- RegieKai Wessel
- Dauer112 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
Vorstellungen
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Filmkritik
Zwei Musiker, Vater und Sohn. Der eine ist ein virtuoser Pianist zwischen Klassik, Jazz und Unterhaltungsmusik, der andere ein hochtalentierter Sänger zwischen Soul, Jazz und Pop. Beide sind zu unterschiedlichen Zeiten kommerziell sehr erfolgreich, beide experimentieren mit Crossover-Projekten. Ihre Karrieren schwanken, beide sterben eher jung an derselben Krankheit: Hirnschlag. Eugen Cicero (Jahrgang 1940) wurde 57 Jahre alt, Roger Cicero (Jahrgang 1970) wurde 45 Jahre alt.
Die Entstehungsgeschichte der Dokumentation „Cicero“ zog sich lange hin. Bereits 2012 begann die Produzentin Katharina Rinderle mit der Vorbereitung des Doppelporträts. Der plötzliche Tod von Roger Cicero im Jahr 2016 stellte das Projekt in Frage. 2017 kam Kai Wessel als Regisseur mit an Bord, um den Film in veränderter Form fertigzustellen.
Eine ambivalente Vater-Sohn-Beziehung
Interessanterweise verzichtet „Cicero. Zwei Leben, eine Bühne“ fast komplett auf O-Töne der beiden Künstler. Nur Eugen Cicero kommt einmal zu Wort, als er erklärt, warum sich in seiner Karriere Lücken aufgetan haben. Der Grund: Private Probleme und allerlei Säfte. Im Falle Roger Ciceros verwundert es hingegen, warum die Filmemacher den Weg in die Archive gescheut haben; dort hätte es reichlich Material aus der Zeit seiner großen Erfolge Mitte der Nullerjahre gegeben. Stattdessen spielt der Film über Bande und setzt zahllose Zeitgenossen, Wegbegleiter und Familienmitglieder vor die Kamera, die die Karrieren der beiden Protagonisten „erklären“.
Die nicht ganz unproblematische, aber dennoch enge Vater-Sohn-Beziehung bleibt dabei etwas unterbelichtet. Der Klaviervirtuose soll den Sänger nicht auf Augenhöhe wahrgenommen haben; allerdings erlebte Eugen Cicero die großen Erfolge seines Sohnes nicht mehr mit. Der Film endet jedoch mit einem Song, in dem der Sohn davon erzählt, dass es ihm nicht vergönnt war, von seinem Vater Abschied zu nehmen. Zudem gibt es Bilder vom gemeinsamen Musizieren bei der Abschlussprüfung des Sohnes an der Musikhochschule in Hilversum.
Das Verhältnis von Jazz und Pop
Das Doppelporträt zweier erfolgreicher Musiker ist dennoch höchst aufschlussreich, weil es das Verhältnis zwischen dem Jazz und dem Populären aus der Perspektive zweier Generationen aufblättert. Als der klassisch ausgebildete Eugen Cicero Anfang der 1960er-Jahre erst nach Ost- dann nach Westdeutschland kam, machte ihn seine mit Spielkultur verbundene Virtuosität rasch zu einem Star, der auf das Gepflegteste swingenden Jazz und Klassik zu fusionieren wusste. Er erhielt einen hochdotierten Vertrag beim Villinger „MPS“-Label, wo neben Oscar Peterson auch Modernisten wie Wolfgang Dauner oder Gunter Hampel veröffentlichen.
Eugen Cicero spielte eine ganze Reihe kommerziell äußerst erfolgreicher Alben ein, fungiert in der einschlägigen Jazz-Literatur aber bestenfalls als Fußnote. Um sich seinen flamboyanten Lebensstil leisten zu können, flirtete Cicero später im SFB-Tanzorchester unter Paul Kuhn sogar mit Easy Listening. In den 1970er-Jahren litt seine Karriere unter privaten Problemen, gepaart mit Drogensucht. Erst spät kam es zu diversen Comeback-Versuchen, die solide ausfielen, allerdings künstlerisch nie wieder ganz nach oben führen.
Es ist interessant, dass Weggefährten wie Charly Antolini, Jiggs Whigham oder Ack van Rooyen von der Freiheit des Jazz schwärmen, aber Ciceros Flirt mit dem Gefälligen als „Sachen, die man für Geld macht“ werten. Während also Vater Cicero wie ein Komet in der Szene auftauchte, begann die Karriere von Roger Cicero nach Abschluss des Jazzstudiums als Mucker in der Clubszene. Der Film überzeugt hier durch eine detailreiche Zeichnung der Hamburger Live-Szene zur Jahrtausendwende, in der Roger Cicero Teil einer eingeschworenen Gruppe von Jazz-Musikern war, die auch mit Soul und Pop liebäugelten. Roger Cicero war zwar der Sänger, aber nicht der Frontmann. Vielleicht hat die wechselhafte Karriere des Vaters die Entscheidungen des Sohnes beeinflusst.
Wie aus dem Sänger „Roger Cicero“ wurde
Wer Roger Cicero bislang aber als „Schlagerfuzzi“ abgetan hat, muss diese Fehleinschätzung korrigieren. Denn genau hier kommt die Musikindustrie ins Spiel, die das Talent des Sängers zu schätzen wusste, aber ungleich größer dachte. Denn jetzt wurde das Projekt „Roger Cicero“ konzeptualisiert: ein talentierter Sänger, eine bestens eingespielte Swing-Bigband, ein Style und deutsche Texte, die den Sänger als eine Mischung aus Sonnyboy und charmantem Macho erscheinen lassen. Alles in Teamarbeit mit Major-Plattenlabel, Management, Produzenten, Textern, Stylisten und den bekannten Musikern, die sich jetzt als Show verkleiden müssen: „Das ist kein Jazz mehr!“
Es ist höchst amüsant, wie die beteiligten Musiker staunen, dass sie mit ihrer Musik plötzlich große Veranstaltungen füllen, nur weil ein paar (allerdings zentrale) Stellschrauben verändert wurden. Dumm nur, dass der Sänger irgendwann merkt, wie die Texte über „postfeministische Männertraumata“ (Wolf Kerschek) ihn zum „König der augenzwinkernden Stehpinkler“ machen, der er gar nicht ist. Der als Interpret für etwas, das er nur vorträgt, von der „Emma“ als „Pascha des Monats“ aufgespießt wird, obwohl er gar kein swingender Mario Barth, sondern eine eher nachdenkliche, spirituelle Persönlichkeit ist, die er auch herzeigen würde. Wenn er als Künstler einen Gang runterschalten möchte, aber mittlerweile in der „Hit-Giganten“-„Tauschkonzert“-Blase gelandet ist, wo man nur zwischen Burnout oder Xavier Naidoo wählen kann.
Zwischen Mythos und Kommerz
Zuletzt versuchte es Roger Cicero mit klassischen Popsongs von James Taylor oder Nick Drake, die er und seine Mitstreiter in kleiner Besetzung in ein Jazz-Gewand kleideten. Wie sich Roger Ciceros weitere Karriere wohl gestaltet hätte? Doch auch so gibt es in „Cicero. Zwei Leben, eine Bühne“ viel zu erfahren über das noch immer krause Selbstverständnis der Jazzszene in Deutschland zwischen Mythos und Kommerz.