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Filmkritik
Ein namenloser Auftragsmörder (Michael Fassbender) hat sich in einem verlassenen Büro auf die Lauer gelegt und schaut tagelang auf das gegenüberliegende Haus – sitzend, stehend, durch ein Zielfernrohr. Jede Stunde klingelt sein Wecker, damit er auch nachts nichts verpasst. Mit einer Smartwatch kontrolliert er seinen Puls, mit Yoga seinen Körper und auf der Tonspur seinen Geist. Mit ruhiger, ja beinahe monotoner Stimme erzählt er von seinem Job: von seinem Arbeitsethos, seiner Methodik und davon, dass die meiste Zeit aus Langeweile besteht. Die müsse man aushalten, wenn man in dieser Branche erfolgreich sein will.
Ist sein Gesicht asketisch oder ausgemergelt? Schwer zu sagen, aber er selbst will sich und dem Publikum weismachen, dass er ein perfektionistischer Skeptiker ist. Sein inneres Regelwerk klingt wie eine solipsistische Zen-Version des „Fight Clubs“: „Bleibe immer in Bewegung. Halte Dich an den Plan. Vertraue niemandem. Gestatte Dir keine Empathie. Antizipiere, aber improvisiere niemals. Verschenke keinen Vorteil. Kämpfe nur die Schlacht, für die Du bezahlt wirst. Frage Dich: Was ist für mich drin?“
In meditativer Wartehaltung
Der US-amerikanische Filmemacher David Fincher ist ein Spezialist für atemberaubende Thriller, die tief in die verquere Psyche von Serienmördern, Terroristen und kaputten Ermittlern eintauchen. Seine Adaption der gleichnamigen französischen Graphic Novel beginnt nur scheinbar an der Oberfläche dieses monotonen Alltags. Für einen kurzen Moment wirkt die Welt des Einzelgängers beinahe ausgeglichen, wenn er aus seinem Versteck in die Pariser Morgensonne blinzelt und wieder in Position geht. Die morbiden Songs der britischen Band „The Smiths“ sind für ihn die meditative Soundkulisse, um jederzeit aus der Wartehaltung in tödliche Aktivität umschalten zu können.
Der lakonische Monolog über die Langeweile wird im Kontrast zu den Handlungen des Killers schon bald mit zum Aufregendsten, das Fincher bisher auf die Leinwand gebracht hat. „The Killer“ beginnt nicht zufällig in Paris, denn hier agierte schon einer der Prototypen dieser Zunft: Jef Costello in „Der eiskalte Engel“ (1967) von Jean-Pierre Melville. Das ausdruckslose Gesicht und die meditativen Bewegungen von Alain Delons Noir-Samurai hat Michael Fassbender sich zu eigen gemacht, und selbst das Outfit erinnert an Costello. Doch statt Trenchcoat und Fedora trägt Fassbender Fischerhütchen und Windjacke. In Finchers bevorzugter Farbpalette zwischen eiskaltem Blau und schmutzigem Gelb wird dieses Beige in Beige zur unauffälligen Camouflage.
Gekleidet wie ein deutscher Tourist
Die unzähligen Pseudonyme des Killers in den gefälschten Ausweisen sind aus alten US-Serien und TV-Shows entlehnt. Fassbender spielt den Killer gänzlich ironiefrei, und Fincher streut seinen trockenen Humor nur homöopathisch, aber präzise ein. Seine Verkleidung, führt er im Monolog weiter aus, sei von einem deutschen Touristen in London inspiriert. „Denn mit deutschen Touristen will niemand etwas zu tun haben.“
Dieser Auftragsmörder ist zwar ein Relikt aus alten Filmen, doch er ist auch eine Todesmaschine der modernen Dienstleistungsgesellschaft. Für seinen Auftrag mietet er sich in einem verlassenen Co-Working-Space ein, weil Airbnb-Anbieter mittlerweile zu oft Kameras installieren. Vor dem Haus stehen Scooter bereit, für einen Einbruch bestellt er sich Werkzeug bei Amazon.
Seine „Assassinen“-Weisheiten klingen beeindruckend selbstoptimiert, auch weil sie in ihrem langsamen Duktus auf den ersten Blick in Einklang mit den umsichtigen Vorbereitungen für den Auftrag stehen. Und doch werden sie sich bald als unzuverlässig herausstellen, allerdings nur, wenn man genau hinhört und vor allem hinschaut. Nach einigen Tagen ruft der Killer seinen Auftraggeber an und berichtet, dass die Zielperson immer noch nicht in der beschatteten Wohnung aufgetaucht sei. Sein Tonfall ist wie bei seinem inneren Monolog weiterhin lakonisch. Für einen kurzen Moment jedoch zuckt Ungeduld über sein Gesicht. Muss sich der in sich ruhende Killer mit seinem Mantra womöglich selbst beruhigen, um nicht ständig die Fassung zu verlieren?
Eine hypnotische Spannung
Als die Zielperson dann endlich doch auftaucht, spult der Killer versiert seine Routine ab, setzt sein Gewehr an und nimmt das Opfer ins Visier. Mit mikroskopisch kleinen Dissonanzen erzeugt die Inszenierung dabei eine beinahe hypnotische Spannung und hat das Publikum überdies zum Komplizen des Killers gemacht: Man will nach all diesem Warten nicht nur, dass er endlich abdrückt, sondern dass er auch trifft.
Doch diese Dissonanz wird dem Killer nun zum Verhängnis; sein Mantra läuft ins Leere. Er schießt daneben und löst damit eine fatale Kettenreaktion aus. Der Auftraggeber macht sein Geheimversteck in der Dominikanischen Republik ausfindig und lässt seine Lebenspartnerin krankenhausreif prügeln. Mit einem Schlag wird deutlich, dass die Attitüde des Zen-Cool reine Fassade ist; eine Schutzmauer, die nun immer schneller bröckelt.
Es beginnt ein Rachefeldzug in mehreren Kapiteln, die den Killer nach New Orleans, Florida, New York und Chicago führen. Auch jetzt laufen die „The Smiths“-Songs in Dauerschleife. Aus dem Pop-Opern-Soundtrack für eine Mordchoreografie ist jetzt aber ein Seelentröster und Rettungsanker in der Krise geworden.
Die Tragik der Figur liegt darin, dass sie weiter ihren solipsistischen Lebenswandel zur Schau stellt, während die Inszenierung sie mit dem durchdringenden Blick des zynischen Existenzialisten beobachtet. Der namenlose Killer wird zu seinem schlimmsten Feind, denn er muss seine Regeln brechen, um zu überleben. Um vor sich selbst das Gesicht zu wahren, wiederholt er aber immer weiter sein Mantra.
Neuer Leitspruch: „Fuck it“
Angenehm leise und langsam zeigt Fincher mit Präzision und feinem Witz, dass es für einen nervenzerrenden Thriller kein großes Action-Getöse braucht, sondern lediglich einen Mörder und einen Trigger für dessen Schwachstelle. Der stoische Eigenbrötler hat vielleicht kein Gewissen, aber ein Herz. Das würde er natürlich nie zugeben, doch ironischerweise verrät ihn die Smartwatch. Bei einem Puls über 60, so eine weitere Regel, schießt er nicht. Doch weder Yoga noch Atemübungen können helfen, als er sich auf den Weg macht, alle Beteiligten bis zum Auftraggeber zurückzuverfolgen; sein neuer Leitspruch lautet lapidar: „Fuck it!“
Auch wenn diese Figur immer mehr aus dem inneren Gleichgewicht gerät, hält sich der Film sehr genau an den nihilistischen Minimalismus, den der Killer vorgibt, und misst ihn letztlich an seinen eigenen Werten. Fincher gilt selbst als pedantischer Perfektionist und überlässt in diesem ultra-reduzierten Thriller nichts dem Zufall. Die Kaltherzigkeit, mit der er seine eigene Figur behandelt, ist zynisches Kalkül.
Das hat „The Killer“ mit seinen bisherigen Filmen gemeinsam. Die Welt dieses Einzelgängers ist ein moralisch ebenso verrohtes schwarzes Loch wie es auch die „Zodiac“-Ermittler (2007), der „Fight Club“-Zeremonienmeister (1999) oder der schillernde Serienmörder John Doe in „Sieben“ (1995) beschreiben. Die glatte Oberfläche in „The Killer“ bleibt jedoch näher an der Figur als die bisherigen Filme. Erstaunlicherweise vergrößert dieser Blick durch die Lupe die Möglichkeiten des Genres ins Unendliche. Das macht „The Killer“ zu einer minimalistischen Action-Oper in Zeitlupe und zu einer vergnüglichen Meditation über Oberflächen und die Täuschung der Selbstoptimierung.