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Filmkritik
Auf einmal wacht Barbie (Margot Robbie) nicht mehr mit dem üblichen Lächeln auf. Ihre tägliche Routine aus Frühstück, Cabrio-Fahrt, Strandbesuch und Karaoke-Party wird von einigen irritierenden Veränderungen gestört. So kann sie etwa nicht mehr, wie sonst, auf Zehenspitzen laufen, entdeckt Cellulite-Dellen auf ihrer makellosen Haut und wird von Gedanken an den Tod geplagt. Dem Zuschauer ist zu diesem Zeitpunkt längst klar, dass es eher die quietschig bunte Plastikwelt von Barbieland ist, in der so einiges im Argen liegt: Handlungen wie Küssen oder Trinken werden hier lediglich angedeutet, jeder sich androhende Konflikt sofort weggelächelt, und auch wenn es Barbies und Kens in zahlreichen Ausführungen gibt, wirkt doch alles totalitär und gleichförmig.
Im ersten Realfilm der 1959 erfundenen Puppe ist Barbieland eine vor Künstlichkeit nur so strotzende Fantasie, die jedoch untrennbar mit der Wirklichkeit verbunden ist. Grund für Barbies besorgniserregende Entwicklung ist nämlich, dass sich ihre Besitzerin scheinbar in einer Krise befindet. Noch schlimmer erging es nur „Weird Barbie“ (Kate McKinnon), die von einem Mädchen derart mit Farben und Scheren malträtiert wurde, dass sie seitdem als punkiges Kuriosum in die Vorstadt abgeschoben wurde.
Wie zeitgemäß ist der Barbie-Kosmos überhaupt noch?
Wie sich Realität und Barbieland zueinander verhalten, erklärt in Greta Gerwigs Film einmal Barbie-Erfinderin Ruth Handler (Rhea Perlman). Die Puppe nutzte sie als Projektionsfläche für alles, was sie im wahren Leben nicht sein konnte. Doch auch wenn Gerwig das Spielzeugland zur Utopie weiblicher Herrschaft und Selbstverwirklichung stilisiert, bleibt doch stets ein albtraumhafter Unterton. Unsere Gegenwart dient dem Film wiederum dazu, mit den Mitteln einer Culture-Clash-Komödie abzuklopfen, wie zeitgemäß der Barbie-Kosmos überhaupt noch ist.
Zu den Menschen reist Barbie also mit ihrem Verehrer Ken (Ryan Gosling), damit alles wieder wie früher wird. Doch sobald die beiden mit ihren Rollerblades auf der Promenade von Venice Beach landen, sehen sie sich mit einer Gesellschaftsordnung konfrontiert, die ihrer eigenen genau entgegengesetzt ist. Und während Barbie sich von Schülerinnen aufgrund ihrer stereotypen Schönheit als Faschistin beschimpfen lassen muss, lernt der unterwürfige Ken die Vorzüge des Patriarchats kennen. Barbieland verwandelt er anschließend in ein Paradies für Dosenbier trinkende Machos.
Postmoderne Barbie-Collage
Gerwig muss mit ihrem vom Spielzeug-Riesen Mattel koproduzierten Film zwangsläufig Fanservice betreiben, was sich unter anderem im Einsatz von Sammlerstücken und Sonderbarkeiten aus der Barbie-Geschichte zeigt. Gleichzeitig soll die Indie-Regisseurin aber auch einen neuen, explizit ironischen und kritischen Blick aufs Franchise werfen. Aus der undankbaren Aufgabe, möglichst allen gerecht zu werden, versucht „Barbie“ eine Tugend zu machen. Statt über eine in sich geschlossene Handlung funktioniert der Film eher wie eine postmoderne Collage voller Widersprüche, Referenzen und Meta-Witze. Als Schöpfungsgeschichte der Puppe wird etwa die berühmte Anfangsszene aus „2001: Odyssee im Weltraum“ veralbert.
Das von Gerwig gemeinsam mit ihrem Partner Noah Baumbach verfasste Drehbuch setzt teilweise erfolgreich auf doppelbödige Witze, kommt manchmal aber auch ein wenig schlaumeierisch daher. Einmal bricht der Film etwa seine Illusion, um auf ein „White Savior“-Motiv hinzuweisen, ein anderes Mal kommentiert Erzählerin Helen Mirren eine Szene, in der Barbie sich hässlich fühlt, damit, dass die offensichtlich gut aussehende Margot Robbie natürlich eine Fehlbesetzung für diesen Moment sei. Etwas übereifrig versucht der Film manchmal an aktuelle Diskurse anzuknüpfen und sich nach allen Seiten abzusichern. Die Strategie dabei ist meist, dass man etwas als problematisch bezeichnet, um es dann doch zu machen.
Rollenbilder werden auf absurd-witzige Weise überspitzt
So wie der Pop-Feminismus von Barbie überwiegend kapitalismuskonforme Empowerment-Gesten aufgreift, so dienen auch die Seitenhiebe auf Mattel mit dem verlässlich lustigen Will Ferrell als scheinheiligem CEO als demonstratives Augenzwinkern, das mittlerweile selbst bei Großkonzernen zur Marketingstrategie zählt. Aber auch wenn Gerwig sich politisch nicht weit aus dem Fenster lehnt, überspitzt sie Rollenbilder und Dynamiken zwischen den Geschlechtern doch oft auf absurd-witzige Weise. Wenn die Barbies schließlich mit einer List das neu geschaffene Patriarchat stürzen wollen, versuchen sie etwa dem männlichen Ego durch demonstrative Ahnungs- und Hilflosigkeit zu schmeicheln. Als Belohnung singen die Jungs ihnen einen Matchbox-Twenty-Song vor: „I wanna push you around“.
Zusammengehalten wird „Barbie“ trotz mancher Uneinheitlichkeit von den universellen Geschichten, die in ihm stecken: Die Außenseiterin, die sich selbst finden muss, die Herausforderung einer völlig fremden Welt oder der Underdog, der auch einmal im Rampenlicht stehen will; all diese klassischen Motive greift Gerwig auf, variiert sie aber ein wenig. Wichtig für die Anteilnahme des Zuschauers ist dabei, dass hinter der Plastikhülle stets ein Herz schlägt. Ken, den Ryan Gosling als Mischung aus Schönlings-Karikatur und armem Hanswurst spielt, wird gerade durch sein konsequentes Unvermögen zum heimlichen Star des Films.
Ein Hauch von Anarchie
Oft wirkt „Barbie“, als hätte Gerwig das Franchise als Inspiration für eine wild wuchernde Ideensammlung genutzt. Keineswegs jeder Einfall funktioniert, aber in den besten von ihnen steckt spontaner Witz und ungebrochene Spielfreude. Die Lust am Trash und ein Hauch von Anarchie sorgen für einige spritzige Momente. So gibt es etwa einen Werbespot für eine Depri-Barbie, die tagelang dieselbe Jogginghose trägt und sich mit verheulten Augen Jane-Austen-Filme ansieht oder eine Musicalnummer, in der Kens Schattendasein zu einer extravaganten 1980er-Jahre-Choreographie aufgeblasen wird. Auch wenn sich der Film mit seinem Humor eher an ein erwachsenes Publikum richtet, blüht er doch meist dann auf, wenn er besonders infantil und albern ist.