- RegieMarc di Domenico
- ProduktionsländerFrankreich
- Dauer76 Minuten
- GenreDokumentarfilmMusik
- Cast
- TMDb Rating6/10 (16) Stimmen
Vorstellungen
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Filmkritik
Ob sich die Macher von „Aznavour by Charles“ wohl in einer problematischen Phase ihres Projekts an Chris Markers „Sans Soleil“ erinnert haben? Um von dort aus dem vorhandenen Material einen Weg ins Freie zu bahnen? Qua Montage? Durch „Reduktion und Verdichtung“, wie Regisseur Marc Di Domenico im Presseheft anführt.
Das Ausgangsmaterial hätte das Zeug zu einer konventionell-langweiligen Star-Dokumentation gehabt. Ein Weltstar auf mehreren Kunstfeldern (Chanson, Film), der verschiedene Autobiografien veröffentlicht und haufenweise Notizen hinterlassen hat. Außerdem existieren unzählige Wochenschauen, Interviews und Konzertmitschnitte des 2018 hochbetagt gestorbenen Künstlers. Üblicherweise würde daraus eine konventionell-chronologische Erzählung, ergänzt um Statements und Kommentare mehr oder weniger bekannter Zeitgenossen und Wegbegleiter, unterlegt mit Ausschnitten der bekanntesten Chansons und Filme, vielleicht noch strukturiert durch ein narratives Motiv oder einen roten Faden.
Im Falle des „kleinen Franko-Armeniers“ Aznavour (Selbstbeschreibung) hätten dies etwa seine Diaspora-Erfahrung, private Verwerfungen oder auch die Logik von Karrieren in unterschiedlichen Kunstfeldern sein können. Ein Zufall half dem Film dann auf die Sprünge. Bei einem Besuch Aznavours in der Provence erfuhr Di Domenico, dass sein Gastgeber sein Leben lang selbst gefilmt hatte. Dieses Privatarchiv mit Super8-Filmen stellte Aznavour dem Filmemacher und Freund zur Verfügung, und der traf bei der Aufbereitung zwei glückliche Entscheidungen: Zunächst wurde die Chronologie der Ereignisse aufgebrochen, und dann wurde auch noch der Voiceover-Text, der im Original von dem Schauspieler Romain Duris gesprochen wird, so bearbeitet, dass er eine nachdenklich-melancholische und poetische Qualität bekam. Abgerundet wird das durch die Anekdote, dass Aznavours erste Paillard-Bolex-Kamera 1948 ein Geschenk von Edith Piaf war.
Das kleine vagabundierende Ich
Aznavour war überdies ein großer Reisender, der – so seine eigentümliche „Blick“-Theorie – mittels der Kamera die auf ihn gerichteten Blicke erwidern konnte. Deshalb trägt der Film, obwohl er ein Essay mit fiktionalen Einschüssen ist, seinen Titel durchaus zurecht: „Aznavour by Charles in der Regie von Marc Di Domenico“. Der Film mischt Privates mit Beruflichem, Reise-Impressionen und Archivmaterial zu einem originellen und stimmigen Ganzen. Er beginnt mit Bildern aus Zentralafrika, erzählt von den Mühen der frühen Jahre, von scheiternden und gelingenden Liebesbeziehungen, von der armenischen Diaspora, von Begegnungen mit anderen großen wie kleinen Künstlern, etwa Frank Sinatra, Lino Ventura oder Nina Simone.
Auch die Filmarbeit gerät mit „Schießen Sie auf den Pianisten“, „Taxi nach Tobruk“ oder „Mit dem Kopf gegen die Wände“ in den Blick, allerdings erstaunlich randständig. Wichtiger erscheint „das kleine vagabundierende Ich“ Aznavour zu sein, dessen Wurzellosigkeit etwas mit der Familiengeschichte zu tun hat, die ihm erst spät eine Reise nach Armenien gestattete. Womit er dorthin zurückkehrte, wo er nie war, weil schon die Eltern in der Diaspora lebten. Aznavour reist in die USA, feiert Erfolge am Broadway, reist in die UdSSR, nach Bolivien, Israel und Hongkong, wo ihn die Mühsal der Menschen und das Tempo des Alltags nachdrücklich desillusionieren.
Aznavour spart auch nicht mit (selbst-)kritischen Tönen. Hatte er zunächst primär beobachtet, so erwächst aus dem Ruhm eine „Unersättlichkeit“, sich im Mittelpunkt zu wissen, weshalb er die Kamera aus der Hand gibt, um im Bild zu sein. Aznavour wird Teil des Jet-Sets, leidet unter dem Drogentod seines Sohnes Patrick und muss ausgerechnet in einem Tokioter Hotelzimmer im Fernseher eine eindrucksvolle Metapher auf das Leben als Kampf sehen.
„Ich filme, also existiere ich“
Wider alle Enttäuschungen und Verluste steht die Kamera für eine gesunde Neugier. Aznavour bezieht sich auf Fellini, der gesagt haben soll: „Was mich morgens aufwachen lässt, ist meine Neugier.“ Diesen Satz macht sich Aznavour zu eigen und liefert Bilder, Gedanken, Chansons, die nun „geformt“ etwas Neues ergeben. Unsere Blicke auf ihn werden durch seine Blicke auf uns erweitert und ergänzt. Dass das nur postum geschehen kann, liegt in Aznavours Credo: „Ich filme, also existiere ich.“