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Filmkritik
Eine grandiose Idee hat der Gangster Frank Costello in jenem besonderen Augenblick, als er in einem kleinen Laden in Boston dem vaterlosen Jungen Colin Sullivan begegnet. Oder ist es Intuition? Jedenfalls nimmt Costello als „Ersatzvater“ den Jungen unter seine Fittiche und fördert seinen „Bildungsweg“ nach Kräften. Jahre später ist Sullivan ein junger, karrierebesessener Polizist, bleibt der Autorität Costellos aber stets loyal verbunden. Er wird zum Maulwurf an strategisch entscheidender Stelle, nämlich just in der Eliteeinheit, die auf Costello angesetzt ist. Gleichzeitig versucht auch die Polizei, Costellos Organisation zu infiltrieren, was schließlich mit Billy Costigan gelingt, der von der Polizeiakademie geflogen ist und langwierig mit einer wasserdichten Gangster-Legende versehen wird. Nur zwei Beamte, Captain Queenan und Sergeant Dignam, sind in Costigans wahre Identität eingeweiht. Als Costello schließlich gestohlene Mikroprozessoren an die Chinesen verkaufen will, kann Sullivan nur mit allergrößter Mühe verhindern, dass Costello in eine clever gebaute Polizeifalle tappt. Doch nun wissen beide Seiten, dass sie infiltriert sind – und es beginnt ein packender, fintenreicher Wettlauf zwischen den beiden Maulwürfen, die versuchen, sich gegenseitig zu entlarven bzw. sich der Enttarnung zu entziehen. Noch komplizierter und doppelbödiger wird das Spiel, als sich herausstellt, dass Sullivan und Costigan durchaus nicht die einzigen Maulwürfe sind und dass zudem das FBI „undercover“ mitmischt. „The Departed – Unter Feinden“ ist Martin Scorseses Remake des klugen Hongkong-Thrillers „Infernal Affairs“ von Andrew Lau und Alan Mak aus dem Jahr 2002. Es ist nach „Die Farbe des Geldes“ (fd 26 045, einer Art Fortsetzung von Robert Rossens „Haie der Großstadt“, 1961) und „Kap der Angst“ (fd 29 409, Remake von „Ein Köder für die Bestie“, 1962) bereits die dritte „Nachbildung“ in Scorseses Werk, die jedes Mal ein Versuch war, sich aus der jeweiligen Krise einer Folge von spektakulären Flops auf sicheres Terrain zurückzuarbeiten. „Departed – Unter Feinden“ ist zudem eine Rückkehr Scorseses zum Gangsterfilm, jenem Genre also, mit dem der Filmemacher seit „Hexenkessel“ (fd 19 864, „Taxi Driver“ (fd 19 983) und „Casino“ (fd 31 816) am nachdrücklichsten (allerdings zu Unrecht) in Verbindung gebracht wird. Scorseses Remake hält sich zunächst erstaunlich eng an die Vorlage; ganze Szenenfolgen werden schlicht kopiert, und nur am Schluss entscheidet er sich für eine deutlich drastischere Wendung. Im Gegensatz zur eher konstruktivistischen Vorlage, in deren Choreografie moderne Kommunikationsmittel eine entscheidende Rolle spielten, indem sie die Dialektik von Virtualität und ständiger Kommunikationsbereitschaft kunstvoll in die Handlung einbanden, hat Scorsese viel Mühe darauf verwendet, eine möglichst präzise Milieustudie zu erarbeiten und hierzu einige Randfiguren erheblich aufgewertet. Der Film spielt, im schlimmsten Wortsinne, unter testosterongesättigten Männern, deren fast permanent bemühter „jive talk“ voller aggressiver Obszönitäten und Slang dem Film in den USA durchaus Probleme bereiten könnte und wohl kaum angemessen ins Deutsche zu überführen ist. Die atemberaubenden „hard boiled“-Wortgefechte zwischen dem hyperaggressiven Sergeant Dignam und Captain Ellerby, dem virilen Leiter der Spezialeinheit, dürften manchen Gangsta-Rapper schamvoll erröten lassen. Scorsese erzählt schwerblütig und mit Shakespearescher Wucht von den scheiternden Beziehungen zwischen bösen oder überforderten Vätern und adoptierten, sich emanzipierenden Söhnen. So wie Costello den jungen Sullivan unter seine Fittiche nimmt, so wird sich später Captain Queenan Costigans annehmen. Die Grenze zwischen Gut und Böse ist in dieser Welt prinzipiell aufgehoben: Böse Menschen täuschen vor, auf Seiten des Guten zu stehen; gute Menschen mischen sich unter die Bösen. Das Leben mit den falschen Identitäten ist aufreibend und belastend, allerdings auf unterschiedliche Weise. Während Sullivan einerseits eine bürgerliche Karriere im Polizeidienst verfolgt und mit größter Selbstverständlichkeit – dies ist ein weiterer Unterschied zur Vorlage – seine Kollegen und auch seine Geliebte hintergeht, ist Costigans Situation ungleich prekärer, denn er leidet noch an den moralischen Verwerfungen seiner kriminellen Existenz. Überhaupt ist die „Handlungsmacht“ zwischen beiden Maulwürfen strukturell höchst ungleich verteilt; während Sullivan über weite Strecken die Fäden in den Händen behält und seine Abteilung derart geschickt zu manipulieren versteht, dass er schließlich sogar mit den Ermittlungen gegen sich selbst beauftragt wird, muss Costigan fortwährend mit seiner Enttarnung rechnen, steht unter ständig argwöhnischer werdender Beobachtung und rasch vor einer Situation, in der ihm nur noch ein wenig Zeit bis zur Enttarnung bleibt. Skrupellos liefert Sullivan sogar die eigenen Kollegen ans Messer, und als er mit seiner Enttarnung rechnen muss, wagt er sogar die Revolte gegen seinen „Übervater“ Costello. Doch braucht es noch eine Reihe von Zufällen, Wendungen und aberwitzigen Taschenspielertricks, bis sämtliche offenen Rechnungen beglichen sind. In der furiosen Schlussviertelstunde wird mit solch erschreckender nihilistischer Konsequenz „reiner Tisch“ gemacht, dass man zwangsläufig an die Schlussphase einer Blitzschach-Partie denken muss. Was oberflächlich an die finale Revierbereinigung in „Casino“ erinnert, zeugt auch von einer gewissen erzählerischen Ungeduld Scorseses, der zwar die moralischen Aporien kunstvoll entwickelt hat, aber an der Auflösung kaum noch Interesse zu haben scheint. Man ahnt früh, was Scorsese intellektuell wie auch spirituell an dieser Geschichte von Schuld und Sühne, Verrat und Loyalität gereizt haben mag. Von Beginn an, wenn die Rolling Stones ihr unheilvolles „Gimme Shelter“ spielen, legt sich eine Atmosphäre auswegloser Gewalt auf die Bilder. Früh wird man Zeuge einer Hinrichtung am Strand, sieht den noch „hungrigen“ Aufsteiger Costello sich mit Säge und Beil den Getöteten zuwenden. Auch später wird explizite Gewalt häufiger kunstvoll angespielt als visuell ausgereizt, aber dennoch ist die Gewalt derart konstitutiv, dass man früh ahnt: „No one gets out here alive.“ Todessehnsüchtig scheint auch Frank Costello, der im Leben alles erreicht hat, dem das Gesetz nicht beizukommen vermag und dem die Impulse ausbleiben. Jack Nicholson porträtiert die letztlich übermütige Macho-Geilheit dieser übermächtigen Inkarnation des Bösen so überwältigend widerlich und abstoßend, dass seine Perfektion wohl dem Ruhm für diese Leistung im Weg stehen wird. Der Tod scheint hier immer auch eine (Er-)Lösung. Als Costellos rechte Hand Mr. French in Gefahr gerät, verhaftet zu werden, tötet er sich selbst; natürlich mit einem Kopfschuss, was als Tötungsart mit Hingabe zelebriert wird, sodass der Film rückblickend fast schon mit einem Sprühnebel aus Rot überzogen scheint. Der Eindruck, den der Film hinterlässt, ist ambivalent. Einerseits suggeriert er den epischen Atem von „Casino“, lässt aber dessen historisch-politische Dimension vermissen. Meisterlich sind dagegen einmal mehr die Montage von Thelma Schoonmaker und der immer auch mit einer Kommentarfunktion versehene Soundtrack. Die Filmzitate und -referenzen reichen von „Der dritte Mann“ (fd 479) bis zu Howard Hawks „Scarface“, (fd 22 841), explizit zu sehen ist ein Filmausschnitt aus John Fords „The Informer“ („Der Verräter“, fd 839). Die Darstellerleistungen sind ohne Abstriche superb. Was den Film zusammengenommen zu einem der Höhepunkte des Kinojahres macht, bekommt durch die Grimmigkeit und Wut, die in jeder Szene zu spüren ist, indes einen unangenehmen Beigeschmack. Die Vehemenz, mit der ein soziales Chaos voller Lug und Betrug, voller Identitätsinkonsistenzen und politischer Verschwörungen ausgemalt wird, zeugt von einer Menschenverachtung, die derjenigen von Frank Costello gar nicht so unähnlich ist. Insofern ist „Departed – Allein unter Feinden“ ein Meisterwerk, wohl aber ein Meisterwerk „you love to hate“.