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Filmkritik
Woody Allen ist einer jener US-amerikanischen Filmemacher, die besonders in Europa geschätzt werden. Er hat schon in Spanien („Vicky Cristina Barcelona“), Großbritannien („Match Point“, „Cassandras Traum“) und Italien („To Rome with Love“) gedreht und begibt sich 12 Jahre nach „Midnight in Paris“ jetzt erneut in die französische Hauptstadt, um ausschließlich mit einem französischen Ensemble zu drehen. Die Bezeichnung „Stadt der Liebe“ nimmt er wörtlich, wobei die Liebe in diesem Thriller auch ihre dunklen Seiten zeigt.
Im goldenen Käfig
Alles beginnt sehr romantisch mit einer zufälligen, aber schicksalhaften Begegnung auf den Champs-Élysées. Fanny (Lou de Laâge) wird dort von einem ehemaligen Mitschüler (Niels Schneider) angesprochen. Alain war schon als Gymnasiast in sie verliebt; nach einem ersten Gespräch verabreden sich die beiden. Fanny ist in zweiter Ehe mit dem reichen und deutlich älteren Jean Fournier (Melvil Poupaud) verheiratet. Der Geschäftsmann, der zwielichtige Deals abschließt, liest seiner jungen Frau jeden Wunsch von den Augen ab. Doch er behandelt sie eher wie eine wertvolle Puppe, die er in teure Kleider hüllt und mit der er sich in der Öffentlichkeit schmückt. Je öfter sich Fanny mit Alain trifft, er ein bescheidenes Leben als Schriftsteller führt, desto mehr merkt sie, dass sie in einem goldenen Käfig gefangen gehalten wird. Mit ihrer Affäre stellt Fanny ihr Leben als in der höheren Gesellschaft verkehrende Gattin immer mehr in Frage.
Während ihre Mutter Camille (Valérie Lemercier) ihren Schwiegersohn vergöttert und ihre Tochter wegen deren außerehelichen Verhältnis rügt, wird der possessive Jean misstrauisch. Er setzt einen Privatdetektiv (Grégory Gadebois) auf Fanny an, der die Affäre bald bestätigt. Jean zögert nicht lange, sondern heuert einen Profikiller an, und bald verschwindet Alain spurlos. Die ahnungslose Fanny denkt, dass Alain sie verlassen hat. Doch ausgerechnet ihrer Mutter Camille erscheint dies seltsam. Die leidenschaftliche Krimi-Leserin stellt ihre eigenen Ermittlungen an und deckt Jeans dunkle Seite auf.
Reiche Menschen noch reicher machen
Woody Allens 50. Spielfilm ist sein erster ausschließlich auf Französisch gedrehter Film und gehört zu seinen ernsthafteren Filmen. War es in „Match Point“ noch ein skrupelloser Aufsteiger, der wegen seiner Ambitionen nicht davor zurückschreckte, seine Freundin umzubringen, handelt es sich bei Jean um eine andere Art schurkischer Figur. Melvil Poupaud versucht gar nicht erst, den nur auf Reichtum und Statussymbole erpichten Jean sympathisch erscheinen zu lassen. Bei ihm hat man es mit einem machtbesessenen Mann zu tun, der ohne Rücksicht auf Verluste seinen Willen durchsetzen will. Dabei kann er nach außen durchaus charmant wirken und pflegt einen durchaus höflichen Umgangston und ein mondänes Auftreten. Sein Beruf besteht darin, „reiche Menschen noch reicher zu machen“, wobei er für sich selbst auch einiges abzweigt.
Was Fanny an ihm findet, bleibt im Dunkeln; allerdings erwähnt sie einmal ihre erste Ehe mit einem Hungerkünstler, die nicht glücklich endete. Nun verkehrt sie in besseren Kreisen, deren Dinners, Empfänge und gestelzte Dialoge in den ersten Szenen bald ermüden. Doch der Film kommt immer mehr ins Rollen, weil durch die Zweifel des finsteren Jean an der Treue seiner Frau schnell Spannung entsteht.
Das milde Gesellschaftsporträt entwickelt sich zu einem unterhaltsamen Krimi. Man bangt vor allem um das Wohlergehen der weiblichen Figuren: um Fanny, die eher durch Pragmatismus als durch ein besonders romantisches Wesen besticht, und um ihre Mutter Camille. Diese ist die interessanteste Figur, mit Valérie Lemercier glänzend besetzt, die hier einmal ihre berühmte komische Seite verbirgt. Es geht aber auch um Hartnäckigkeit und Obsessionen, und so erscheint es logisch, dass die beiden Figuren, die davon am meisten mitbringen, sich am Ende buchstäblich ein Duell liefern.
Der in seiner Ehre gekränkte Mann
„Ein Glückfall“ zeigt ein Paris der Betuchten in erlesenen Exterieurs – eine Hochglanz-Metropole, die eher die Sicht des Außenstehenden widerspiegelt. Wenn sich Fanny mit Alain im Jardin des Tuileries trifft, schimmert hingegen das romantische Paris durch. Auch in den Interieurs der Partyszenen lässt der Regisseur die Leere der oberen Gesellschaftsschicht anklingen. Der Künstler Alain erscheint als sympathisches Gegengewicht, besitzt jedoch gegenüber Jeans geballter finanzieller Power keine Chance. Der Film beschwört auch einen Kontrast zwischen Stadt und Land, wobei sich das Land als stattliches Herrenhaus und als Schauplatz einer Jagdgesellschaft entpuppt. Wo Jean in der Stadt noch sein zivilisiertes Antlitz wahrt, lässt er im rustikalen Milieu seine Maske fallen.
Woody Allen erfindet mit „Ein Glücksfall“ den Kriminalfilm nicht neu, bedient das Genre aber mit einem soliden Drehbuch und leidlicher Spannung. Auf Dialogwitz kommt es ihm hier weniger an; er arbeitet sich vielmehr an der Charakterisierung eines in seiner Ehre gekränkten aggressiven Mannes ab, der Niederlagen nicht verkraften kann. Für Jeans dominantes Wesen steht eine riesige Modelleisenbahn, die er seinen Gästen stolz vorführt. Wenn er sie bedient, funktioniert alles wie am Schnürchen; er kann als Lenker und Bestimmer auftreten und dabei ganz allein den Ton angeben. Dass sich dieses Tun nicht auf die Widersprüche des realen Lebens anwenden lässt, führt „Ein Glücksfall“ als kurzweiliger Thriller vor Augen.