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Filmkritik
Der Film über den blutigen Terror der RAF beginnt mit einer Idylle. Im Off röhrt Janis Joplin, der Herr möge ihr doch bitte einen Mercedes kaufen, während auf Sylt Menschen einen unbeschwerten Sommertag am FKK-Strand genießen. Darunter auch die Kolumnistin der Zeitschrift „konkret“, Ulrike Meinhof, mit Mann und Kindern. Wenig später verliest sie auf einer Gartenparty einen von ihr verfassten Protestartikel gegen den Deutschland-Besuch des Schah von Persien – was die meisten der Anwesenden eher mit einem müden Lächeln zur Kenntnis nehmen. Bis zum Showdown des Films, der mit der Ermordung des von der RAF entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer endet, sind es noch knapp 150 Filmminuten, in denen mit Bomben diverse Gebäude in die Luft gejagt werden und viele Menschen durch Schüsse aus den Waffen der Terroristen ihr Leben verlieren. Dabei zeichnet der Film vom Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 bis zum „Deutschen Herbst“ 1977 chronologisch die Geschichte der RAF nach, ohne neuen Erkenntnisse zu liefern. Das war auch nicht zu erwarten. Schließlich handelt es sich bei „Der Baader Meinhof Komplex“ vornehmlich um die Adaption des gleichnamigen Sachbuchs von Stefan Aust, das seit 23 Jahren auf dem Markt ist.
Vom Ballast des Überbaus befreit
Das fiktionale Kino hat sich in der Vergangenheit mit Produktionen wie „Die Stille nach dem Schuss“, „Die innere Sicherheit“ oder „Baader“ hinlänglich mit den Protagonisten des Terrors beschäftigt. Das „Neue“ dieses von Bernd Eichinger geschriebenen und produzierten und von Uli Edel inszenierten Films besteht im Weglassen von Elementen, die bei der Beschäftigung mit der RAF bislang als unabdingbar galten. Etwa in der mehr oder minder stringenten Verankerung ihrer führenden Köpfe und deren späterer Taten in der politischen 68er-Bewegung. Zwar werden hier auch Archivbilder des Vietnamkrieges und der weltweiten Studentenproteste zu einer Art Kompilation zusammengerafft, aber mehr an Kontext gibt es nicht. Einmal sieht man Rudi Dutschke bei einer flammenden Rede in der Uni-Aula und später noch einmal, als ihm ein Psychopath Kugeln in den Kopf jagt.
Ansonsten bleibt der Studentenführer eine Randfigur. „APO-Wichser“, nennt ihn Andreas Baader, der selbst quasi aus dem Nichts kommt, einfach da ist und von Gudrun Ensslin angehimmelt wird. Baader gibt den Anarcho-Dandy und trägt („Nicht quatschen, machen!“) wesentlich zur Radikalisierung der Gruppe bei, was allerdings oft nach Spaß-Guerilla aussieht. In einer Sequenz sieht man Baader über die Autobahn rasen und lachend mit einer Pistole aus dem Seitenfenster in die Nacht feuern. Auch für die wenigen amüsanten Szenen von „Der Baader Meinhof Komplex“ ist in erster Linie der Mann verantwortlich, den Moritz Bleibtreu mit vornehmlich physischer Intensität verkörpert. Ob er sich im jordanischen Trainingscamp weigert, unter Stacheldraht durch den Sand zu robben („Wir brauchen den Quatsch nicht, wir sind Stadt-Guerilla!“) oder in einem römischen Straßencafé den RAF-Anwalt Horst Mahler nötigt, einer Dame die Brieftasche zu klauen, um seine Verbrecher-Kompetenz unter Beweis zu stellen: Andreas Baader ist hier der Womanizer und Unterhaltungskünstler des deutschen Terrors.
Nur Ulrike Meinhof entwickelt sich hier
Demgegenüber liegt der ideologische Ballast zwischen den Attentaten nahezu ausschließlich auf den Schultern von Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin. Wobei der Film nur Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) so etwas wie eine Entwicklung erlaubt. Wie sie bei der Baader-Befreiung nach dessen Verurteilung für die Frankfurter Kaufhaus-Brandstiftung zweifelnd am Fenster steht und den Sprung in den (im doppelten Sinne) Untergrund wählt, sich später im jordanischen Camp gegen ihre beiden Kinder entscheidet und nach einer Phase als Aktivistin im Gefängnis von Stammheim von grüblerischen Selbstzweifeln heimgesucht wird, das zählt zu den bewegendsten Momenten des Films.
Während die attackierte Staatsmacht und die bundesrepublikanische Öffentlichkeit so gut wie gar nicht vorkommen, gelingt Bruno Ganz eine wunderbare Miniatur des damaligen BKA-Chefs Horst Herold. Der oberste Terroristen-Fahnder und Philosoph der Rasterfahndung erscheint als einsamer Mann, der seinen Mitarbeitern eigenhändig Eintopf auftischt, mit seiner Überzeugung, dass man sich mit den Motiven des Terrorismus beschäftigen müsse, wenn man ihn bekämpfen wolle, bei den Politikern aber auf taube Ohren stößt. Dass der Autor der Vorlage, Stefan Aust, mit Hilfe eines Darstellers ebenfalls mehrfach ins Bild gerückt wird und ein Interview mit den Eltern von Gudrun Ensslin machen darf, das in Wirklichkeit ein anderer Journalist führte, gehört zu den eitlen Peinlichkeiten des Films.
Actionfilm ohne viel Politik
Die bestechendsten Sequenzen sind jene, die man salopp Actionszenen nennen könnte. Das gilt für den famosen Einsatz der Pyrotechnik bei den Bombenattentaten, aber vor allem für eine virtuose Kamera und Montage. Bei der Anti-Schah-Demonstration wähnt man sich mitten im Getümmel und bekommt eine veritable Vorstellung von der Wucht eines Wasserwerfers. Wenn bei der Schleyer-Entführung die Terroristen wie von Sinnen ihre Magazine auf dessen Begleiter leer feuern, ist das aus unmittelbarer Nähe und zu großen Teilen aus der Perspektive der Opfer gefilmt, sodass man sich im Kinosessel selbst an deren Stelle sieht.
Doch virtuose Action macht bei diesem Sujet noch keinen guten Film. In der Absicht, den Mythos der RAF durch exzessive Gewaltdarstellungen zu entzaubern, läuft der Film Gefahr, einen neuen zu schaffen. Die von politischen und gesellschaftlichen Kontexten weitgehend befreiten Terroristen erscheinen hier als eine Bande von Outlaws, die plündernd, Kette rauchend und mordend durch die Lande ziehen. Jüngere Zuschauer, die die Zeit nicht mehr erlebt oder sich mit dem Thema beschäftigt haben, dürfte diese mit großem Getöse als „definitiver RAF-Film“ vermarktete Produktion jedenfalls gänzlich ratlos zurücklassen.