- RegieDavid Cronenberg
- ProduktionsländerKanada
- Dauer107 Minuten
- GenreDramaScience FictionHorror
- AltersfreigabeFSK 16
- TMDb Rating6.4/10 (530) Stimmen
Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Ächzend und keuchend windet sich Saul (Viggo Mortensen), während er mit angestrengt flüsternder Stimme spricht. Sein Körper ist schwach und allein kaum lebensfähig. Allerlei organische Geräte begleiten ihn durch den Alltag. So schläft er etwa in einer Schale, die einem umgedrehtem Schildkrötenpanzer gleicht und von Tentakeln übersät ist. Oder er nimmt mühevoll seine breiigen Mahlzeiten zu sich, während er in einem permanent ruckelnden Stuhl aus Knochen sitzt. Zunächst verrät nur ein raumschiffähnliches Gebilde im verschwommenen Hintergrund, dass die Handlung vermutlich in der Zukunft spielt. Im Vordergrund sieht man einen Jungen, der kurz darauf einen Plastikeimer verschlingt und deshalb von seiner Mutter mit einem Kissen erstickt wird.
In der von staatlicher Kontrolle geprägten Welt aus „Crimes of the Future“ sind nicht nur die Maschinen lebendiger, sondern auch die Menschen synthetischer geworden. Während des Vorspanns gleitet man durch unergründliche rote Landschaften, die einen inneren Organismus darstellen sollen, aber eher wie ein unerforschter Planet wirken.
So wie der Junge mit dem Plastikmagen hat auch Saul eine Anomalie: Ständig wachsen in ihm neue Organe heran, die seine Partnerin Caprice (Léa Seydoux) im Rahmen von Kunstperformances herausoperiert. „Operationen sind der neue Sex“, behauptet die dauernervöse Timlin (Kristen Stewart), die im Namen der Regierung Organe katalogisiert und ein perverses Interesse an Sauls Eingeweiden entwickelt. Als sie ihn einmal küssen will, gesteht er schüchtern, dass er den „alten Sex“ nicht mehr wirklich beherrsche.
Eine sonderbare Gegenwelt
Thematisch knüpft das bereits 2003 unter dem Namen „Painkillers“ entwickelte Projekt von David Cronenberg an frühere Werke des kanadischen Regisseurs an. Um Mutationen, Identitätsverlust und die Erotisierung von Schmerz ging es auf die ein oder andere Weise schon in „Videodrome“, „Crash“ oder „Existenz“. Auch „Crimes of the Future“ schöpft seine Faszination aus seiner sonderbaren Gegenwelt, in der vieles schön und erregend ist, was auf die meisten abstoßend wirkt.
Einmal liegen Saul und Caprice nackt ineinander verschlungen, ohne sich wirklich wahrzunehmen. Den Genuss bringt nicht das Beisammensein, sondern eine Apparatur, die immer wieder die Haut der beiden mit einem Skalpell einschneidet. Lust hat hier nichts mehr mit Fortpflanzung zu tun, sondern nur noch mit Zersetzung. Ob Saul Schmerzen verspüre, fragt ihn Caprice ein anderes Mal, aber er beschreibt es als interessantes Gefühl, dem er erstmal genauer nachgehen müsse.
Mit seinen ausgestellten Deformationen ähnelt „Crimes of the Future“ klassischem Body-Horror. Das Setting eines totalitären Staats ist dagegen pure Science-Fiction, und die Handlung, bei der Saul zwischen die Fronten eines Cops und dem Anführer einer evolutionistischen Untergrundbewegung (Scott Speedman) gerät, erinnert fast an einen Film noir. Alle diese Genre-Anleihen führen allerdings leicht in die Irre, weil Cronenberg sich in erster Linie spielerisch der eigenen Mythologe widmet. Und zwar klarer und ausführlicher, als er es bei früheren Filmen getan hat.
Mehr auf Worte als auf Körper konzentriert
Es wird in diesem Film mehr erklärt als gehandelt; die Schauspieler wirken häufig statuenhaft und isoliert, was die Entfremdung der Figuren jedoch gut trifft. Mit dem Erkenntnisdrang steigt in „Crimes of the Future“ die Distanz zum Körper. Traditionelle Biologie hat ausgedient, stattdessen wird das „neue Fleisch“, wie es einst in „Videodrome“ hieß, zur ultimativen Wirklichkeit. Man fühlt sich hier manchmal wie in einem anatomischen Theater, in dem nicht nur Körper, sondern auch Ideen ausgestellt werden. In einer Geschichte, in der sich die Figuren geistigen Obsessionen hingeben, weil sie sich selbst nicht mehr spüren, wirkt es nur konsequent, wenn Cronenberg sich mitunter mehr auf Worte als auf Körper konzentriert.
Das im Vergleich zu früheren Regiearbeiten geringere Budget sieht man dem Film ein bisschen an. Überwiegend wurde „Crimes of the Future“ in einer Lagerhalle in Athen gedreht. Die wenigen Außenaufnahmen wirken fragmentarisch und kulissenhaft, zeigen entweder Teile von verfallenen Gebäuden oder versinken in Dunkelheit. Statisch und theoretisch ist der Film aber keineswegs. „Crimes of the Future“ besitzt eine düstere, minimalistische Eleganz, die sich an Cronenbergs bedächtiger Inszenierung ebenso zeigt wie an den zurückgenommenen, aber ausdrucksstarken Gesten der Darsteller oder der finster futuristischen Musik von Howard Shore.
Zerstörung als Akt der Selbstermächtigung
Das Spannende an Cronenbergs Dystopie ist letztlich, dass sie weniger als Gegenwartsdiagnose taugt, als sich in ihrer ganzen Sonderbarkeit selbst zu offenbaren. Das wirkt vielleicht manchmal etwas kühl, weil die Liebe als Heilsbringer komplett abwesend ist. Die schöne Herausforderung an „Crimes of the Future“ ist es jedoch, dieses Gedankenspiel mitzugehen und in einer entscheidenden Szene die mutwillige Zerstörung des eigenen Körpers als rührenden Akt der Selbstermächtigung zu begreifen.