Vorstellungen
Filmkritik
Am Ende fliegt ein kleiner Vogel über die weite Landschaft jenseits des Nebelgebirges bis zum Berg Erebor. Dort landet er und beschäftigt sich mit einem Schneckenhaus: Er schlägt es mit dem Schnabel gegen den Stein, um an das Weichtier darin heranzukommen. Umschnitt ins Innere des Berges, der einst der majestätische Sitz des größten Zwergenreichs in Mittelerde war und in dessen Hallen sich immer noch Gold und Edelsteine türmen: Das leise Schaben und Klacken, das der Vogel verursacht, wird hier auf unheimliche Weise verstärkt und hallt durch die Stille des ausgestorbenen Ortes. Doch dann regt sich etwas unter dem Gold, von dem Geräusch aufgestört. Etwas Gigantisches! Kleine Ursachen, große Folgen. Die Wechselwirkung zwischen dem Winzigen und dem Riesigen, den individuellen Entscheidungen und den Schicksalen ganzer Reiche bilden ein zentrales Thema in Tolkiens Erzählungen über den fiktiven Kontinent Mittelerde. In seinem Kinderbuch „Der kleine Hobbit“ führt der Weg vom Erdloch, in dem der kleine Bilbo Beutlin lebt (der Onkel des „Herr der Ringe“-Helden Frodo), zur „Schlacht der fünf Heere“, in der es um nichts weniger als die Zukunft von ebenso vielen Völkern geht; der Fund eines goldenen Rings in der ersten Buchhälfte wird zur Keimzelle des nachfolgenden Epos’ um die Ring-Kriege und das Ende eines Zeitalters. Nicht nur in der Sequenz mit dem Vogel findet Regisseur Peter Jackson fantasievolle und ausdrucksstarke Lösungen, um der Schöpfung des britischen Fantasy-Großmeisters filmisch Rechnung zu tragen. Ein kleiner Igel, der qualvoll zu verenden droht, wird ebenso vielsagend eingesetzt wie ein „Gipfeltreffen“ der Elbenfürsten Elrond und Galadriel mit den mächtigen Zauberern Saruman und Gandalf; die mimischen Regungen auf dem Gesicht des Bilbo-Darstellers Martin Freeman sind so signifikant wie der Ausgang einer Schlacht. Jacksons Entscheidung, seiner Adaption des 1937 erschienenen „Hobbit“ ebenfalls drei Teile zu gönnen, macht Sinn: Sie verschafft ihm Raum, um den eher schmalen Band an den mythischen Kosmos rückzukoppeln, den Tolkien im Lauf seines Schriftstellerlebens darum gewoben hat (wobei nicht zuletzt auf Anhänge des „Herr der Ringe“ zurückgegriffen wird). Und sie gibt ihm die epische Freiheit, die in der märchenhaften Vorlage mit knappen Strichen skizzierten Figuren und Vorgänge durch Kontexte und Details zu ergänzen. Auch die Filmtechnik leistet dem Vorschub: Der Film wurde in 3D gedreht, zudem mit 48 statt 24 Bildern pro Sekunde – was den Aufnahmen eine unglaubliche Schärfe und Präsenz verleiht und viele der Probleme beseitigt, die Realfilm-3D bisher bei bewegungsreichen Actionsequenzen hatte. Ruckeleien, Verzerrungen und Unschärfen bei Schwenks und Bewegungen vor der Kamera gibt es nicht mehr, selbst düstere Sequenzen, etwa jene, die in den Schächten und Hallen des Nebelgebirges spielen, sind brillant und kontrastreich. „Der Hobbit“ nutzt somit die Vorteile des 3D-Kinos bei der Erschließung überwältigender Räume ohne dessen bisherige Nachteile. Wenn der Film das untergegangene Reich im Erebor und die vernichtete Stadt Dal wieder auferstehen lässt, wenn die Helden durch die Landschaftspanoramen Mittelerdes (Neuseelands) ziehen oder die Kamera ins Goblin-Reich unter den Nebelbergen abtaucht, geht dabei nie der scharfe Blick für Einzelheiten verloren; die Figuren bleiben so echt, dass man förmlich das Kitzeln der Zwergenbärte zu spüren meint oder den Mief der Orks in der Nase hat. Erzählerisch gelingt Jackson ein feinfühliger Brückenschlag zwischen dem Kindlich-Märchenhaften der Vorlage und dem episch-heroischen Atem des „Herrn der Ringe“, sodass der Film seiner literarischen Vorlage gerecht wird, zugleich aber auch ein stimmiges Prequel zur „Ring“-Trilogie abgibt: Immer wieder flackert der humorvolle Ton auf, den Tolkien im „Hobbit“ anschlägt, doch ist die Filmerzählung insgesamt düsterer und erwachsener. Die Geschichte der Abenteuerfahrt von Bilbo Beutlin mit einer Gruppe von 13 Zwergen unter Führung von Thorin Eichenschild und dem Zauberer Gandalf, die den Berg Erebor zurückerobern wollen, der den Zwergen einst mitsamt des darin gelagerten Goldschatzes vom furchtbaren Drachen Smaug entrissen wurde, hält sich weitgehend an die Stationen des Romans: Auf den Kampf mit drei Trollen folgt die Einkehr im Haus des weisen Halbelben Elrond; bei der Überquerung des Nebelgebirges fällt die Reisegesellschaft den in Höhlen hausenden Orks in die Hände, wobei Bilbo entkommt, an einem unterirdischen See auf Gollum trifft und in den Besitz des magischen Rings gelangt. Allerdings nehmen sich Jackson und seine Co-Drehbuchautoren Freiheiten, die der Dramaturgie des Films, aber auch seiner Funktion innerhalb der Trilogie zupass kommen. So wird ein im Buch nicht angelegter Suspense-Bogen eingefügt, festgemacht an einem unheimlichen Ork-Fürsten, der mit Thorin Eichenschild noch eine alte Rechnung zu begleichen hat. Spannungen zwischen Zwergen und Elben, die erst am Ende des Romans eine Rolle spielen, zeichnen sich bereits ab. Außerdem deuten sich dunkle Umtriebe um die im Düsterwald gelegene Festung Dol Goldur und einen „Hexenmeister“ an (hinter dem sich der dunkle Herrscher Sauron verbirgt), die einen Anschluss an die „Ring“-Trilogie gewähren. Dem Manko, dass die Zwergengesellschaft im „Hobbit“ in ihrer Homogenität weniger emotionalen Zündstoff liefert als die von Unterschieden geprägte „Fellowship of the Ring“, begegnen die Autoren damit, dass sie Bilbo, Gandalf und Thorin Eichenschild als verschieden akzentuierte Heldenfiguren zeichnen, wobei Thorin deutlich von den ansonsten eher derb-humorvoll gezeichneten Zwergen abgesetzt und zum charismatisch-kantigen Charakter ausgebaut wird. Bilbos Entwicklung vom liebenswerten, gemütlichen Spießer zum vollwertigen, mutigen Mitglied der Reisegesellschaft wird durch kleine Änderungen der Vorlage forciert. Auch in der Zeichnung Gollums, dessen Animierung hier noch ein Stück weit lebensechter wirkt als in den „Herr der Ringe“-Filmen (sein Treffen mit Bilbo ist der furiose Höhepunkt des ersten Teils), übertrifft sich der Film selbst. So gelingt Jackson ein ebenso bildgewaltiges wie erzählerisch stimmiges Kinoerlebnis, an dem nur eines ärgert: dass man auf den zweiten Teil ein ganzes Jahr warten muss!