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Filmkritik
Es ist wie im Traum. Während das Luxus-Callgirl Diana (Ilenia Pastorelli) mit dem Auto durch Rom fährt, wirft eine Sonnenfinsternis einen gespenstisch graublauen Schleier über die Stadt. Wie hypnotisiert blicken die Passanten mit Schutzbrillen in den Himmel. Auch Diana kann sich dem Spektakel nicht entziehen, stolpert wie schlafwandelnd auf eine Wiese und blickt direkt in die grelle Sonne. Während dieses Naturereignis scheinbar jeden in seinen Bann zieht, treibt ein Frauenmörder im Overall ungestört sein Unwesen.
„Dark Glasses“ beginnt mit einer düsteren Vorahnung. Bald gerät die zunächst nur leicht geblendete Diana ins Visier des Killers und verliert bei einer Verfolgungsjagd mit ihm auch endgültig ihr Augenlicht. Während Hauptdarstellerin Ilenia Pastorelli mit ihrem drahtigen Körper, der blass schimmernden Haut und den vollen, blutrot bemalten Lippen zunächst noch sexy und unnahbar wirkte, tritt nun zunehmend ihre verletzte Seele hervor.
Die Stadt wird für die junge Frau mit einem Schlag zum Feindesland. Hilflos klammert sie sich an ihren deutschen Schäferhund. Mit ihrem Blindenstock scheint sie alles auf Distanz halten zu wollen. Auch ihre große Sonnenbrille wirkt wie ein Schutzschild. Wenn sie die Kamera von Matteo Cocco auf der Polizeistation im Gegenlicht filmt, wirkt dieses Bild wie ein Echo der Sonnenfinsternis. Nur dass es diesmal Dianas Welt ist, die sich verdunkelt hat.
Die Opfer entwickeln ungeahnte Kräfte
Seit über 50 Jahren dreht Dario Argento seine elegant delirierenden, sexuell aufgeladenen und nicht selten ziemlich brutalen Thriller. Auch „Dark Glasses“ ist ein für den italienischen Regisseur typischer Giallo, in dem ein nur als schemenhafte Bedrohung erkennbarer Killer seinen Opfern martialisch die Kehle durchschneidet. Die opulenten Budgets von einst bekommt Argento zwar schon lange nicht mehr, aber auch sein neuer Film besticht souverän mit Klassizismus und Style. Mit einer von langer handwerklicher Erfahrung geschulten Leichtigkeit beschwört „Dark Glasses“ unheimliche Bildwelten mit Sogwirkung herauf. Und Arnaud Rebotini steuert einen effektiven synthetischen Retro-Sound mit schweißtreibend pochenden Bässen, zarten, hypnotisch-dissonanten Klaviermelodien und anschwellendem Synthie-Gewitter bei.
Obwohl Argento sich hier effizient auf seine Tugenden konzentriert, hat „Dark Glasses“ auch eine andere, sanfte und gefühlvolle Seite. Der Autounfall hat nicht nur Diana erblinden lassen, sondern auch den jungen Chin (Xinyu Zhang) zum Waisen gemacht. Aus dieser Schicksalsgemeinschaft zweier sehr unterschiedlicher Außenseiter entwickelt der Film eine zarte Buddy-Movie-Dynamik. Beide sind auf ihre Art gebrochen und orientierungslos, wirken nach außen hin wie leichte Opfer, entwickeln aber beim Kampf gegen den Killer ungeahnte Kräfte.
Im dunklen Märchenwald
Argento, der das Drehbuch mit seinem langjährigen Kooperationspartner Franco Ferrini verfasst hat, setzt dabei andere Prioritäten als bei früheren Gialli. Die Identität des Killers verrät er beispielsweise schon recht früh und interessiert sich auch nicht für dessen spektakuläres Trauma, das den Mann zu seinen Taten treibt. Umso intensiver widmet sich „Dark Glasses“ hingegen der Melancholie und stillen Verbundenheit des Duos. Selbst die Polizei, die Chin zurück ins Waisenhaus bringen will, ist den beiden während ihrer Flucht vor dem Mörder keine Hilfe.
Ähnlich metaphysisch wie die somnambule Eröffnungsszene fällt auch das Finale aus. Als Diana und Chin Unterschlupf im Landhaus der Blindenpädagogin Rita (Asia Argento) suchen, finden sie sich in einem bösen Märchenwald voller Sümpfe und feindseligem Getier wieder. Ähnlich wie „Dark Glasses“ auch sonst seine psychologischen Subtexte in elegante Bildwelten überführt, wird auch hier die dunkle Einöde zum Spiegel tiefer Verlorenheit.