Vorstellungen
Filmkritik
In dem gewaltigen Schloss sind sie beide Gefangene: Das ungehobelte Biest, einst wegen seiner Lieblosigkeit von einer Zauberin in eine furchteinflößende Gestalt verwandelt, und die aufgeweckte Belle, die sich zu einem Leben im Bannkreis des menschenfeindlichen Schlossherrn verpflichtet hat. Ganz ohne Mittel, den einsamen Ort hinter sich zu lassen, sind sie jedoch nicht. Nachdem die anfängliche Abneigung gewichen ist und die beiden sich nähergekommen sind, enthüllt das Biest der jungen Frau eine Möglichkeit, sich kraft ihrer Gedanken fortzuwünschen. Die magische Traumreise führt die beiden zurück in Belles Vergangenheit, in die Künstlerklause in Paris, wo sie geboren wurde. Ein Abstecher mit zwiespältigem Ergebnis, denn der Blick zurück erweist sich nicht als reine Befreiung von den Fesseln der Gegenwart, sondern in vielem auch als schmerzhafte Bürde. Man kommt kaum umhin, in dieser Szene aus Bill Condons „Die Schöne und das Biest“ nicht auch eine subtile Anspielung auf das generelle Dilemma der Disney-Studios bei den Real-Neuverfilmungen ihrer klassischen Zeichentrickwerke zu sehen: den alten Zauber erneut heraufbeschwören zu wollen, ohne den geliebten Filmen Gewalt anzutun, sich aber andererseits auch nicht im bloßen Imitat zu erschöpfen. Jede der seit 2013 im Jahrestakt veröffentlichten Produktionen kündet davon: Waren „Maleficent“ (fd 42 404) und „Cinderella“ (fd 42 942) von vornherein als sehr freie Adaptionen angelegt, fiel „The Jungle Book“ (fd 43 833) zwischen fotorealistischer Neuinterpretation und der bemühten Verpflichtung gegenüber dem Original ziemlich ambivalent aus. „Die Schöne und das Biest“ ist nun so nah dran an der Zeichentrick-Fassung (fd 29 927) wie bislang keines der anderen Remakes, da es den Plot weitgehend originalgetreu übernimmt. Auch hier wird nach dem kurzen Prolog die Geschichte aus Sicht von Belle aufgerollt. In ihrem Provinznest als „seltsam“ verschrien – weil sie sich für Bücher interessiert, aber nicht für die Heiratsanträge des Dorf-Beaus Gaston –, lebt sie allein mit ihrem Vater Maurice, bis dieser im Wald in ein Unwetter gerät. Vom Weg abgekommen, verirrt er sich ins Schloss des Biests, das ihn gefangensetzt. Als Belle davon erfährt, nimmt sie den Platz ihres Vaters ein. Zuerst abgestoßen von dem Biest, das mit Jähzorn über sein Schloss und seine in Einrichtungsgegenstände verzauberten Diener herrscht, entdeckt sie allmählich seine guten Anlagen und ändert auch ihn. Dank ihrer gegenseitigen Zuneigung erscheint der Fluch auf dem Schloss mit einem Mal lösbar. Die enge Orientierung am Original dürfte angesichts des ausgefeilten Drehbuchs der 1991er-Adaption von Gary Trousdale und Kirk Wise (fd 29 927) nahegelegen haben. Mit seiner klugen und selbstbewussten Heldin und dem ungeschlachten, aber empfindsamen Biest verfügt auch die Neuinterpretation über vielschichtige Hauptfiguren; hinzu kommt, dass die Mixtur aus Humor und Gefühl durch eine bemerkenswerte Offenheit für dramatische Momente ergänzt wird, durch die man weit mehr als in anderen Disney-Filmen um das Wohl der Figuren bangen kann. Auch die eingängige Musik von Alan Menken und die Songs wurden – mit kleinen Überarbeitungen und um neues Material ergänzt – in das Remake transferiert, während Ausstattung und Kostüme die Vorgaben der Zeichentrick-Vorlage verblüffend genau nachahmen. Gerade bei den häufigen Kameraschwenks über die prachtvollen Räume beweist die Regie jedoch Sinn für ein geschmackvolles Maß an Schauwerten. Im Gegensatz zur ähnlich aufwändigen, aber gänzlich seelenlosen „Die Schöne und das Biest“-Verfilmung des Franzosen Christophe Gans von 2014 (fd 42 334) wird Schönheit hier zwar vorgeführt, aber nicht damit geprotzt. Im Vergleich bleibt die kompaktere Zeichentrick-Fassung letztlich der bessere Film angesichts dieser betont nicht-eigenständigen Variante, die in erster Linie auf eine neue Zuschauergeneration ohne Kenntnis des Originals zielt. Trotzdem lohnt sich auch die Realverfilmung, da sie den Stoff um zahlreiche neue Nuancen bereichert. Das betrifft vor allem die Eindämmung des Zeichentrick-spezifischen Slapstick-Humors und die weniger karikaturhafte Zeichnung der Nebenfiguren. Maurice ist so vom überdrehten Erfinder zum leicht versponnenen Künstler avanciert, während Gastons selbstverliebtes Posiergehabe als Verhalten eines geborenen Soldaten gedeutet wird, dem ohne Krieg der Lebenszweck genommen ist. Wenn er aus verletzter Eitelkeit schließlich die Dorfbewohner zum Lynchmob gegen das Biest aufhetzt, verliert der Film mit einem Mal jede Märchenhaftung und zeigt unverhüllt die hässliche Fratze von Ignoranz und Hass auf alles Fremdartige, die einem nur zu vertraut verkommt. Gastons dicker Handlanger Lefou darf derweil zum gebrochenen Charakter werden, der seinen gutaussehenden Herrn offen anhimmelt, seine Zuneigung aber zusehends kritisch hinterfragen muss. Zeitgemäß und klug in der Reflexion des Stoffs, kann diese Version von „Die Schöne und das Biest“ die Vorlage zwar nicht ersetzen, aber durchaus neben ihr bestehen.