immerhin begründet sein, weil die Beschreibung des Versuchs zu einem völligen Rückzug aus der sozialen Umwelt vielleicht von politischen Hintergedanken doch nicht ganz frei ist. Ohnehin macht es eine der Besonderheiten dieses Films aus, daß in seinem relativ einfach gebauten Gefüge sich mehrere thematische Komponenten gebunden finden. Versuche des alternden Amerikaners, in einer leerstehenden Pariser Mietwohnung mit einer viel jüngeren Zufallsbekannten ein sich auf Betätigung der Sexualität beschränkendes Verhältnis einzurichten, ohne Namen, ohne Vergangenheit, ohne Umwelt, in diesem Versuch scheint vielerlei zu liegen: die Flucht aus einer unerträglich gewordenen Situation auf eine Insel des Vergessens; die Absicht, Ballast abzuwerfen und sich frei von Hemmungen und Bedingtheiten den inneren Antrieben zu überlassen; die Hoffnung, alle abgenützten Illusionen zu übersteigen und das Leben durch einen Akt totaler Entblößung von den Wurzeln her doch noch zu besinnen; die Überlassung an die Neigung zur Selbstaufgabe, Selbstvernichtung. Gerade die letztere Tendenz - die nie in Worte gefaßt wird, aber im ganzen Film präsent ist - gibt den Details der Schilderung ihre eigene Färbung. Die Figur des Mädchens beispielsweise hat von der ersten Begegnung an etwas Doppeldeutiges in ihrer Aufmachung mit schwarzem Hut und langem Mantel. Das verwahrloste Appartement, in welchem außer einer Matratze praktisch kein Mobiliar vorhanden ist, atmet ebensosehr modrige Enge wie Geborgenheit. In den Begegnungen selber, die hier stattfinden, gibt es zwar Momente, in denen etwas von der erhofften Befreiung spürbar wird, aber die Kopulationen sind vom erstenmal an deutlich mit Aggressivität durchmischt und zeigen eine wachsende Tendenz zur Zerstörung, auch zur Selbstzerstörung. Der Selbstmord der Ehefrau des Amerikaners, von dem man nachträglich erfährt, fügt sich mit dem Schlußakt gleichsam zu einem Rahmen zusammen: Es ist ein Film zwischen zwei Selbstmorden, insofern auch der Tod des Mannes Züge eines solchen aufweist. - Für das Klima des Films wesentlich ist, daß er zwar in der Gegenwart handelt, aber assoziativ immer wieder auf die Vergangenheit zurückverweist. Unter den Kulissen spielt die Jugendstil-Architektur des Miethauses eine auffällige Rolle, ein Carnè Zitat ist eingefügt, und die Tanzhalle, in der das Tango-Ritual zu makabrer Kälte stilisiert wird, ist geradezu ein Musterbeispiel für Bertoluccis wirkungsvollen Umgang mit Elementen historischer Stile. Zwischen Optischem und Thematischem herrscht dabei Übereinstimmung. Die Dekadenz-Problematik, der "amour fou", der Surrealismus überhaupt, Freud und, von Bertolucci ausdrücklich angeführt, der französische Schriftsteller Georges Bataille, sie alle bezeugen durch ihre Präsenz im Film, daß seine Wurzeln zurückreichen in die Anfänge des Jahrhunderts. Nebenbei - mit der Figur des mit dem Mädchen verlobten Jungfilmers - nimmt Bertolucci auch eine ironische Abrechnung mit der "nouvelle vague" vor, worin wohl auch ein Stück Selbstkritik zu erkennen ist. - Der Entwicklungsschritt, zu dem Bertolucci mit dieser neuen Arbeit angesetzt hat, ist nicht zuletzt ein Schritt in die Subjektivität. Nach seiner eigenen Aussage hat sich im Laufe der Dreharbeiten die beabsichtigte Thematik sehr stark der Persönlichkeit seiner Hauptdarsteller angepaßt. Die Authentizität, die man daher dem Film glaubt ablesen zu können, gibt ihm auch einen Zug ins Exhibitionistische. Ob Bertolucci Grund hatte, über die Deformation der neuen Cineasten-Generation zu spotten, kann man bezweifeln. Denn die Form, in der er die Existenznot zur Darstellung bringt, erscheint - auch wenn man ihm nicht einfach ein Einschwenken auf den allgemeinen Sex-Trend vorwerfen will - mindestens milieubedingt, insofern speziell und mit Blick auf ein anvisiertes weiteres Publikum längst nicht von zwingender Verbindlichkeit. Darin liegt auch die Problematik der "anstößigen" Seite des Films, daß diese Sprache ihre Adressaten keineswegs so unverfälscht erreichen dürfte, wie sie im Verhältnis zu ihrem Gegenstand zu bleiben sucht. Im übrigen kann gesagt werden, daß der Film nicht mehr vorzeigt, als anderswo - vielleicht in weniger "gehobenem" Kontext - auch schon gezeigt worden ist, und daß die Dinge, von denen er redet, höchstens durch Konventionen unter Erwachsenen aus dem Gespräch verbannt zu sein pflegen.