- RegieJerzy Skolimowski
- Dauer97 Minuten
- GenreDrama
Cast
Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Morgenschicht. Frédy Geiser, der zu Fuß in einem etwas heruntergekommenen Quartier in Biel auf Streife unterwegs ist, führt eine neue Arbeitskollegin in ihren Job ein. Er kennt die Gegend wie seine Westentasche. Weist auf zwielichtige Lokale und verklebte Fensterscheiben hin, erzählt, wen er auf seiner Liste hat, und deutet zwischendurch an, dass es hier bereits Richtung Rotlichtmilieu gehe.
Die Frau hört zu und stellt manchmal eine Frage. Als die Tour später im Auto fortgesetzt wird, erzählt sie Frédy vertrauensselig, dass sie im Unterschied zu ihrem Mitbewerber bei der Vorstellung keinen Text von Französisch ins Deutsche habe übersetzen müssen. Und merkt lapidar an, dass man vielleicht einfach eine Frau gebraucht habe.
Frédy – die Protagonisten in „Schwarzarbeit“ von Ulrich Grossenbacher sprechen sich nur mit Vornamen an – ist der alte Hase unter den vier Inspektoren und der neuen Kollegin, denen der Film folgt. Frédy ist in der Region aufgewachsen. Ein gutmütiger und körperlich kräftiger Mann, der seinen Job ernst nimmt und als wichtig erachtet. Aus jahrelanger Erfahrung weiß er aber, dass die Menschen, mit denen er es dabei zu tun bekommt, meist nicht diejenigen sind, die das System ausnützen, sondern diejenigen, dank denen dies anderen gelingt. Er hat bisweilen eine fast schon väterliche Art, mit Menschen – auch mit solchen, deren Verhalten illegal ist – umzugehen, und er weiß, dass „Gesetze so geschrieben sind, dass man sie auch umgehen kann“.
Der Gipser in Turnschuhen
Dieses Wissen vermittelt er der neuen Kollegin genauso, wie er ihr beibringt, worauf sie achten muss, um zu erkennen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. In einer anderen Sequenz des Films erklärt Frédys Kollege Stefan, wie und wieso die Berner Arbeitsmarktkontrolle (AMK) und die Kantonspolizei zusammenarbeiten. Dabei erwähnt er das Beispiel vom „Gipser in Turnschuhen“, der sein Interesse mehr weckt habe als der Mann, den er aufgrund einer Meldung eigentlich dort suchte. Es sind scharf beobachtete Kleinigkeiten wie diese Turnschuhe am unpassenden Ort, welche Menschen verraten oder zumindest untrügliche Hinweise auf ein (illegales) Verhalten geben.
Grossenbacher ist dabei und die Kamera schaut zu, wenn solches diskutiert wird. Er ist auch dabei, als die Polizei einem jungen Mann Handschellen anlegt und ihn von der Baustelle führt; er konnte zwar ein abgelaufenes Touristenvisum vorweisen, verfügte aber über keine Aufenthaltsbewilligung. Grossenbacher ist ebenfalls dabei, als die Polizei auf der Suche nach einem anderen Mann sämtliche Zimmer eines zwielichtigen Etablissements kontrolliert, oder als ein Inspektor mit der Taschenlampe in einen dunklen Keller steigt und einen Geflüchteten in der hintersten Ecke entdeckt.
Die Streifzüge der Kontrolleure sind Routine. Sie dienen dazu, um unter Kontrolle zu halten, was die Schweiz seit dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU in Gefahr sieht: den sehr viel stärker als im Ausland geregelten Lohnschutz. Grossenbacher bringt diese real- und gewerkschaftspolitische Ebene in einem Nebenstrang ebenfalls in den Film mit ein; der Gewerkschaftler Corrado Pardini, der sich für Lohnschutzmaßnahmen einsetzt, wird dadurch zum sechsten Protagonisten. Der Film zeigt Pardini im Parlament, wo er eine Motion, einen Vorschlag, einreicht, bei politischen Veranstaltungen, wo er Reden hält, und im Fernsehen.
Die wahre Tragweite des Problems
Wenn Pardini in der Diskussionssendung „Arena“ aus einer Studie zitiert, nach der bei fast jedem fünften Betrieb in der Schweiz Lohndumping oder Scheinselbständigkeit aufgedeckt wurde, eröffnet sich die wahre Tragweite des Problems. Vielleicht würde man dieses korrekter als Phänomen bezeichnen. Einer der Arbeitsmarktkontrolleure formuliert es lapidarer: „Wenn du illegal in der Schweiz bist, kannst du unmöglich zu einem anständigen Chef kommen.“
„Schwarzarbeit“ spielt etwa zur Hälfte in Autos, in denen die Kontrolleure – stets zu zweit und in immer neuer Konstellation – auf Streife durch den Kanton Bern fahren. Grossenbacher sitzt auf der Rückbank. Er filmt seine Protagonisten und hält ihre – erstaunlich freimütigen – Gespräche fest. Launige Knobeleien zwischen Kollegen, Persönliches, manchmal auch Berufliches. Die plötzlich auftauchende Erinnerung an die eigene Mutter, die, als Verdingkind aufgewachsen, über das Leid, das ihr als Kind widerfuhr, selbst im hohen Alter noch weint. Die Erzählung über die eigene Kindheit, die man fern von den in der Schweiz als Saisoniers arbeitenden Eltern bei den Großeltern erlebte. Seine Eltern, sagt Inspektor Feijoo, hätten Großes vollbracht; er selbst aber wisse nicht, ob er es fertigbrächte, seinen Sohn zurückzulassen, um in einem fremden Land zu arbeiten.
Christoph, der Hardliner unter den Inspektoren, sagt von sich, er sei ein „sozialer Tiefflieger“ mit der „Empathie eines Zwiebacks“. Auf die Replik seines Kollegen, dass die armen Teufel doch nur arbeiten möchten, antwortet er kurz, dass diese schon arbeiten sollten – aber legal. Es ist ein unlösbares Dilemma. Die sozialwirtschaftlichen Abgründe, die sich in „Schwarzarbeit“ bei Besuchen in Restaurantküchen, auf Baustellen oder bei der Diskussion mit Speditionsfirmen eröffnen, sind schwindelerregend.
Ohne Kommentar und Verurteilung
Grossenbacher hat „Schwarzarbeit“ aus der Sicht des Beobachters gedreht. Er kommentiert nicht und verurteilt nicht. Weder die unterschiedlichen Ansichten der Kontrolleure noch ihre (harten) Arbeitsweisen. Nicht die für einen Hungerlohn arbeitenden Frauen, die aus Angst vor einem möglichen Jobverlust die Wahrheit über ihre Arbeitsgeber nicht erzählen. Nicht den jungen Mann aus Mazedonien, der weinend zusammenbricht, als er illegal bei der Arbeit ertappt wird. Auch nicht die Chefin, die einen Verweis bekommt, weil sie nicht genau weiß, wen sie angestellt und in welchem Zimmer sie ihre Angestellten einquartiert hat.
Vieles in „Schwarzarbeit“ wird nur angedeutet. Keine der im Film angerissenen tragischen Geschichten wird weiterverfolgt oder fertig erzählt. Eines aber weiß man am Ende des packenden Films, der so aufwühlend wie unverhofft witzig ist, mit Gewissheit. Solange sich die Welt nicht verändert, werden die Reichen in der Schweiz wie anderswo mit einem blauen Auge davonkommen. Die Kleinen und Schwachen aber werden ihr Leben lang dafür büßen, dass sie klein und schwach sind.